Sinowjew 1979 – ein Kommentar zu Putins Russland 2022

Im Jahr 1976 veröffentlichte Alexander Sinowjew seinen Roman “Gähnende Höhen” und lieferte damit eine literarisch-wissenschaftliche Beschreibung und Analyse der sowjetischen Gesellschaft. Ein Jahr später erschien die französische Übersetzung und ein weiteres Jahr später reiste Sinowjew aus der Sowjetunion aus und war gezwungen, die Staatsbürgerschaft aufzugeben. Er ließ sich in München nieder und veröffentlichte fortan mehrere Romane, Essays und Interviews, in denen er den Kommunismus als Realität beschrieb.

Am 18. Mai 1980 erschien der Artikel “Das Spiel mit der Geschichte” in der Le Monde. Warum das heute, im Jahr 2022, nach dem von Putin initiierten Angriff auf die Ukraine von Interesse ist? Lesen Sie selbst: Continue Reading →

Waldemar Gretsinger: “The fields were like gold those days”

By Irna Hofman

Waldemar Gretsinger and his wife Valentina at the research station in southern Tajikistan. Photographer unknown, photo copied with permission from the archive in the local research station, 2021.

When I first arrived and wandered through a locality in one of the southernmost districts of Tajikistan back in 2012, some people had little doubt: I was Katia’s daughter. Katia was a German woman who lived in their locality in the Soviet years. She was not the only one. After all, “many of us had a German girlfriend in those years,” a friend told me once, with a smile on his face. There was a big German community in the locality in the late Soviet period. Continue Reading →

Interview mit Kamoluddin Abdullaev: Die Geschichte der Tadschiken ist ebenso tragisch wie die Geschichten des “Stillen Don”

Autor: Haidar Schodiev, Asia-Plus. 5. März 2020.
Übersetzung und Kommentierung [in eckigen Klammern]: Andreas Mandler und Thomas Loy
Mit freundlicher Genehmigung von Umed Babakhanov

Foto: persönliches Archiv K. Abdullaev

Kamoluddin N. Abdullaev wurde am 21. Februar 1950 geboren. Er ist Historiker und eine bekannte Persönlichkeit Tadschikistans. Aus Anlass seines 70. Geburtstages sprach der Jubilar mit Haidar Shodiev von der Zeitung “Asia-Plus” über wenig erforschte Seiten der Geschichte des tadschikischen Volkes, die Bedeutung von Ausbildung und Professionalität, sowie seine eigenen wissenschaftlichen Aktivitäten.

Kamoluddin Abdullaev erforscht und lehrt seit über 30 Jahren die moderne Geschichte Zentralasiens, vor allem die Geschichte Tadschikistans. Seit 1992 ist er auch als unabhängiger Experte und Berater für internationale NGOs und Forschungsinstitutionen tätig, die sich mit dem Aufbau der Zivilgesellschaft, mit Bildung und mit Konfliktlösung in Zentralasien befassen. Er nahm mehrfach an US-Austauschprogrammen für Geschichte und Sozialwissenschaften teil. Kamoluddin Abdullaev ist Verfasser und Herausgeber von 9 Büchern auf Russisch und Englisch und Autor von über 40 Artikeln.

zum Interview… Continue Reading →

Erinnerungen an Manfred Lorenz

Eine Rede gehalten von Sigrid Kleinmichel im Jahr 2009 anlässlich des 80. Geburtstags von Manfred, der mit einer kleinen Feier am Zentralasien-Seminar der Humboldt Universität zu seinen Ehren begangen und begossen wurde.

Manfred Lorenz in der Baumwolle. Tadschikistan 1957

2009 sprach ich davon, dass Manfred Lorenz im Internet nicht zu finden sei. Seine Bücher aber konnte man im Katalog der Staatsbibliothek finden. Bei meiner Suche nach Manfred Lorenz im Internet war mir allerdings ein Unternehmer desselben Namens begegnet, der eine Edelsteinschleiferei besaß oder leitete. Wegen der Rolle des Edelsteins, des Edelsteins der Worte in der persischen Poesie schien mir das recht gut zu Manfred Lorenz zu passen. Vielleicht war er in den Augen von irgendjemandem sogar selbst dieser Herr der Edelsteinschleiferei.

