BLEKAUT – immer schön in Bewegung bleiben

(Ein Beitrag von Michael Angermann)

Es gibt ihn – den werktätigen Tadschiken in der Hauptstadt Tadschikistans, der nach einigen Jahren im russischen gastarbejter-Exil wieder zurück in der Heimat sein Brot verdient. Er steht früh am Morgen auf, fährt mit dem Oberleitungsbus zur Arbeit, verrichtet sie aufrichtig, nimmt eine warme gehaltvolle Mittagsmahlzeit ein und kommt am frühen Abend in seiner wohligen Neubauwohnung mit der Familie zusammen. Damit endet der Tag und es folgen noch zahlreiche Tage, dann ist auch schon der Winter nah und der erste Schnee ziert die Wipfel der Platanen auf dem Prachtboulevard der Hauptstadt – Duschanbe.

Duschanbe im Schnee

 

Der Morgen beginnt um 5:15 Uhr, vielleicht auch eher, später auf keinen Fall, denn ohne einen warmen Tee möchte keiner auf die Arbeit gehen. Die flaue Gasflamme spiegelt die politische Stimmung zwischen dem gasspendenden Nachbarland Usbekistan und Tadschikistan wider, trotzdem bringt sie auch heute wieder das Teewasser zum Kochen, bevor sie eine Stunde später planmäßig für einen halben Tag versiegt. Die Lederjacke wird übergeworfen, der neue Oberleitungsbus rutscht über den vereisten Boulevard an die Haltestelle heran. Schnell eingestiegen in den kuschelig warmen Bus, geduldet sich der Fahrer noch zwei Minuten, um heraneilenden Fahrgästen den Wunsch auf die Mitfahrt nicht zu verweigern. Spätestens wenn sich der nächste Bus im Rückspiegel durch lautes Hupen bemerkbar macht und ein Entkommen auf der glatten Fahrbahn noch möglich ist, kann die Fahrt beginnen. Vier Haltestellen sind geschafft, dann die Ernüchterung das fahrtspendende Elixier aus der Oberleitung versiegt, aber noch rollt der Bus bergab zwei Haltestellen weiter, der Fahrer kann jedoch den von Mitfahrwünschen geprägten Augen der Haltestellenpassanten diesmal kein Entgegenkommen signalisieren. Das gilt auch für den einen Fahrgast, der schon eine Haltestelle früher hätte aussteigen wollen, als der Bus auf ebener Fläche endgültig zum Stehen kommt. Aber was ist ein Fahrgast gegen die anderen fünfzig Fahrgäste im Bus, die jetzt ihre Wanderung zu Fuß in Fahrtrichtung fortsetzen. Nur ein paar alte Menschen bleiben, mit dem Nachbarn plaudernd, auswegslos und hoffnungsgetragen im Bus sitzen. Nach zwanzig Minuten sind auch die letzten drei Haltestellen fußläufig fast geschafft, da rauscht der gewissermaßen leere Oberleitungsbus mit den Alten der ersehnten Haltestelle entgegen. Der Arbeitsplatz ist dann schon bald erreicht.

Die Kollegen haben bereits mit dicken Mänteln im Büro Platz genommen, aus einer Thermoskanne serviert die Sekretärin einen warmen Tee, der die schneeweiße Umgebung draußen vor dem Fenster, in eine warm anmutende, selig ruhende Winterlandschaft taucht. Selig ruhen wird heute sowohl der Arbeitscomputer, als auch alle weiteren elektrizitätsbedürftigen Geräte. Ein wenig Papierkram wird erledigt. Im Kreise der Kollegen wird es dann auch schnell Mittag, eine Reismahlzeit mit Möhren und Fleisch wird draußen auf der Strasse aus dem gusseisernen mit Holz befeuerten Kessel genommen und in einer kleinen Kantine serviert. Die Kollegen erzählen von der angekündigten viertägigen Stromabschaltung in der Hauptstadt, während weite Teile des Landes schon seit 1-2 Wochen auf Strom verzichten. Die Diskussion um das Thema wurde schon lebendiger geführt.

Am Nachmittag dann noch eine demonstrative Nachricht vom Mobilfunkanbieter, kurz und informativ: “Ab 01.01.2007 ändert sich ihre Rufnummer folgendermaßen … .” Das stellt kein Problem dar, denn auf den unlängst neugedruckten Visitenkarten kann man ohne Weiteres die Handynummer mit einem Kugelschreiber korrigieren. Der Arbeitstag geht dem Ende entgegen, die gut gekühlten Räume werden der Dunkelheit preisgegeben, die Kollegen treten ihren Heimweg an.

Auf der Strasse sind die Kerzenpreise in die Höhe geschossen, die Marktgesetze funktionieren perfekt. Die Zeitung widmet sich zum vielleicht fünften Mal in Folge dem “BLEKAUT – Unser Land versinkt in der Finsternis”. Eine nicht repräsentative Umfrage im gleichen Blatt kommt zu dem Ergebnis, dass 51 Prozent der Bevölkerung planen, Wodka zu trinken, um sich ohne Elektrizität warm zu halten und immerhin 11 Prozent glauben, dass sie Gas haben werden.

blekautasiaplus.jpg

Die Nacht ist über die Stadt hereingebrochen, der Werktätige kehrt in seine Wohnung zurück. Gas gibt es heute Abend außerplanmäßig keins, dafür haben die Nachbarn im ersten Stock aber Strom. Das “Schachmatt-Regime” ist über das Haus hergefallen, im Wechsel wird zwischen den Etagen der Strom hin & her, an- und abgeschaltet, das hat bei einer Betrachtung des Wohnblocks von Außen Schachbrettcharakter. Ein Nachbar aus dem finsteren zweiten Stock macht sich die Mühe und geht zur Verteilerstation, um das “Schachmatt-Regime” gegen einen Obolus aufzuheben. Plötzlich wird es in der Wohnung hell und wohlig, eine ausländische Folkloregruppe singt im Fernsehen in einer wiederholten Ausstrahlung tadschikische Evergreens, während an anderer Stelle zeitgleich die Finsternis hereinbricht. Ein Land verschwindet für vier Tage von der Landkarte, aber so wie es verschwunden ist, wird es auch wieder auftauchen und wird in gar nicht allzu ferner Zukunft, gemäß den Worten des Präsidenten Tadschikistans, “… zum größten Energieexporteur Zentralasiens aufsteigen.”

3 Thoughts on “BLEKAUT – immer schön in Bewegung bleiben

  1. Pingback: Readers Edition » Alte Traditionen neu belebt…

  2. Pingback: Alte Traditionen neu belebt… | Tethys. Central Asia Everyday

  3. Pingback: Readers Edition » BLEKAUT – immer schön in Bewegung bleiben

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Post Navigation