Eine Rezension von Andreas Mandler
Wladimir Medwedew: Im Strom der Steine (Aufbau Verlag 2021)
Nach der Lektüre des Romans wüssten wir gern mehr über Wladimir Medwedew. Zumindest mehr, als der Verlags Klappentext über ihn verrät: „Wladimir Medwedew wurde in Transbaikalien geboren und verbrachte den größten Teil seines Lebens in Tadschikistan, wo er als Monteur, Helfer einer Geologentruppe, Dorflehrer, Fotojournalist, Patentfachmann in einem Konstruktionsbüro, Sporttrainer und Redakteur in Literaturzeitschriften tätig war. Heute lebt er in Moskau.“ (Aufbau Verlag Berlin). Er erscheint wie Okmir Agachanjanz (der berühmte Sowjetische Geobotaniker „Auf dem Pamir Aufzeichnungen eines Geobotanikers“ Leipzig 1980) oder wie die von Georg Renner in „Biwak auf dem Dach der Welt“ (Leipzig 1975) beschriebenen Charaktere: Ein dem “wilden Osten” der Sowjetunion verfallener Abenteurer. Aber, und das ist ein sehr interessanter Aspekt dieses Buches, es gibt einen postkolonialen Bruch: Die Sowjetunion gibt es nicht mehr, der Abenteurer ist nicht unschuldig, sondern wohl oder übel der Vertreter einer fremden Macht. Diese Verschiebung, vom Verbündeten zum Fremden, musste Medwedew selbst erleben und auch davon erzählt sein jüngst erschienener Roman «Заххок» (2017), auf Deutsch „Im Strom der Steine“ (Aufbau Verlag, Berlin 2021).
Wladimir Medwedews Roman wirft die Leserinnen und Leser in eine abgelegene Region, die hierzulande nur wenigen Rucksack- oder Fahrradtouristen bekannt sein dürfte, die den beschwerlichen Weg nach Tadschikistan auf sich genommen haben und von der Hauptstadt Dushanbe weiter in den Pamir – auf das „Dach der Welt“. Der Bezirk Darvoz, wo der Roman vor allem spielt, befindet sich auf halbem Weg dorthin – inmitten einer kargen Gebirgslandschaft im tadschikischen Hinterland. Medwedews Roman stürzt die Leserinnen und Leser ins post-Sowjetische Chaos, in die Tadschikistan bis heute traumatisierende Zeit des Bürgerkriegs von 1992-1997, und erzählt die erschreckend einfache Geschichte vom Zerfall eines scheinbar stabilen Staates und dem damit einhergehenden Abgleiten in Chaos und Gewalt. Medwedew illustriert dieses Szenario aus verschiedenen Perspektiven von einer sonst wenig beachteten lokalen Mikroebene – ethnographisch genau und gerade deshalb bedeutsam.
Der Originaltitel des Romans „Zahhok“ verweist auf eine Figur der iranischen Mythologie und klassischen Persischen Literatur, von der man in Tadschikistan bis heute erzählt. In Firdausis Heldenepos Shahname (dem „Buch der Könige“), wird „Zahhok“, die böse und giftige, dreiköpfige Schlange von Gott geschickt, um die Menschen ins Chaos zu stürzen. „Zahhok“ setzt sich durch und tötet die rechtschaffenen und hart arbeitenden Menschen. Diese werden durch grausame und verräterische Menschen ersetzt. Aber schließlich naht ein bekannter Held und sein Begleiter „Kovar“ aus den Gebirgstälern, um die Schlange zu besiegen. Continue Reading →