Dann hatte ich geschrieben: Meine Erinnerung. Humboldt Universität. Vorderasiatisches Institut. Man geht zum Eingang des Hauptgebäudes. Auf dem Hof steht, nein, sitzt grimmig in der linken Ecke Mommsen, Theodor. Warum so grimmig? Das habe ich gerade in einem Buch von Stefan Rebenich (2007) erfahren. Mommsen musste an der Universität unterrichten, und das machte ihm überhaupt keinen Spaß. Viel lieber erweiterte er in mühevoller Arbeit sein “Corpus der Lateinischen Inschriften”. Hinsichtlich der DDR irrt sich der Verfasser der Mommsen-Biographie ein wenig. Er schreibt: “Nach Mommsen fragte niemand. Von dem Müllhaufen hinter der Humboldt-Universität wurde das Denkmal erst nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten geholt.” Die kleine Korrektur lautet: Es war kein Müllhaufen, sondern der Anfahrtsweg für die in der Mensa benötigten Produkte und der Ausgang der Küchengerüche auf der linken Seite des Hauptgebäudes in der Universitätsstraße. Ich habe manches Mal beim Vorbeigehen gedacht: Wenn er auch so grimmig schaut, hätte man ihn doch nicht gleich in die Küchendämpfe setzen müssen. Ich weiß nicht genau, wann das geschehen ist. Aber 1961, als ich mein Studium abgeschlossen hatte und ihn zum ersten Mal sah, stand das Denkmal noch auf dem Hof am Haupteingang. Continue Reading →

Manfred Lorenz (1929-2017) über Rahim Burhanow: Eine Erinnerung

Manfred Lorenz in seinem Berliner Wohnzimmer mit dem derzeitigen Botschafter der Republik Tadschikistan. Im Hintergrund ein Teppich mit dem Portrait des tadschikischen Nationaldichters Sadriddin Ajni. (Foto: Botschaft der Republik Tadschikistan)

Am 25. Mai 2017 verstarb in Berlin unser Lehrer und Freund Prof. Manfred Lorenz. Er wurde 87 Jahre alt. Mit einem Beitrag, den er am 01.10.2014 am Zentralasien-Seminar der Humboldt Universität zu Berlin als Vortrag im Rahmen der Konferenz Wege in die Moderne. Tadschikische Literatur im 19. und 20. Jahrhundert gehalten hat, verneigen und verabschieden wir uns von Manfred, – X-do uro rahmat kunad! – der bis zuletzt seiner Profession und Leidenschaft, der Iranistik, aktiv und mit Freude und Begeisterung nachging

Schwerpunkt seiner jahrzehntelangen wissenschaftlichen Arbeit bildeten die iranischen Sprachen, neben dem klassischen Persisch auch Tadschikisch, Ossetisch und Paschto. Einen kurzen biographischen Werdegang von Manfred Lorenz kann man hier im Nachruf eines seiner Schüler nachlesen. Manfred Lorenz prägte eine ganze Generation von Iranisten und “Afghanisten” – ein gleichnamiger Studiengang wurde unter seiner Leitung 1980 an der Humboldt Universität zu Berlin etabliert. Neben einer Vielzahl an sprachwissenschaftlichen und kulturhistorischen Arbeiten sind die von ihm verfassten Lehrbücher für Persisch (mit B. Alavi, Leipzig 1967; 8. Auflage 1999 München) und Paschto (Leipzig 1979; Neuauflage 2010) sowie seine Mitarbeit am Standardwörterbuch Persisch-Deutsch (Junker/Alavi Leipzig 1965;  die 9., unveränderte Auflage, früher Langenscheidt, ist nunmehr im Harrassowitz Verlag lieferbar) als herausragende wissenschaftliche Leistungen Manfred Lorenzs zu würdigen. Auch als Übersetzer und Herausgeber von Märchen und Kurzgeschichten machte er sich einen Namen.

Das Studienjahr 1957/58 führte Manfred Lorenz als Aspirant erstmals nach Tadschikistan – in ein Land das er seither immer wieder besuchte und das er in der Berliner Wissenschaftslandschaft verankerte. 2011 wurde ihm vom Präsidenten Tadschikistans für seine herausragenden Leistungen und sein Lebenswerk die Auszeichnung “Orden der Freundschaft” verliehen. Bis zuletzt stand Manfred Lorenz in engem persönlichem Kontakt mit Freunden und Kollegen in Tadschikistan. Von seiner Liebe zu den Menschen dieses Landes zeugen auch seine Erinnerungen “Baumwolle und Literatur“, die er im vergangenen Jahr veröffentlichte. Auch der nun folgende Beitrag “Rahim Burhanow, Sohn des Dichters Munzim” findet sich in leicht überarbeiteter Form in diesem Büchlein. Continue Reading →

edition-tethys: im Gespräch

In eigener Sache! Seit heute (4.12.2015) ist ein schönes Gespräch mit Olaf Günther über die edition-tethys und die Kraft von Geschichten in der Wissenschaft online:

nachzuhören hier

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Auch auf der Afghanistan-Seite von Thomas Ruttig gibt es seit dem 23.November eine kurze Beschreibung der “Begegnungen am Hindukusch”.

