Ashki Bulbuli Pomiri — Der Pamir und die Tränen der Nachtigall

Erinnerung an Prof. Dodkhudo Karamshoev (Khudo rahmati) von Thomas Loy

Als Dodkhudo, der Sohn von Karamsho, 1932 in dem kleinen, zwischen Rushan und Khorog gelegenen Bergdorf Bajuv zur Welt kam, da hatte die Zeit sich bereits gewendet. Tadschikistan war seit gut zwei Jahren eine “eigenständige” Sowjetrepublik und seine Regierung schickte sich an, die zu ihr gehörenden Teile des Pamirs an das Sowjetische Straßennetz anzuschließen. 1934 erreichten die ersten Fahrzeuge von Kirghistan aus die Gebietshauptstadt Khorogh und fünf Jahre später landeten die ersten Kleinflugzeuge auf dem Sowjetischen Dach der Welt.

In Bajuv, einige Kilometer abseits der kurz vor dem Krieg als Prestigeprojekt aus dem Fels gesprengten Verbindungsstraße zur Hauptstadt Duschanbe, war zu dieser Zeit von den fundamentalen Veränderungen noch recht wenig zu spüren. Wie eh und je hüteten die Dorfkinder barfuß ihre Ziegen auf den Sommerweiden. 1940 wurde das erste Wasserkraftwerk im Autonomen Gebiet Berg Badachschan fertiggestellt. Der Pamir wurde elektrifiziert und für den kleinen Dodkhudo ergab sich nach dem Krieg die Chance auf eine Karriere im Sowjettadschikischen Wissenschaftsbereich. Er beendete die Pädagogische Fachhochschule in Khorog und sammelte erste Erfahrungen im Unterrichten auf Dorfschulebene. 1952 wurde er zur Weiterbildung nach Duschanbe geschickt. An der dortigen Hochschule wurden einige Wissenschaftler auf den begabten jungen Mann aus dem Pamir aufmerksam und verschafften ihm einen Studienplatz an der Leningrader Universität. Dort, im Zentrum der russischen/sowjetischen Orientalistik, erwarteten ihn bereits einige der bekanntesten Iranisten: I.I. Zarubin, A.N. Boldyrev und A.L. Grjunberg. Dodkhudos Muttersprache, das Shughni, stand im Zentrum des Interesses.

Prof. KaramshoevIn den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich Karamshoev zum wichtigsten und produktivsten Sprachwissenschaftler für Shughni und andere Pamirsprachen in Tadschikistan mit einer beeindruckenden Liste und Qualität an Veröffentlichungen. Ãœber lange Jahre hinweg leitete er die Abteilung für Pamirsprachen am “Rudaki“-Institut für Sprache und Literatur an der Tadschikischen Akademie der Wissenschaften. Das Ende der Sowjetunion und der darauf folgende innertadschikische Bürgerkrieg waren für Dodkhudo Karamshoev (wie für die meisten anderen Wissenschaftler in Tadschikistan) eine Katastrophe. Aus Angst vor Verfolgung lebte und arbeitete er Anfang der 1990er Jahre lange Zeit getrennt von seiner Frau und den fünf Kindern in Khorog. Auch nach dem offiziellen Ende der Auseinandersetzungen 1997 blieb es im unabhängigen Tadschikistan schwierig bis unmöglich mittels wissenschaftlicher Tätigkeit oder als Lehrer seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Dennoch fand man den Professor mehrmals wöchentlich an einer der Hochschulen beim Unterrichten und täglich an seinem Schreibtisch im Schlafzimmer der Dreizimmerwohnung im Herzen Duschanbes. Unermüdlich und gerne auch lange nach dem Abendessen und den Tränen der Nachtigall (Bog liubit troitsu!) saß der alte Herr dann wieder konzentriert über seinen Manuskripten. In den letzen Jahren nicht einmal mehr unterbrochen von einer kurzen Zigarettenpause. Seine Frau hielt ihm bei allen häuslichen und familiären Angelegenheiten stets den Rücken frei. Dodkhudo Karamshoev war ein begnadeter Unterhalter, ein famoser Geschichtenerzähler und ein wunderbarer Mensch. Vor einem Jahr, am 04. Januar 2007 starb Ustod Dodkhudo Karamshoev nach kurzer schwerer Krankheit in Duschanbe. Ich vermisse ihn.

Das Hauptwerk Dodkhudo Karamshoevs ist das dreibändige Shughni-Russisch Wörterbuch (Shugnansko-Russkii Slovar’ v 3-x tomakh, Moskau 1989, 1991 und 1999), das 2005 mit einem zusätzlichen 4. Band Russisch-Shugni versehen seinen Abschluss fand.

Weitere Informationen zu Publikationen und Lebensdaten sind seit Kurzem im Eintrag Karamshoev in der deutschen wikipedia zu finden.

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