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Amin Hodscha wurde in einer Kolchose im inneren Deltagebiet des Amu Darjas in Karausek geboren. Er wuchs in einer Kolchose im Gebiet des Kasachdarja auf. Die Menschen lebten hier vor allem vom Fischfang. Gefischt wurde im Kasachdarja, einem Amu Darja-Kanal und in einer mit dem Aralsee verbundenen Bucht. Sein Familienname deutet eigentlich auf eine religiöse Familienbiographie hin.
Jeder, der in den 1930er Jahren mit der Religion in Verbindung stand, hatte drei Optionen. Entweder er flüchtete, wurde verfolgt oder bog schleunigst seine Familiengeschichte sozialistisch gerade. So hatte sich die einstige Hodschafamilie zu einer einfachen Kolchosfamilie gewandelt. Bald nachdem Amin geboren wurde, wurde der Kolchos zu einem Fischerkolchos umorgansiert und seine Mitglieder aus dem Deltainneren an die Küste des Aralsees nach Muinak verlegt, wo sie die nächsten Jahre Fischen sollten. Sommer wie Winters fuhren sie auf den See hinaus. Mal in Booten zu zweit, mal in der Brigade auf dem Schlitten aufs Aralseeeis. Die Arbeit war einfach, die Stunden auf den Booten schweigsam und noch reichlich Fisch im Wasser. Doch dann kamen die 1960er Jahre, das Wasser begann zurückzuweichen und die Schifffahrt bei Muinak wurde eingestellt.
Da der Kolchos seine Bestimmung zu fischen nicht abgelegten, wurden sie wieder in das Deltainnere geschickt, um dort zu fischen. Die Männer fuhren für mehrere Wochen am Stück die Flußarme des Amu-Darja hinauf. Ihre Familien blieben in Muinak. So ging das, bis auch das Delta verschwand und nur noch so wenig Wasser ankam, dass die gewerbsmäßige Fischerei aufgegeben wurde. Irgendwann in den 90ern wurde Amin Hodscha dann Rentner und lebt seitdem in Muinak.
Auf die Frage, was er denn über den Aralsee und sein Verschwinden gedacht habe, erzählte er uns eine merkwürdige Geschichte. Die Leute sagen, begann er, dass unter dem Aralsee ein Deckel sei, sowas wie ein Gullideckel, und diesen hat man weggeschoben und das Wasser ist daraufhin aus dem See abgeflossen. Man könnte das als dubiosen Aberglauben abtun. Aber hinter diesen Vorstellungen verbirgt sich ein alter Glauben, der bei den Turkvölkern vor der Islamisierung existierte. Im Schamanismus der Turkvölker teilte man die Erde in drei Sphären ein, in die Oberwelt, die Mittelwelt, die Unterwelt. Die Oberwelt ist die Welt der Götter und über eine Öffnung in der Himmelskuppel zu erreichen. Die Unterwelt ist die Welt der Toten. Alle drei verbindet der Weltenbaum, die axis mundi.
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Nach der Vorstellung Amin Hodschas ist das Wasser in die Welt der Toten geflossen. Und wirklich, will man heute ein Grab ausheben, stößt man bald auf Grundwasser. Denn das Verschwinden des Oberflächenwassers führte zur Anhebung des Grundwasserspiegels. Einen Toten aber im Wasser verfaulen zu lassen, ist nach Vorstellung der Leute in der Region das Übelste, was man ihm antun kann.
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