Angriff auf Khorog – Ein Erinnerungsgespräch

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Blick auf Khorog

Der folgende Beitrag handelt vom militärischen Angriff auf Khorog in der Nacht vom 23. auf 24. Juli diesen Jahres und den darauf folgenden Ereignissen aus Sicht einer unbeteiligten Bürgerin Khorogs. Als Bewohnerin des Stadtteils UPD war sie direkt von den Angriffen betroffen. Das Interview wurde ins Deutsche übersetzt.
tethys dankt für die Einsendung.

Interview:
Was passierte am 23. Juli 2012 in Khorog?
Mein Mann kam an diesem Tag schon früher von der Arbeit nachhause und er sagte, dass die Situation in der Stadt nicht stabil sei. Ich habe in dem Moment nicht verstanden, was er damit meinte. Früh am morgen schliefen wir, wir schliefen. Gegen 3.40 bzw. 3.50 Uhr, ich erinnere mich nicht mehr so genau, da begann bei uns die große Bombardierung. Früh am Morgen 3.40 Uhr haben sie uns bombardiert. Ich habe zuerst gedacht, Steine fallen herunter oder ähnliches passiert da draußen. Aber sie haben angefangen die Stadt anzugreifen. Und die Bombardierung dauerte ganze 18 Stunden – 18 Stunden!

Hatten sie keine Informationen darüber, was passieren wird?

Überhaupt nicht. Wir haben angefangen Marmelade einzukochen. Zu dieser Zeit fangen wir immer an Marmelade zuzubereiten. Als die Bombardierung passierte, waren wir ganze zwei Tage zuhause. Das Resultat des Angriffes: in unserem Stadtteil UPD* sind 13 Menschen gestorben.

[*Anmerkung d. Übersetzers: UPD liegt im südöstlichen Teil Khorogs. Das Akronym UPD stammt aus Sowjetischer Zeit und steht für Upravlenie Pamirskikh Dorog – Pamirische Straßenbehörde, die dort ihren Sitz hatte. In diesem Stadtteil wohnen heute einflussreiche Personen aus der Wissenschaft, aber auch aus dem Drogenmilieu und dem internationalen Jagdgeschäft.)

Ihr Stadtteil UPD war sehr stark in die Kampfhandlungen einbezogen?

Natürlich, direkt. Es passierte direkt bei uns im Garten. Die Soldaten hatten unser Haus umzingelt, sie kamen von allen vier Seiten. Und dann haben sie angefangen, uns zu bombardieren. Wir konnten nicht einmal Wasser holen gehen, weil überall Soldaten waren. Es war eine schreckliche Situation. Sie haben die Leute umgebracht. Erst danach, am Morgen des 25. Juli konnten wir wieder auf die Straße.

Wie haben die tadschikischen Soldaten sie behandelt?

Sie standen in den Bergen, die Scharfschützen, und haben auf die Leute geschossen. Zwei Tage wir sind nicht auf die Straße gegangen. Es war so eine große Bombardierung. Die Fenster sind kaputt gegangen und Geschosse haben sie abgefeuert. Wenn du hinaus gegangen wärst, hätten sie dich erschossen. Wir haben im Korridor auf dem Fußboden gelegen. Zwei Tage waren wir ohne Essen, ohne Brot und ohne Wasser.

Konnten sie telefonieren?

Am 23. Juli spätabends haben sie das Telefon abgestellt. Das haben sie als allererstes gemacht. Das Handynetz und den Strom haben sie abgestellt. Wir konnten niemanden mehr anrufen. Ich habe versucht meine Schwester anzurufen. Wir haben ja nicht gewusst, dass es so kommt.
Wir haben 10 Stunden auf dem Boden gelegen und als die Kinder angefangen haben zu schreien, sind wir aufgestanden. Wir hatten noch ein bisschen Brot und Milch im Haus, das haben wir geholt. Wir wussten ja nicht was passiert, sonst hätten wir [vorher] etwas gekauft. Wir haben auch keine Toilette [im Haus]. Wir sind also ins Nachbarzimmer gegangen und haben in einen Eimer gepinkelt. So schrecklich war das. Da gab es Leute, die gingen auf die [Außen]Toilette oder schauten nach draußen, ob ihre Häuser in Ordnung sind und wurden dabei erschossen. Umgebracht. Das ist sehr traurig.

Sind die Soldaten in ihr Haus gekommen?

Bei meiner Schwester haben sie das Haus besetzt. Sie wohnt weiter unten an der Straße. In ihrem Haus haben die Soldaten eine Woche gelebt. Sie sind gekommen und haben ihrem Mann und ihrem Bruder gesagt, dass sie nicht ihr Zimmer kommen können.

Wie lange dauerte der “Krieg”?

Es fing an am 23. Juli [in der Nacht zum 24. Juli], und am 25. Juli konnten wir wieder auf die Straße. Wir sind am 25. Juli zu Demonstrationen gegangen. Alle Frauen von Khorog sind zu dem Treffen gegangen. Ich habe über meine Nachbarn und Verwandten die Frauen informiert. Wir sind dann gemeinsam zusammen zum Leninplatz gegangen. Wir haben eine behelfsmäßige Fahne gebaut.