Und nochmal bei Thomas Ruttig kommentierte Auszüge aus den “Begegnungen am Hindukusch” – es gibt übrigens noch einige Exemplare der ersten Auflage – greift zu und bestellt! mailto: loy@edition-tethys.org

Archäologische Sensation in der Turgai Senke (Kasachstan)

Ein Beitrag von Viktoria Wagner

Ein Mosaik aus spröder Steppe, etlichen Salzseen und kleinen Waldfragmenten durchzieht die Turgai Senke. Das flache Becken erstreckt sich von der Stadt Kostanai, im nordwestlichen Zipfel Kasachstans gelegen, bis in die Halbwüste hin. Die Gegend ist dünn besiedelt. Hier und da trifft man auf kleine Siedlungen, Hirten und Melonenfelder. Manchmal kommen einige Birdwatcher aus dem Ausland vorbei. Ansonsten grassiert hier Landflucht. Zu rauh ist das Klima, zu riskant die Landwirtschaft. Für fremde Augen ist die Steppe nichts als flache Eintönigkeit.

Ausgerechnet diese abgelegene Gegend wurde in den letzten Jahren Schauplatz einer archäologischen Sensation.

 

Ushtogai Square, ein Geoglyph in der kasachischen Steppe, ca. 300km Luftlinie südöstlich von Kostanai (ca. 300m Seitenlänge). N 50.8329°, E 65.3263°). Quelle: Google Earth

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Ein unangenehmer Vorteil

Ein Beitrag von Lutz Rzehak

Das Gauhar-Shad-Mausoleum - Foto Lutz Rzehak (2005)

Das Gauhar-Shad-Mausoleum in Herat – Foto Lutz Rzehak (2005)

Reste blauer Fliesen an einer Kuppel aus gebrannten Ziegeln lassen den Glanz vergangener Zeiten erkennen. Immerhin: Das Gebäude steht noch. Die vier riesigen Minarette, die sich in unmittelbarer Nähe gekrümmt, aber hartnäckig gegen den Himmel strecken, als wolle jedes von ihnen dem schiefen Turm von Pisa seinen Ruf streitig machen, sind dagegen das einzige, was von der Moschee übrig geblieben ist, deren Ecken diese Minarette einmal säumten. Die Kuppel mit den Resten blauer Kacheln bedeckt das Grabmal jener Frau, die diese Minarette und die nicht mehr vorhandene Moschee vor mehr als einem halben Jahrtausend in Herat errichten ließ. Königin Gouhar Schad war eine Schwiegertochter Timurs des Lahmen und doch Großen. Aber nicht für weitläufige Feldzüge und kurzlebige Eroberungen, sondern für ihre außergewöhnliche Bautätigkeit wird diese Frau, deren Name “frohe Perle” bedeutet, als Bauherrin der architektonischen Perle Herat in froher Erinnerung behalten.

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Ishkashimi

Ein Beitrag von Nazar Nazarov

Ishkashim ist eine hochgelegene und schwer zugängliche Region im Hindukusch und Pamir. Ein Regierungsbezirk gleichen Namens gibt es sowohl auf der afghanischen wie auch auf der tadschikischen Seite des Pandsch.

