Avantgarde und das Privileg der Provinz

Ein Beitrag von olimdevona

[inspic=536,left,,0] Im Norden Usbekistans am südlichen Rand des sterbenden Aralsees liegt ein Land, dass sich heute Karakalpakistan nennt, das Land der Leute mit dem Schwarzen Hut. Von den Zentren des sowjetischen Imperiums aus gesehen, wie auch heute aus der Perspektive des unabhängigen Usbekistan, ist der Landstrich am Aralsee tiefste Provinz. Seine Hauptstadt Nukus ziert jedoch ein Museum, das wohl nur der Provinzialität seines Standortes verdankt, dass es überhaupt entstehen konnte, das Sawitzki Museum.

In den letzten Jahren wurde viel getan, um die Bekanntheit des Museums zu stärken. Viele Touristen lösen ein Flugticket nach Nukus, allein um das Museum zu besuchen. Im Allgemeinen jedoch ist die Geschichte dieses Museums, dass das Schicksal der modernen Kunst Rußlands und Zentralasiens entscheidend mitbestimmte, im Westen wenig bekannt.

[inspic=532,left,,150] Igor Savitsky (1915-84), war ein in Kiew gebürtiger Russe mit Studium in Moskau. 1942 kam er das erste Mal nach Samarkand, eher zufällig, denn hierher evakuierte man die Studenten des Moskauer Sunkov Instituts. Hier machte er die erste Bekanntschaft mit Künstlern der Region, solchen wie Robert Falk. Deshalb nahm er auch voll Freude 1950 das Angebot an, als Maler an der berühmten choresmischen Expedition des Ethnologen und sowjetischen Wissenschaftsmanagers Tolstow teilzunehmen. Er war dabei von den ethnographischen Funden so begeistert, dass er sich entschloss, sich mehr der Ästhetik der Steppe und der Kunst, die sie hervorbrachte, zu widmen.

Im Anschluss an die Expedition blieb er 7 Jahre in der Steppe, gab darauf sein Leben in Moskau ganz auf und konnte in Nukus in der Akademie der Wissenschaften arbeiten. Er fuhr oft in die Dörfer der Region, sammelte Teppiche, Kleidung, Schmuck und andere Gegenstände der Alltags- und Gebrauchskunst. Er sammelte, skizzierte, malte viel in dieser Zeit und leitete eine Reihe von Schülern zur Malkunst an.

[inspic=535,,,]Irgendwie konnte er die Politiker der Autonomen Republik Karakalpakistan, die in Nukus residierten, davon überzeugen, dass ihre Hauptstadt auch ein Kunstmuseum bräuchte. 1966 wurde er selbst zum Direktor eines solchen Museums gemacht. Von da hängte er die eigene Malkunst an den Nagel und widmete sich ganz und gar der Kunstsammlung in einem äußerst originellen Sinne. Er kombinierte Kunst aus Archäologischen Funden, (die Expeditionen in die archäologischen Grabstätten leitete er selbst), mit der Alltagskunst der lokalen Bevölkerung und der Avantgardekunst Zentralasiens.

[inspic=531,,,]Die Avantgardekunst interessierte ihn aus einem einfachen Museumspädagogischen Grund: Er wollte im verschlafenen Nukus seinen Schülern zeigen, in welche Richtungen Künstler in Moskau und Taschkent in den 1920er und 1930er gearbeitet hatten . So sammelte er Zeichnungen und Gemälde von Künstlern, die eine Beziehung zu Zentralasien hatten, wie Isupov, Kramarenko, Ulyanov, and Voloshin und Arbeiten der Gründer der Zentralasiatischen Kunstschulen wie R.Mazel, Volkov, Kurzin, Falk, Karakhan, Tansykbaev and Ufimtsev.

Das Spektrum seines Interesses und seiner Kaufbemühungen reichte von den realistischen Schulen (e.g. P. Benkov, Z. Kovalevskaya) jener Jahre bis hin zur Avantgarde Kunst ( V. Ufimtsev, V. Lysenko). Alle diese Schulen waren multinational, auch wenn die meisten der Künstler aus Rußland kamen. Der Islam beflügelte mit seinem Bilderverbot nicht nur die Kunst der Kalligraphie, der kunstvollen Schreibung heiliger Verse. Es gab ebenfalls Synergieeffekte durch den islamischen Hang zu abstrakten Formen in der reichhaltigen ornamentalen Kunst, die sich traditionell im Kunstschmiede- und Schnitzhandwerk wiederfand. Die Verwobenheit lokaler, islamischer und europäischer Denkmuster und Ästhetiken zeichnen denn auch die Avantgarde der 1920er und frühen 1930er Jahre in Zentralasien.

[inspic=534,,,]Die politische Enge der Stalinzeit noch im Nacken, spürte er, dass in Sachen der Akzeptanz von zeitgenössischer Kunst die politischen Enge auch in der Nachfolge Stalins anhielt. Er jedoch wollte dieser Enge durch eigene Arbeit entkommen. So nutzte er seine Bekanntheit in der russischen Künstlerszene, um die Arbeiten von Künstlern, die mit Arbeitsverbot belegt waren, abzukaufen. Diese Künstler waren in den 1930ern unter den stalinschen Generalverdacht des Formalismus gekommen und malten oft nur noch in der inneren Imigration. Er nutzte private Kontakte und das gegenseitige Vertrauen zwischen Museum und Politik in der Provinzstadt Nukus, um sein Museum mit tausenden Exemplaren sowjetischer Avantgarde zu bereichern. Zur Finanzierung dieser Ankäufe nutzte er neben den offiziellen Fonds ebenso die Gebefreude der gebannten Künstler, da diese ihre Kunstwerke durch die Konservierung im Museum sicher sahen. 1984 starb Savitsky nach monatelangen Klinikaufenthalten in Moskau. Das Museum erkämpfte sich erst nach 1991 mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion seine internationale Bekanntheit und ist heute eines der bekanntesten Museen der Region.

Die Veröffentlichung der Fotos von der homepage des Museums geschah mit freundlicher Genehmigung der Museumsdirektion.

One Thought on “Avantgarde und das Privileg der Provinz

  1. Pingback: Readers Edition » Avantgarde und das Privileg der Provinz

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Post Navigation