Das Grab von Payrav Sulaymoni

Ein Beitrag von Massud Hosseinipour

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Shah-i Zinda – Panorama Hosseinipour

Der berühmte tadschikische Literat Payrav (Otadschon) Sulaymoni starb am 09. Juni 1933 in Samarkand an Typhus und hinterließ zwei Töchter. Seine Grabstätte liegt auf dem Gelände von Schah-i Zinda, einer der bekanntesten und größten Grabanlagen Zentralasiens. Macht man sich auf die Suche nach Sulaymonis Grab, wird man es jedoch auf dem etliche Hektar großen Friedhof kaum finden. Hinweisschilder gibt es keine und seit einigen Jahren trennt auch noch eine Autostraße (die Toshkent yo’li) den nördlichen Teil des Friedhofes von einem früher einmal zur Nekropole gehörenden Gräberfeld ab. Eines der Gräber dort ist das von Sulaymoni. Es lag also bereits 1933 an der Peripherie des damals nicht voll belegten Friedhofes.

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Das Grab Payrav Sulaymonis (Samarkand) – Foto Hosseinipour

Der Grabsuchende muss heute, vom Kolchoz-Bazar kommend, an der Hazrat-i Chezr Moschee vorbei den Weg linkerhand von der Toshkent yo’li zum Hamdaddin Basir Mausoleum nehmen. Nach etwa 200 Metern liegt das Grab des Dichters am Wegrand, im Schatten einiger Maulbeerbäume und überwuchert von Stauden und Sträuchern.
Ich suchte lange vergeblich nach dem Grab und erfuhr erst davon, als ich A’alam Chon, den belesenen und immer gut informierten Vorbeter der Hazrat-i Chezr Moschee, gefragt hatte.

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Der Autor und A’lam Chon – Foto Hosseinipour

Die zur Sowjetzeit errichtete Grabstätte wirkt heute ungepflegt und heruntergekommen. Anscheinend hat sich lange Zeit niemand mehr darum gekümmert. (Es ist anzunehmen, dass das Grab in seiner heutigen Form aus den 1960er oder 1970er Jahren stammt.) Die Rückseite des Grabes bildet ein etwa ein Meter hohes, dreiteilig betoniertes Mäuerchen, das mit grauen Marmorplatten verkleidet war. Ein Relief von Payrav Sulaymoni schmückt den Mittelteil der Wand. Gut die Hälfte der Mamorplatten haben sich von ihrer Trägerwand gelöst. Einige davon wurden an die Grabwand gelehnt. Auf einer dieser Platten ist eine Friedenstaube eingemeißelt. In arabischer Schrift ist darauf zu lesen: „Otajon Payrav Sulaymoni, Buchara 1899, Samarkand 1933“. Auf einer zweiten Platte findet sich die gleiche Information in kyrillischer Schrift.

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Das Grab mit dem Portrait des Dichters – Foto Hosseinipour

Vor der Grabrückwand befindet sich eine abgestufte Einfriedung. Darin liegt ein aus Stein gehauenes aufgeschlagenes Buch. Auf diesen Seiten steht in kyrillischer Schrift ein persischer Vers und dessen Übersetzung ins Russische aus dem Gedicht „Qalam“ von Payrav Sulaymoni:

تا جهان هست زنده خواهم بود همین قلمم عمر جاودان من است
So lange die Welt steht, bleibe ich auch lebendig
Diese Schreibfeder ist mein ewiges Leben

Das kurze Leben Otadschon (Payrav) Sulaymoni (1899-1933) spielte sich ab am Übergang vom alten 19. Jahrhundert zum neuen 20. Jahrhundert. In dieser Zeit verbreiteten sich in der Welt neue, sozialpolitische Ideologien – auch im Emirat Buchara. Mit knapp einundzwanzig Jahren erlebte Otadschon die Vertreibung des Emirs und die Umwandlung seiner Heimat Buchara vom „Emirat“ zur „Volksrepublik“ und nur vier Jahre später deren Auflösung und Eingliederung in die neu gegründete Sowjetrepublik Uzbekistan. In diesen Jahren begann sein literarisches Schaffen unter dem Künstlernamen Payrav, was auf persisch-tadschikisch „der Anhänger“ bedeutet. Die letzten Verse aus seinem Gedicht „Qalam“ (die Schreibfeder) geben vielleicht einen Hinweis darauf, warum er für sich dieses Pseudonym wählte:

منم از پیروان خامه سرخ قلمم شاهد زبان من است
Ich bin einer der Anhänger der roten Schreibfeder
und so ist meine Schreibfeder Zeuge meiner Zunge

Payrav schrieb sowohl Prosa als auch Poesie, wobei seine Berühmtheit auf die Poesie gegründet ist. Auch in seiner Dichtung lässt sich der Übergang von der alten zur neuen Welt erkennen. Einige seiner Gedichte wenden sich von der klassischen Form ab und gehören zur Kategorie des „neuen Gedichtes“ (Sche’r-i nau) einer modernen Strömung der persisch-sprachigen Dichtung, die zu jener Zeit auch im Iran ihren Anfang nahm. Wegen der Errichtung des „Eisernen Vorhanges“ in den 1930er Jahren und durch die zweimalige Änderung des Alphabets für das in Sowjetisch-Zentralasien gesprochene Persisch – 1929 wurde eine Lateinschrift für das sogenannte Tadschikisch eingeführt, das am Ende der 1930er Jahre von einer kyrillischen Schrift abgelöst wurde – konnten die Werke von Sulaymoni und seiner Zeitgenossen kaum Leser in Afghanistan und Iran erreichen. Daher genießt Payrav in diesen beiden persischsprachigen Ländern nicht den Bekanntheitsgrad wie in Tadschikistan und Usbekistan.

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Abgefallene Marmorplatten mit dem Namen des Dichters – Foto Hosseinipour

Als Payrav Sulaymoni im Jahre 1931 seinen Gedichtband Schokuf-i adabiyot (Blüten der Literatur) veröffentlichte, musste er von Kritikern einige politische Schmähungen über sich ergehen lassen. Er wurde attackiert und als „Chauvinist“ und „Antirevolutionär“ beschimpft. In jenem Jahr verfasste er einen offenen Brief an die Zeitschrift „Tojkiston-i surch“ (Rotes Tadschikistan). Dieser Brief wurde – aus welchen Gründen auch immer – von ihm nicht abgeschlossen und versandt. Darin geht er zu Beginn auf seine Lebensgeschichte ein und stellt fest „dass er es nie verborgen hat, dass seine Ahnen Juden waren“. Er weist in dem Brief darauf hin, dass der Vater seines Großvaters zu den Maschhader Juden gehörte, die gezwungen waren nach einem Pogrom in Mashhad im Jahre 1839 zum Islam überzutreten (und forthin Jadid-al-Islam genannt wurden). Daraufhin sei dieser Mann mit seinem Bruder nach Marv (im heutigen Turkmenistan) geflohen. Er heiratete dort ein turkmenisches Mädchen und gründete mit ihr eine Familie. Später siedelten sie als eine Kaufmannsfamilie nach Buchara um. Dieser unvollendete Brief wurde 1959 in dem Gesamtwerk von Sulaymoni durch eine seiner beiden Töchter originalgetreu veröffentlicht, in späteren Auflagen des Buches wurde aber die Textpassage hinsichtlich der jüdischen Vorfahren weggelassen. Der Grund könnte darin liegen, aus Payrav Sulaymoni einen echten Tadschiken machen zu wollen.

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