Ein Beitrag von Lothar Drechsler
Ich bin in Kathmandu seit einem Monat. Komischerweise wachsen hier, meist da, wo viele Touristen sind, an verschiedenen Orten Plastikweihnachtsbäume mit seeeeehr eigenartigen, teilweise leuchtenden Verzierungen. Diese sind dann gern noch zusätzlich mit Plastikefeu garniert — rundherum stehen Räucherstäbchen.

Tannenbaum in Kathmandu
Manche von ihnen können sogar singen, das klingt wie diese Töne von sich gebenden Weihnachtskarten, nur eben viel lauter und ist fast so schön wie ‘Stille Nacht’ als Auto Rückfahrsignal in Indien. Die Einheimischen reagieren auf die Frage, wieso diese Dinger da stehen, meist mit Antworten a la >>ich
weiß nicht, wieso die da sind<< oder Achselzucken, auch wenn sie kurz zuvor noch am Schmücken beteiligt waren. Zum 24. war die ganze Stupa mit bunten Lichterketten behängt, nur glaub ich nicht, dass das was mit Weihnachten zu tun hatte.

Boudhnath Stupa zu Weihnacht
Das mit den Plastikäumen wirkt umso unvermittelter, wenn sie direkt neben der Boudhnath Stupa, einer der bedeutendsten Stupas, die es überhaupt gibt, stehen. Wenn dann Vollmond (glückverheißender Tag) und Mondfinsternis (ganz ganz besonders glückverheißender Tag) zusammenfallen und nicht nur die normale Pilgermenge ihre Kora dreht, das ist die Umrundung des Heiligtums zum Erwerb religiöser Verdienste und an diesem Tag ganz besonders viele Meriten bringt, machen die Pilger noch gaaaanz viel mehr Runden als sonst. Dazu sitzen dann auch viel mehr Mönche am Heiligtum und rezitieren allerhand Mantren und Gebete (und es läuft ausnahmsweise mal ein anderes Mantra in jenem Shop, in dem wohl seit CD – Player erhältlich sind tageintagaus (außer bei Stromausfall) dasselbe Omanipämehum erklingt).
Was man sonst bei der normalen Umrundung auch relativ selten sieht, sind Pilger, die die Umrundung mit Niederwerfungen begehen. Für seine Lieben oder Verstorbenen kann man Butterlämpchen entzünden, also sieht man davon, feinsäuberlich auf Tischen aufgereiht, hunderte (vielleicht auch mehr) von kleinen Flämmchen in kleinen goldenen Schälchen im Winde wehen, die den Platz in ein herrlich warmes flackerndes Licht hüllen. Neben den Tischen stehen meist Frauen und Kinder und zünden die ausgegangenen Lichter wieder an oder füllen die Lichter nach, wenn sie kurz vor dem erlöschen sind. Dazu kommen gleich daneben Touristen mit dicken fetten Kameras, die alle dasselbe wildromatische Bild haben wollen.
Und weil das alles so besonders glückverheissend war, gabs auch eine besondere Puja. Von außen hört man da meist Chöre von tiefen Stimmen und den Klang verschieden hoher Blechblasinstrumente, Geräusche, die gerade früh am Morgen wohl nur die Dharma-Touristen in Hochstimmung versetzen. Es brachten alle große Mengen von Keksen, Reis und solcherlei Dingen, die in einem nahzu zimmergroßen Haufen vor einer Statue aufgehäuft wurden, um da geheiligt, besprochen, beposaunt und durch Unmengen verbrannten Wacholders gereinigt wurden, um im Anschluss an die Armen (die in ebensogroßer Zahl anwesend waren) verteilt wurden. Man kann sich den Auflauf und die Geschwindigkeit in der der Haufen weg war, sicherlich gut vorstellen. Interessant war nur, dass wir genau in dem Moment, als die Verteilung begann ziemlich nah an deren Ort standen und erstmal gar nicht mehr wussten, was gerade passiert.
Was an diesem Bild natürlich nicht fehlen durfte, waren Unmengen von Bettlern aller Couleur, die einen auch gern ein Stück auf dem Wege begleiten. Auch deutlich mehr als normal, aber man kennt trotzdem viele der Gesichter, ebenso wie Menschen, die zu faul zum Laufen sind und daher überall mit dem Motorrad oder Motorroller hinfahren müssen, egal wie groß das Gedränge ist. Hupen hilft meistens! Und zur Puja muss man den Helm auch nicht absetzen.
