Ein Beitrag von Niso und Zebo
Seit etwa zwei Monaten ist auf Facebook die Entstehung einer ständig wachsenden Aktivistengruppe zu beobachten. Zaboni Porsi setzt sich für die Etablierung einer gleichnamigen verbindlichen Standardsprache in Tadschikistan ein. Diskutiert wird in der Gruppe darüber, wie diese Sprache denn auszusehen habe.
Ins Leben gerufen hatte diese Initiative der bekannte tadschikische Journalist Dariush Rajabian. Rajabian hat mehrere Jahre in London für BBC gearbeitet und erfreut sich aktuell mit seinen Beiträgen auf www.jadidonline.com und seinem Blog “A Dervish” bei intellektuellen Afghanen, Iranern und Tadschiken großer Beliebtheit. Bei seiner journalistischen Tätigkeit trifft Dariush Rajabian jedoch immer wieder auf ein scheinbar unlösbares Problem, mit dem er und seine Gleichgesinnten sich nicht länger abfinden möchten: Während die Iraner und Afghanen ein arabisch-basiertes Schriftsystem nutzen, steht den Tadschiken durch die von der Sowjetmacht aufoktroyierte Schriftumstellung im Jahre 1940 nur die Kyrilliza zur Verfügung.
Auf der Suche nach einer schriftsprachlichen Norm für das Tadschikische wurden durch sowjetische sprachplanerische Maßnahmen seit Mitte der 1920er Jahre gerade solche Sprach-besonderheiten der gesprochenen Sprache zum Standard erhoben, die eine möglichst große Differenz zu der in Afghanistan mit Dari und im Iran mit Farsi bezeichneten Sprache aufwiesen. Dieser neue, Tadschikisch genannte Sprachstandard ging vor allem zurück auf die in den Städten Buchara und Samarkand gesprochenen Varietäten der persischen Sprache und entsprach (und entspricht) in vielen Fällen nicht der von den auf dem Gebiet Tadschikistans gesprochenen Sprache. Zudem verdrängte das Russische – die Lingua franca des Moskauer Imperiums – das Tadschikische in den privaten und häuslichen Bereich und auf das Gebiet der schönen Literatur. Diese tiefgreifenden Umwälzungen (die Lutz Rzehak in seinem Buch: Vom Persischen zum Tadschikischen: Sprachliches Handeln und Sprachplanung in Transoxanien zwischen Tradition und Moderne (1900-1956) hervorragend beschrieben hat) stehen heute einer einfachen Verständigung auf der Ebene der Hochsprache zwischen Persischsprechern in Afghanistan, Iran und Tadschikistan entgegen.
Durch die Initiative der neuen tadschikischen Sprachaktivisten der Gruppe Zaboni Porsi in Tadschikistan soll zum einen die sprachliche und kulturelle Isoliertheit der Tadschiken von den Persischsprechern in Afghanistan und im Iran überwunden und gleichzeitig die eigene Identität gestärkt werden.
Um ihre Vorsätze in die Tat umzusetzen, kamen am 22. September im Teehaus Rohat ca. 40 Personen zusammen. Unter den Teilnehmern fanden sich nicht nur Journalisten oder Angehörige der Medien. Auch viele jungen Menschen, die sich um die Zukunft ihrer Muttersprache sorgen, sowie in Tadschikistan lebende Iraner und Afghanen waren an diesem ersten Treffen beteiligt. Den Formalia stimmten die Anwesenden rasch zu. Die Gruppe war am 15.08.2011 als öffentliche Stiftung zaboni modari (Die Muttersprache) einem eigenen Bankkonto und mit dem Recht zur wöchentlichen Publikation in Tadschikistan registriert worden. Aber wie sollte publiziert werden? Der Vorschlag kam auf, einmal pro Woche eine Zeitschrift auf zaboni porsi herauszugeben. Jedoch wendete einer der Teilnehmer ein, die Leser könnten besser mit einer Seite auf zaboni porsi in bereits existierenden tadschikischen Zeitungen angesprochen und an die Sprache herangeführt werden. Aber endgültige Entscheidungen waren an diesem Abend nicht gefragt, denn die erste Zusammenkunft sollte nur dem Kennenlernen dienen.
Doch so einfach ließen sich auch andere Diskussionsgegenstände der Zukunft nicht zurückhalten. Denn zum Beispiel traten die Meinungsunterschiede zwischen “Puristen” und den “Pragmatikern” zutage. Erstere – dazu zählt auch der Begründer Darius Rajabian – orientieren sich stark an der Sprache des “Begründers” der zaboni porsi, Firdausi (940-1020) und verstehen zaboni porsi als Weg zur Selbstbestimmung und Selbstbehauptung. In Ihrem Verständnis wehrte sich Firdausi nach der Eroberung Persiens durch die Araber gegen die mit der Islamisierung einhergehende Verbreitung des Arabischen. Der Dichter und Epiker machte die persische Sprache, die er selbst als zaboni porsi bezeichnete, durch seine Werke und Literatur hof- und salonfähig. In diesem Sinne treten die “puristischen” Anhänger der zaboni porsi für das Zurückdrängen der russischen, uzbekischen und arabischen Einflüsse ein und bevorzugen vielmehr Wörter iranischer Herkunft. Darius Rajabian und sein Kreis grüßen sich konsequenterweise nicht mit dem arabischen “Salom” sondern beginnen ihr Gespräch mit dem persischen “Durud”. Ebenso verweigern sie hartnäckig beim Danken das arabische “Taschakkur”, das persische “Sipos” scheint ihnen angebrachter. Die “Pragmatiker” gaben aber bereits im Vorfeld bei den Diskussionen auf Facebook und beim ersten Treffen im Teehaus zu Bedenken, dass die arabischen Wörter aus dem tadschikischen Wortschatz gar nicht wegzudenken sind.
Der ersten Zusammenkunft soll bald die zweite folgen. Derweil reißen die Diskussionen auf zaboni porsi in Facebook nicht ab. Die tadschikischen Teilnehmer nutzen die Seite als Forum, in dem sie sich nach passenden und guten Bezeichnungen erkundigen. Denn oft fühlen sich Tadschiken bei der Wortwahl nicht sicher, da sich bis heute keine allgemein akzeptierte Standardsprache herausgebildet hat. So fragte einer der Aktivisten, welche der vielen Bezeichnungen für Schwiegertochter nun die verbindliche sein kann: das umgangssprachliche “janga”, das aus dem Türkischen stammende “kelin” oder das Persische “arus”? Über erste Entscheidungen, weitere Treffen und weitere Vorgänge werden wir später berichten.
Das ist ja wohl furchtbar, wenn in einem Land wie Tadschikistan die Kyriliza zum Schreiben vewendet wird und noch dazu mit Tadschiken völlig fremden Ausdrücken aus Buchara und Samarkand.
Vielleicht fragt Ihr ja Mal im benachbarten Afghanistan nach, wo es ja noch mehr Tadschiken als im Land mit der Hauptstadt Duschanbe geben soll.
Und überhaupt, alles was aus London und Moskau kommt, erinnert so an die koloniale Vergangenheit der letzten Jahrhunderte und an die Erfindung der ukrainischen Sprache durch Prof. Gruschewskiy ende des 19.Jahrhunderts im KuK Lemberg in Galizien. da würde ich mich als Deutscher und Nicht-Transatlantiker erst mal heraushalten.
Wer Russisch kann hat es gut. Dort gibt es seit 1972 Bd. 21 Irano-tadschikische Poesie (Rudaki, Khaiyami, Rumi, Saadi usw.) in der Reihe Bibliothek der Weltliteratur.