Ishkashim

Straße bei Ishkashim, Tadschikistan – Foto: Karvovskaya

Seit dem Britisch-Russischen Grenzabkommen von 1895 bildet der Fluss Pandsch die Grenze zwischen dem Russischen und Britischen Einflussbereich und zerteilt damit die entlang dieses Flusses lebenden Sprachgemeinschaften (u.a. Shughni, Wachi, Ishkashimi). Auch heute bildet der Pandsch die Grenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan (nach dem Zufluss des Vachsch im Flachland Südtadschikistans heißt der Pandsch dann Amudarja). Zu Zeiten der Sowjetunion war diese Grenze Sperrgebiet und praktisch nicht zu überwinden. Es waren zwei scharf voneinander getrennte Welten, deren Entwicklung bis zu Beginn des 21. Jhd gänzlich unterschiedlich verlief. Continue Reading →

Blogger in Tadschikistan verhaftet

unicef-tm-web-banner-990x257-2Alexander Sodiqov, der seit einiger Zeit den ausgezeichneten und sehr kritischen blog “Tajikistan Monitor” betreibt und für globalvoices aus Zentralasien berichtet, wurde vor einigen Tagen in Khorog von tadschikischen Sicherheitsbeamten festgenommen (angeblich von einer Truppe, die von amerikanischer Seite im Anti-Terrorkampf hochgerüstet wurde). Seither fehlt von ihm jede Spur – Kontakt zu seinen Familienangehörigen und Anwälten durfte er bisher anscheinend nicht aufnehmen. Angeblich wurde er seit seiner Verhaftung am 16. Juni zweimal im lokalen staatlichen Fernsehen vorgeführt. Ihm wird Spionage vorgeworfen.

Alexander Sodiqov, der auch an einer Dissertation an der Uni Toronto arbeitet, war zu wissenschaftlichen Recherchezwecken in den Pamir gereist, um dort ein Forschungsvorhaben der Uni Exeter (UK) zu unterstützen und wurde während eines Interviews mit einem lokalen Politiker verhaftet.

Die gewaltsamen Auseinandersetzungen im Mai in Khorog (Chronologie der Ereignisse hier) scheinen die Behörden noch dünnhäutiger gemacht zu haben, als das nach dem Militärangriff auf die Hauptstadt der GBAO im Herbst 2012 sowieso schon der Fall war. Mit Alexander Sodiqov wurde nun erstmals ein Wissenschaftler von den staatlichen Stellen verhaftet, ohne sich dabei im geringsten um seine Rechte zu scheren.

Wir posten hier den Aufruf von amnesty zur Unterstützung und umgehenden Freilassung Alexander Sodiqovs! Einen Aufruf von Freunden und Kollegen Alexander Sodiqovs gibt es auf Avaaz.org.

URGENT ACTION
PHD STUDENT ARRESTED, HELD INCOMMUNICADO
Tajikistani national Alexander Sodiqov was arrested on 16 June in eastern
Tajikistan while conducting academic research. There are fears for his
safety and concerns that he may face torture or other ill-treatment.
Alexander Sodiqov, who lives in Canada, was detained on 16 June by two State
Committee for National Security officers in Khorogh, capital of eastern
Tajikistan’s Gorno-Badakshan Autonomous Oblast (GBAO). He has not been heard
from since he rang his wife on 16 June at 9.30 pm local time. He did not tell her
where he was being held.
He has not been heard from since. He is not known to have been able to contact a
lawyer.

Alexander Sodiqov is a PhD student at the University of Toronto. He had been
conducting research for a British Economic and Social Research Council project
called Rising Powers and Conflict Management in Central Asia which involves the
Universities of Essex and Newcastle. He was detained while conducting a research
interview with a civil society activist and deputy head of the Social Democratic
Party of GBAO, Alim Sherzamonov.

On 17 June police went into his mother’s home in the capital, Dushanbe, searched it
and removed computer and storage equipment. On 17 June, the State Committee for
National Security (SCNS) issued a statement accusing him of spying for foreign
governments. According to Asia Plus and Radio Free Europe/Radio Liberty, Alexander
Sodiqov appeared on local television in Badakhshan on the evening of 18 June and the
following morning talking about the situation in GBAO. Radio Free Europe’s
reports said that some observers felt the television footage had been edited. On 19
June the head of the SCNS, Saimumin Yatimov, made a statement saying that foreign
spies were operating in Tajikistan under the guise of NGOs and trying to undermine
safety and security in the country.

Alexander Sodiqov has now been held for 72 hours and under Tajikistani law he should
be charged or released.

Please write immediately in Tajik, Russian, English or your own language:
Urging the authorities to reveal Alexander Sodiqov’s whereabouts
immediately, as 72 hours has passed since he was detained and he must be either
charged or released immediately;
Urging them to ensure that he has unrestricted and confidential access to a
lawyer of his choice in line with Tajikistan’s national law and international
obligations;
Calling on them to ensure that he has immediate access to any medical attention
he may require.