Dafür konnte man nachmittags beobachten, wie die Stupa geschmückt und frisch bemalt wurde. Mehr Gebetsfähnchen als sonst, Blumen, zusätzliche Kerzen und Butterlämpchen. Sah alles zusammen herrlich aus im Vollmondlicht. Hinterher zogen die Tibeter singend und tanzend durchs Viertel begleitet vom allabendlichen Chor der Strassenhunde (auch wenn die letzteren sich doch von den Tänzern fernhielten).
…und irgendwo hupt ein Moped…
In den Wochen vorher gabs abends meist den Klang von Feiern, da der Dezember anscheinend glückverheissend für’s Heiraten ist und daher alle Nase lang jemand der Heirat wegen am Feiern war. Aber die Buddhisten sind ja nicht so, und genügend viele Klöster gibts hier in Boudha auch, die machen dann den Tag über Puja, ob da nun nyingma monlam dransteht und deswegen 4 Tage lang die ganze Stupa voller Mönche ist, die die ganze Zeit gebete rezitieren. Das wirkt genauso eigenartig, wie wenn man dazu bei gut 20° neben einem Plastikweihnachtsbaum sitzt und von der anderen Seite die Generatoren vor sich hinlärmen und alle anderen permanent hupen, in der Hoffnung, sie würden dann besser wahrgenommen werden.
Aber eine etwas eigenartige Zusammenstellung von Sinneseindrücken habe ich schon, seit ich unterwegs bin und bei Wienerwalzer (ich fühlte mich nicht mehr im Stande die 5 verschiedenen Bollywoodkanäle zu ertragen und entschied mich daher für Klassik) und herrlichstem Bergpanorama (ich hatte das erste Mal einen Fensterplatz ohne Wolken im Flugzeug, sogar auf der richtigen Seite) nach Kathmandu einflog.
Oder man feiert den Jahrestag der Verleihung des Friedensnobelpreises an den Dalai Lama, mit einem gräßlich übersteuerten Mikrofon bei der Puja, dann wird sein Bild mit Ehrenschirm und Prozession um die Stupa getragen, begleitet von einer paukenden Schulkapelle mit schrillen Flöten.
Aber das waren nur die Highlights. Abgesehen von dem permanenten Gehupe, dem Fluglärm (ist direkt unter der Einflugschneise zum Flughafen) und den die ganze Nacht bellenden Hunden, lebt es sich angenehm ruhig in Boudha. Die meisten Touris leben in anderen Vierteln und man ist etwas abseits vom normalen Chaos der Stadt.
Da Strom hier normalerweise aus Wasserkraft gewonnen wird und Wasser in den Bergen gern mal einfriert, wird man gezwungen Strom zu sparen, will sagen, der Strom wird einfachmal abgestellt, meist vormittags und nachmittags/abends ein paar stunden (grad dürften es so zwischen 6-8 Stunden am Tag sein), aber versteh mal einer den laod-shedding plan, wenn man es denn schon schafft einen in englisch aufzutreiben und dann auch noch zuordnen kann, in welchem Bereich man wohnt, die schreiben da nämlich clevererweise Bezirk 1-6 drauf, aber kaum einer kann sagen, welcher Bereich welche Viertel umfasst… (und mit dem Wasser hat es auch schon angefangen, nur weiß ich nicht, ob das von oben kommt, oder irgendwas im Haus nicht funktioniert.). Irgendwann geht halt einfach das Licht aus und man hofft alle zwei Stunden später, dass es wieder angeht. Der Akku vom Laptop macht grad noch 2 Stunden mit und dann muss ich mir eben wieder irgendwelche Bücher kaufen, damit ich was zu tun habe. Hab mittlerweile schon angefangen, mir tibetische Bücher zu suchen, damit ich nicht so schnell vorankomme mit dem Lesen.
Den Rest der Zeit bringe ich damit zu, Cataloge zu wälzen und versuche mir eine Ordnung zu überlegen, mit der ich die vielen Namen und Ortsbezeichnungen beherrschen kann, vom Inhalt ganz zu schweigen. Und weil die Sommerstimmung des Nächtens (die doch recht kühl sind) immer
wieder aufhört, gerade wenn man weder dichte Fenster noch Türen hat und die Zimmer alle zur Nordseite ausgerichtet sind (man baut hier die Badezimmer gern nach Süden, in der Hoffnung sie sind dann trockner…), hab ich mir ‘nen herrlichen Schnupfen eingefangen. So ist das hier.