Wo die Islamisten wohnen

Ein Beitrag von Wladimir Sgibnev

Im Herbst 2010 bot sich mir die einmalige Gelegenheit, das Dorf Chorkuh zu besuchen. Mit seinen etwa 30.000 Einwohnern liegt Chorkuh im südöstlichen Zipfel des tadschikischen Ferghana-Tals, 15 Kilometer südlich der Kreisstadt Isfara.

Kanal

Schule in Chorkuh – Alle Photos: querbeet aufgenommen von Aziz, Durdona, Nigora und dem Autor des Artikels

Dieser Winkel Tadschikistans ist dafür bekannt, dass der Islam hier besonders streng gelebt wird. Einer der Gründe dafür ist, so der Islamforscher Stéphane Dudoignon, dass Familien aus Chorkuh in den 1920er Jahren nach Saudi-Arabien ausgewandert waren und nach der Unabhängigkeit den strengen saudischen Islam in ihre Heimatdörfer importieren. Die sichtbarste Auswirkung dieser Entwicklung ist, dass, für Tadschikistan durchaus ungewöhnlich, keine einzige unverschleierte Frau auf der Strasse zu sehen ist. Auch Ganzkörperschleier sind keine Seltenheit. So besitzt das Gebiet zwischen Lakkon, Isfara und Chorkuh in der tadschikischen Presse den Beinamen “Islamisches Dreieck”.

Militante Islamisten sollen hier ihre Mitglieder rekrutieren und Waffenlager betreiben. Februar 2010 wurden vier aus der Gegend stammende angebliche Mitglieder der Islamischen Bewegung Usbekistans wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Chorkuh ist von drei Seiten vom kirgisischen Staatsgebiet umgeben, die Grenze verläuft im Zickzack mitten durch die Siedlung, quer durch Felder und Aprikosenhaine. Immer wieder flammen hier Grenzkonflikte zwischen Kirgisen und Tadschiken auf. So drangen April 2010 acht kirgisische Soldaten in ein Dörfchen südlich von Chorkuh ein und nahmen zwei Einwohner als Geisel. Der Grund lag vermutlich in einer privaten Auseinandersetzung. Ein anderes Mal holzten die Soldaten einen “illegalen” Aprikosenhain ab, der sich angeblich auf der kirgisischen Seite der nicht so genau festgelegten Grenze befand.

Die Stimmung rund um Chorkuh bietet demnach reichlich Anlass zur Sorge. Aus diesem Grund entstand die NGO-Initiative “Ferghanatal – Tal des Friedens”. Mit Geldern des Dänischen Außenministeriums werden verschiedene Projekte zu conflict prevention und tolerance durchgeführt, so auch das Projekt einer Chudschander NGO, die in mehreren Schulen im Dorf Chorkuh Kreativwettbewerbe zum Thema Frieden im Ferghanatal durchführt. An einem solchen Projektsamstag bin ich gemeinsam mit Mitarbeitern dieser NGO mit der Sechs-Uhr-Marschrutka aufgebrochen, vollgepackt mit Heften, Stiften und Photoalben, Geschenke für die zukünftigen Gewinner der Kreativwettbewerbe.

Sicher kann man diskutieren, ob so ein Kreativwettbewerb eher dazu dient, modische Schlagwörter des donor-driven civil society capacity building zu bedienen, oder einen nachhaltigen Beitrag zur Stabilität in der Region leistet. An dieser Stelle ist aber wichtiger, dass alle Beteiligten, von den Organisatoren bis zu den Schulkindern, und auch mir, großen Spaß daran hatten. Die nachfolgenden Photos sind Belege dafür.

Die Wettbewerbe fanden an drei Schulen statt, vier verschiedene Wettbewerbe waren vorgesehen. Zuerst bekamen die Schüler Luftballons und Plakate, um die Klassenzimmer in feierliche Stimmung zu versetzen (siehe Bild oben), dann teilten sich die Kinder nach Interesse auf die Wettbewerbe auf. Da gab es einmal die Möglichkeit zu lernen, wie man aus Papier einen Kranich bastelt.

Kanal

Origami in Chorkuh

Hier darf dass japanische Mädchen Sadako Sasaki nicht unerwähnt bleiben: nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima erkrankte sie an Leukämie. Sie wollte ihren Tod durch das Falten von eintausend Papierkranichen herauszögern, schaffte aber nur bis 644. Die Kinder waren mit Begeisterung dabei.

Auch gab es einen Malwettbewerb zum Thema Frieden: Farben, Stifte und Papier hatten wir von Chudschand mitgebracht. An der letzten, dritten Schule waren die Schüler vorbereitet gewesen und haben zu Hause Tauben vorbereitet:

Kaftar — die Taube

Drei Vierteln der Kinder fiel aber spontan zum Thema “Frieden” die tadschikische Fahne in DIN A2 ein:

die tadschikische Fahne in DIN A2

Ein anderer Wettbewerb suchte das schönste mit Kreide auf Asphalt gemalte Bild zum selben Thema. Hier sehen wir einen Kirgisen und einen Tadschiken in Eintracht auf einem Tulpenfeld stehen:

Nachbarn

Friedenstauben aller Orten

Friedenstaube

Frieden

Ein vierter Wettbewerb belohnte Kinder, die am besten Gedichte aufsagen konnten:

Im Klassenzimmer

Vortrag

Ehrung

An der bereits erwähnten dritten Schule hatte die ehrgeizige Direktorin den Wunsch, die gesamte Schülerschaft solle zusehen, wie die Besten der Schule sich in den verschiedenen Wettbewerben messen, wie die Besten der Besten dafür belohnt werden und sich daran ein Beispiel nehmen. Am Ende gab es Geschenke für die Bestplatzierten in der jeweiligen Disziplin”:

Auf dem Schulhof

Ist Chorkuh nun ein Islamisten-Nest? Den Kopftüchern nach zu urteilen, vielleicht: alle Schulmädchen, selbst die kleinsten tragen sie. Was in Duschanbe oder Chudschand unvorstellbar wäre, mit vorne gebundenem Tuch in die Schule zu gehen, ist hier nicht ungewöhnlich.
(Studentinnen etwa dürfen Hochschulen nur mit dem traditionell hinten geknotete, bäuerlichen Kopftuch betreten – alle anderen Verhüllungen werden von der Regierung als gegen sie gerichtete religiös politische Statements gewertet)
Daher sollte man die drastischen Schilderungen der Tadschikischen Regierung mit Vorsicht genießen. Denn nur zu oft sollen mit dem Bedrohungsszenario des militanten Islams eigene Versäumnisse und Probleme überblendet und die eigene Macht verteidigt werden, in Chorkuh nicht anders als in Rasht.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Post Navigation