Keine Kinderarbeit?

Eine Beobachtung von olimdevona

Neulich in Buchara… Teppichzentrum am Kajan Minarett, eine junge Dame, die die Besucher über Bucharas Teppiche aufklärt, beteuert im besten amerikanischen Englisch, dass die Teppiche in Buchara die weltweit preiswertesten Knüpfteppiche persischer Machart seien. Wer sie billiger anbiete, könne das nur noch durch das Ausbeuten von Kindern tun. Eine Behauptung, die bei den anwesenden deutschen Touristen sofort heftiges Kopfnicken hervorruft. Kinderarbeit ist in ihren Augen etwas schlimmes. Das kann keiner gut finden. Bucharateppiche aber schon.

Szenenwechsel wenige Jahre zuvor, irgendwo im Ferghanatal. Eine Führung von Reisenden bringt folgendes zu Tage: Angesprochen auf die herumreisenden Zirkustruppen, mit denen ich arbeite, wird mir von einer uzbekistanischen Freundin nahegelegt, darauf hinzuweisen, wie früh hier die Kinder in die Zirkustruppen integriert und die Meisterschaft dieser Kunst erlernen würden. Ein Dilemma tut sich auf. Was die moderne Gesellschaft sanktioniert, wird in der traditionellen Gesellschaft als eine Errungenschaft gesehen. Das zieht sich durch viele Bereiche. Bei einer Führung durch das Faizulla Hodschaev Museum kommt es zu einer Vorführung einer mittelasiatischen Wiege (Beschik). Hier werden Kinder auf ein Bett gebunden, der Urin durch ein Loch im Boden abgeführt. Das Kind liegt so seelenruhig, braucht keine Plastikwindel und ist so auch nicht Innentemperaturen von über 40 Grad Celsius im Geschlechtsbereich ausgesetzt. Die Touristen führen eine Diskussion, auf der Wörter wie “Tortur” und “Ertragen müssen” in den Raum gestellt werden. Die Mütter des Nachkriegseuropas waren Freunde der freien Körperbewegung und stehen der traditionellen Steck- und Wickeltechnik von Kindern skeptisch bis feindlich gegenüber. Eine trockene Bemerkung des usbekischen Fremdenführers im Nachhinein: Offiziell müsse jeder Arzt in Uzbekistan die Wickeltechnik auf der Beschik kritisieren. Sie ist verboten. Tatsächlich aber habe jeder dieser Ärzte auch eine solche Wiege bei sich zu Hause zu stehen.

Meister und Schüler an einem Verkaufsstand auf dem Ark in Buchara 2010. Foto: Guntram Walter

Apropos Kinderarbeit. Es ist ja nicht neu, dass sich in Gesellschaften Altes und Neues gegenüber stehen, das ist auch mit der Kinderarbeit so. Da wird zum Beispiel in Musikerfamilien hervorgehoben, mit welchem Alter die jungen Wunderkinder schon am Klavier brilliert hätten. Nicht nur Bach lies alle seine Kinder hochnotpeinlich hier stundenlang üben. Der junge Mozart wird hervorgehoben, in welchem Alter er schon komponiert hätte. Die Liste kann beliebig fortgesetzt werden und geht hinein in so manches Bürgerhaus heute. Musikalische Meisterschaft geht nicht ohne Qual und frühen Beginn und das “es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen” ist nicht umsonst zum geflügelten Wort geworden. Mal abgesehen davon, dass auch ich früher mein Geld durch das Sammeln von Flaschen und Altpapier bei älteren Herrschaften verdient habe, Ferienjobs angetreten habe ab dem Zeitpunkt, ab dem auch das legal war, in meinen Augen damals zu spät…

Aber zurück nach Zentralasien. Auch hier währt der Streit schon lange, wie denn Kinder aufwachsen sollen. Die Reformer verfassten ab dem späten 19ten Jahrhundert jede Menge Texte, in denen der blutrünstige Dorfschullehrer die Schüler besinnungslos prügelte. Der häufig gesagte Satz eines Vaters zu einem Lehrer: “Mein sind die Knochen, dein ist das Fleisch” wurde so umgedeutet, das Prügeln als ein Kavaliersdelikt an einer Nachbarschaftsschule gesehen wurde. Das dieser Spruch aber eigentlich bedeutete, “Du formst mir meine Kinder, aber ich habe sie gezeugt.” zeigt, wie sehr Eltern mit der Behandlung ihrer Kinder einverstanden sein mussten und keiner Ungerechtigkeiten lange erduldete.

Kinder wurden oft ein Teil der Meisterschule. Das ist auch durch das alte, durch Sufi Orden geprägte Meister – Schüler Verhältnis begründet. Ein Schüler ging hier früh in den Haushalt oder die Wirtschaft des Meisters ein. Es konnten verschiedene Beziehungen dieses Verhältnis begründen: Verwandtschaft, Bewunderung der Meisterschaft oder Adoption, auch das Austauschen von Meisterkindern war eine gängige Angelegenheit.

Deswegen sollte man schon hinterfragen, in welchen Kontexten Kinderarbeit wohl steht. Diese Jungs hier unten im Bild verdienen sich nach der Schule in Andkhoy dem Teppichzentrum von Afghanistan noch ein paar Groschen dazu. Und sie kommen dabei nicht aus armen Familien, sondern gehören auch priviligierten Haushalten an.

Kinder beim Zuschneiden der Teppichfransen auf dem Teppichmarkt in Andkhoy 2010. Foto: Olaf Gunther

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