Was für eine Fahne?

Wir haben eine weiße Fahne gebaut, damit sie uns nichts tun. Damit wir friedlich leben können. Eine weiße Flagge heißt doch, wir sind nicht gefährlich.

War es nicht gefährlich, so eine Fahne zu haben?

Wissen Sie, so etwas hatten wir noch nicht im Pamir. Das war schrecklich und natürlich auch gefährlich. Wir haben für unsere Rechte als Pamiris eingestanden. Ich habe bei dem Treffen durch das Mikrophon gesprochen. Wir haben zu den Leuten gesagt, es wird alles gut, wenn wir zusammen demonstrieren. In den Minuten habe ich an mein Land gedacht. Damit es unseren Kindern besser geht. Es war eine schwere Zeit für die Menschen in Khorog. Wir haben unseren Imam “Aga Khan” angerufen, dass er uns helfe.

Bei dem Treffen waren auch andere Leute, der Gouverneur, die Stadtregierung und die Frauen aus Khorog sind gekommen.

Alle haben gesagt, wir müssen zusammenhalten und gemeinsam etwas tun. Jeder Schüler wusste, wie schrecklich es war. Bei uns gibt es wichtige Grenzen zu Afghanistan, China und Kirgistan, das ist eine sensible Region und es ist wichtig, dass es hier friedlich bleibt, das habe ich durchs Mikrophon gesagt.
Wir schliefen während der Demonstration auf Matratzen. 30 Stunden haben wir dort auf dem Platz ausgeharrt und haben auf eine Entscheidung gewartet. Jede Minute haben wir uns gefragt, was wohl noch passieren wird? Es gab Gerüchte, die tadschikischen Soldaten würden uns den Schmuck stehlen und unsere Ohren abschneiden, aber das ist nicht passiert. Am Ende gab einen Kompromiss. Die Militärführung sagte das. Bis zum Ende sind wir zufrieden mit dem Leben. Wir leben für das Leben unserer Kinder.

Dann gab es noch eine Demonstration in Khorog?

Sie haben den Invaliden Imum Imumnazarov umgebracht. Er wohnte in UPD. Danach gab es Proteste, das war unmenschlich.

Wie sah UPD nach dem Krieg aus?

Alle Häuser waren kaputt. Unseren Stadtteil hat es am schwersten getroffen.

Wie viele Menschen sind aus UPD gestorben?

13 Menschen sind gestorben. Insgesamt waren es 25. Einige sind aber erst danach, im Nachhinein, vom Stress gestorben. Sie hatten Probleme mit dem Herzen oder wurden taub von den Kriegserlebnissen in diesen Tagen. Ich kenne viele, die nach dem Krieg gestorben sind.

Wie verlief der Präsidentenbesuch? Waren sie froh, dass der Präsident kommt?

Natürlich nicht! Die Leute aus Khorog äußerten sich viel über das Internet und durch Zeitungen. Wir dachten, jetzt kommt der Präsident und sie wollen, dass er hier oben umgebracht wird. Aber das ist zum Glück nicht passiert. Niemand von uns hätte das gewollt, wir hatten große Angst und sind nicht aus dem Haus gegangen.

Gab es nach dem “Krieg” Kompensationszahlungen zum Wiederaufbau ihrer Häuser?

Es hat 200-300 Somoni [ca. 50 Euro] gegeben. Nicht alle haben etwas bekommen, nur diejenigen wo viel zerstört war. Es war eine Art Hilfe. Jetzt danken wir Gott. Wir danken Gott, dass es wieder Frieden gibt für uns und unsere Kinder. Wir hoffen, dass jetzt bald das Recht heir wieder Einzug erhält.

In Khorog kursiert das Gerücht, dass es bis Januar das nächste Ultimatum gibt, um die Waffen abzugeben?

Ich weiß nicht, was unsere Leuten haben, ob sie Waffen haben oder nicht. Ich denke, es wird nicht ruhig bleiben. Es ist zu viel passiert. Ich muss meine Söhne zur Ruhe ermahnen. Zum Beispiel im Moment haben wir an der Universität eine Kommission des Tadschikischen Präsidenten zu Gast, die derzeit überprüft, ob die Studenten in Khorog linientreu sind, im Sinne des Präsidenten. Das ist der KGB.

Gibt es in dem Stadtteil UPD viele Kriminelle?

Dort gibt es zwei oder drei Leute, die die anderen kommandiert haben. Ich habe aber noch nicht gehört, dass sie gegen die Regierung sind oder gegen deren Politik. So etwas gab es noch nicht in Khorog.

Wie geht es ihrer Tochter nach dem Krieg?

Sie hat Angst. Sie will nur zuhause sitzen und nicht auf die Strasse. Nach dem Krieg schreien vor allem viele kleine Kinder grundlos, wenn Steine herunterfallen oder wenn es laut ist. Wir hoffen natürlich dass alles wieder gut wird im Pamir.

Vielen Dank für das Gespräch.

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