Zur Lage in Khorog

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Mafiöse Machenschaften. Für Beobachter, und dazu gehört auch der Großteil der Bevölkerung Tadschikistans, erscheint der Blick auf die Politik und Machtstrukturen in Tadschikistan so getrübt wie der Blick auf die Straßen Khorogs in den Tagen nach dem Angriff durch diese Windschutzscheibe

Gut zwei Wochen ist es nun her, dass sich die politische Lage im Pamir auf dramatische Weise veränderte und die bisher so ruhige und friedliche Region in ein Krisengebiet verwandelt wurde. Fast zwei Jahre nach der tadschikischen Militäroffensive vom Herbst 2010 im Rashttal (link) waren am frühen Morgen des 24. Juli Armeeeinheiten in Khorog eingerückt und griffen dort nach eigenen Angaben “bewaffnete kriminelle Guppierungen” an, die von der tadschikischen Regierung für den Mord an General Abdullo Nazarov verantwortlich gemacht werden.

General Abdullo Nazarov, der Leiter des tadschikischen Geheimdienstes in Badachschan, war am 21. Juli von Unbekannten in Navodak, einem Randbezirk von Khorog ermordet worden. Die von staatlicher Seite geforderte Auslieferung der Tatverdächtigen, die zur Gefolgschaft Tolib Ayombekovs gehören sollen, unterblieb. Tolib Avombekov war seit 2005 Batallionskommandeur der tadschikischen Grenztruppen in Ishkashim und damit direkter Untergebener und selbstbekundeter “alter Freund” des ermordeten Generals. Dieser stammt aus der Region Gharm und hatte im Bürgerkrieg als Feldkommandeur der Vereinigten Tadschikischen Opposition (VTO) gegen die heutige Regierung gekämpft. Die Verantwortung für die Tat oder die Beteiligung seiner Männer an der Ermordung Nazarovs wies Ayombekov in einem Interview mit “Radio ozodi” am Tag nach dem Mord weit von sich. Neben seiner Tätigkeit bei der tadschikischen Armee soll Tolib Ayombekov einflussreicher Anführer einer weit verzweigten kriminellen Organisation sein, die den lukrativen grenzüberschreitenden Handel mit “Waren aller Art” – vor allem Tabak, Zigaretten (Pine), Waffen, Drogen und Edelsteinen im Pamir seit Jahren kontrolliert. Informationen der tadschikischen Drogenkontrollbehörde AKN zu Tolib Ayombekov sind hier zu finden.

Bereits in den Tagen nach der Ermordung Nazarovs war die Stimmung im Pamir angespannt. Ein Ultimatum zur Auslieferung mehrerer Tatverdächtiger wurde gestellt und Verhandlungen mit Ayombekov aufgenommen. Ehemalige Feldkommandeure der VTO im Pamir befürchteten, bei einer Eskalation der Gewalt ebenfalls ins Visier des Militärs und der Sicherheitsdienste zu geraten. “Alte Rechnungen” aus der Bürgerkriegszeit wurden angeblich auch 2010 bei der Offensive im Rashttal beglichen.

Bei ihrem Überraschungsangriff stieß die Armee in einigen Teilen der Stadt auf heftige Gegenwehr. Bei den schweren Gefechten, die bis zum Nachmittag des 24. Juli andauerten, kamen auch Zivilisten ums Leben. Auch in den folgenden Tagen kam es trotz der vom Präsidenten angeordneten Waffenruhe und Verhandlungen zu Schusswechseln und Opfern in der Bevölkerung (Augenzeugenbericht aus Khorog vom 24.-26. Juli). Unter anderem wurde der Vertreter der Partei der Islamischen Wiedergeburt (PIW) im Pamir, Sabzali Mamadrizoev, auf bisher ungeklärte Weise getötet. Er verschwand spurlos, nachdem er am 23. Juli auf einer Protestkundgebung gegen die Militäroffensive im Zentrum von Khorog aufgetreten war. Drei Tage später fand man seine Leiche in der Nähe seines Wohnhauses. Diese Tat wurde von Muhiddin Kabiri, dem Vorsitzenden der PIW, scharf verurteilt.

Nach einem vom Präsidenten Emomali Rahmon angeordneten Waffenstillstand, weiteren Verhandlungen und einem neuen Ultimatum kam es in der Nacht vom 26. auf 27. Juli erneut zu schweren Angriffen der Regierungstruppen in der Stadt, zu deren Verteidigung nun auch an der anfänglichen Eskalation unbeteiligte Bürger beitrugen. Die Lage in Khorog beruhigte sich erst nach einem Aufruf des Aga Khan, dem religiösen Oberhaupt der Ismailiten, von Gewalt abzusehen, Waffen abzugeben und den staatlichen Behörden bei der Lösung des Konflikts Vertrauen zu schenken. Seither ist die Lage in der Stadt ruhig aber angespannt. Das Militär und die Sicherheitskräfte sind noch nicht abgezogen und es werden weitere Verhandlungen zwischen verschiedenen Parteien geführt, um die Situation zu beruhigen. Die Telefonverbindungen in den Pamir und der Zugang zu einigen Internetseiten sind weiterhin blockiert.
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Bei den drei anderen kriminellen Bandenführern, die von den staatlichen Sicherheitsorganen angegriffen wurden, handelt es sich um Imomnazar Imomnazarov, Yodgor Mamadaslamov und Mamadbokir Mamadbokirov. Ihnen wird vorgeworfen zusammen mit Tolib Ayombekov eine vereinigte kriminelle Organisation zu bilden, die an Morden, Menschenhandel und andern schweren und besonders schweren Verbrechen beteiligt sei. Die tadschikischen Drogenkontrollbehörde AKN veröffentlichte kürzlich einschlägige Informationen auch zu diesen Personen.

Im Zuge der Militäraktion sollen die Gruppierungen von Immomnazarov und Mamadbokirov vollständig unter Kontrolle gebracht worden sein und die beiden Anführer getötet. Auch von der Gruppe Ayombekovs – der sich angeblich nach Afghanistan absetzen konnte – sollen nach offiziellen Angaben “viele Militante” getötet worden sein (insgesamt 30 Tote, 36 Verwundete). Die Verluste in den eigenen Reihen werden mit 17 Toten und 40 Verletzten angegeben. Diesen Angaben widersprechen die Berichte aus dem Pamir: Hier werden mehrere zivile Opfer beklagt und auch die Zahl der getöteten Regierungstruppen weit höher angesetzt, es sollen verantwortungslos sehr viele junge unausgebildete Rekruten (als Zielscheiben) eingesetzt worden sein, um die bewaffneten Gruppen aufzuspüren.
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Seit dem 6. August gibt es in Khorog ein neues Vermittlergremium. Die lokale Führungsebene des Aga Khan Netzwerkes (Munir Mirali und Yodgor Faizov) ist dort ebenso vertreten, wie lokale Respektspersonen und religiöse Eliten, diese waren bereits an den Verhandlungen nach dem Mord an General Nazarov beteiligt. Die Bevölkerung verlangt den Abzug der Truppen aus der Stadt und der Umgebung und die Aufklärung über die Verantwortung für den Angriff auf Khorog. Die Vermittler schlagen allen Beteiligten vor, die Ereignisse des 24. Juli schnell zu vergessen und die Regierung (Rahmon) gewährt allen, die bereit sind Waffen abzugeben, volle Amnestie. Laut offiziellen Angaben wurden seither eine große Menge an Waffen bei den staatlichen Stellen abgegeben.

Indes scheint die Operation gegen die von Regierungsseite als kriminelle Elemente bezeichneten Personen und deren Anhängerschaft von langer Hand vorbereitet. Anfang Juli hatte eine Militärübung im Pamir stattgefunden, und die dabei eingesetzten Truppen und Kommandeure waren Ende Juli noch nicht wieder abgezogen. Andernfalls wäre es nicht möglich gewesen innerhalb von nur zwei Tagen so viele Soldaten in den abgelegenen Pamir zu bringen (geschätzt 800-1000 Mann). Die Ermordung von General Nazarov scheint nur ein Vorwand gewesen zu sein, um hart durchzugreifen. Der eigentliche Grund für den Militäreinsatz scheint nicht der Wiederherstellung der staatlichen Ordnung im Pamir gedient zu haben. Diese Ordnung war nie wirklich aufgehoben, da die staatlichen und kriminellen Strukturen im Pamir nebeneinander existieren und kooperieren und die kriminellen Machenschaften aller Beteiligter seit langem bekannt und geduldet waren. Vielmehr sollte so das lukrative Geschäft mit dem florierenden Drogen-, Tabak- und Edelsteinhandel an der Afghanisch-Tadschikischen Grenze endlich, 15 Jahre nach dem Friedensschluss 1997, unter staatliche Kontrolle gebracht werden.
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Nach einer ähnlichen Militäraktion gegen sogenannte kriminelle Elemente und Terroristen in Rasht (Zentraltadschikistan) im Herbst des Jahres 2010 sollte einmal mehr die militärische Stärke und Härte des Regimes Rahmon demonstriert werden. Mit der Militäraktion sollten gleichzeitig die letzten “auf eigene Rechnung” arbeitenden Akteure und ehemalige oppositionelle Kommandeure aus den Tagen des Bürgerkriegs und potentielle politische Gegner ausgeschaltet und eingeschüchtert werden.

Mittelfristig birgt eine derartige Strategie aber auch einige Gefahren. Das Misstrauen in und die Unzufriedenheit mit dem Regime Rahmon wird dadurch im Land weiter ansteigen.

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