Yigit kishiga etmish hunar oz – Für einen jungen Kerl sind siebzig Berufe dürftig.


Das bewegte Leben des 36-jährigen usbekischen Handelstreibenden Akmal.

(Ein Beitrag von Michael Angermann)

Gegen Ende der 1960er Jahre wird Akmal in einer Zeit des sowjetischen Wirtschaftsbooms in der Oasenstadt Osch, im Süden der heutigen Kirgisischen Republik, geboren. Der junge Usbeke ist gerade zehn Jahre alt, da ziehen bereits erste Quellwolken am Himmel der sowjetischen Zentralverwaltungswirtschaft auf. Der plangelenkte staatliche und genossenschaftliche Handel schafft es nicht, die stets kauflustige Bevölkerung zufrieden zu stellen. Der privatwirtschaftliche Kolchosmarkthandel und dessen Protagonisten springen zumeist mit selbst angebauten landwirtschaftlichen Köstlichkeiten ein, um aus Jungen wie Akmal kräftige Männer reifen zu lassen. Der anfänglich hauptsächlich lokal agierende Handel entwickelt sich in den 1980er Jahren mehr und mehr zu einem Phänomen, das ganze Bevölkerungsgruppen in Bewegung setzt, um aus den Fehlfunktionen des staatlichen Verteilungssystems eigenen Profit zu schöpfen. Auch Akmal, damals noch nicht einmal zwanzig Jahre alt, bricht in unbekanntes Gebiet auf. Es werden die ersten Schritte einer Generation sein, die bis zum heutigen Tag unterwegs ist.

“Mein Vater und meine Mutter sind früh gestorben, ich war der Älteste und musste früh selbständig handeln. Als ich vier Jahre alt war, habe ich mir einen Gürtel mit Gläsern umgemacht, bin zum Fluss hinuntergegangen, habe die Gläser mit Wasser gefüllt und auf dem Markt für eine Kopeke verkauft. Ich habe früh als Spekulant angefangen. Als Jugendlicher bin ich morgens mit Freunden zum Kino gegangen, als die Kassen gerade öffneten. Wir kauften die Karten für die guten Filme auf, um sie abends gewinnbringend zu verticken. Nach der Schule habe ich wie mein verstorbener Vater zwei Jahre als Zimmermann gearbeitet. Danach ging es zur Armee und anschließend brachte ich als Busfahrer die Mitarbeiter für das Baumwollkombinat aus der Usbekischen SSR zur Schicht nach Osch.

Mit dem Zerfall der Sowjetunion war damit Schluss. Ich fuhr nach Polen und verkaufte dort chinesische Gummistiefel und kaufte Mangelwaren auf. Zwei, drei Jahre pendelte ich zwischen Polen, Ungarn und Kirgistan hin und her. Mitte der 90er machte ich mich dann gemeinsam mit zehn Leuten auf nach Dubai. Damals waren dort die Schigulis (auch Lada) billiger als bei uns in Kirgistan. Also kaufte ich drei davon zu je 7.000 Dollar und brachte sie mit der Fähre nach Iran und von dort über Turkmenistan nach Osch. Hier haben wir sie dann für 10.000 Dollar das Stück verkauft, 1.000 Dollar waren für den Weg und die Schmiergelder draufgegangen, aber 2.000 Dollar pro Auto blieben als Gewinn übrig. Danach arbeitete ich zwei Jahre im Geldwechselgeschäft auf dem Basar, bevor es dann nach Neu-Dehli in Indien ging. Ich schaute mir das Taj Mahal an und brachte noch jede Menge Pullover mit, die sich hier blendend verkauften.

Im neuen Jahrtausend fuhr ich Richtung Pamir ins Alaj-Gebirge und kaufte dort Wolle auf, die ich in den Norden Kirgistans nach Kara-Balta zur Teppichfabrik lieferte. Auf dem Rückweg brachte ich fertige Teppiche mit, die ich in Osch verkaufte. Später habe ich dann mit einem Kleintransporter die Strecke zwischen den zwei Märkten Dordoj, am Rand von Bischkek, und Kara-Suu, in der Nähe von Osch, bedient. Das machen jetzt andere für mich, ist auch ziemlich anstrengend gewesen. In Osch fahren noch drei Linientaxis für mich. Die Fahrer bekommen ein festes Gehalt, der Rest geht abzüglich der Unterhalts- und Benzinkosten an mich. Seit zwei Monaten miete ich einen Container auf dem Kara-Suu-Markt und verkaufe Gardinen und abends arbeite ich als Koch im Restaurant meines Bruders. Ersteres mache ich hauptsächlich, um meine fünf Kinder früh genug ans Geschäft heranzuführen und ihnen den rechten Weg zu zeigen. Mit Fünfzig will ich dann nicht mehr arbeiten, dann sollen sie mich ernähren.”

Karte von Kara Suu

Private Händler wie Akmal, die durch die Lockerungen der Reise- und Wareneinfuhrbestimmungen die Möglichkeit hatten ins Ausland zu reisen, besetzten die lukrative Lücke, die sich im kollabierenden staatlichen Produktions- und Verteilungssystem auftat.

Geschäftstüchtige Privatleute bildeten den Kern des so genannten Pendelhandels mit Gebrauchsgütern, der anfänglich Osteuropa als Zielregion hatte, später dann Vorder-, Süd- und Ostasien. Die so genannten Touristen übernahmen die Aufgabe, verbliebene subventionierte sowjetische Lagerbestände nach Osteuropa oder China zu bringen, um auf dem Rückweg ‘knappe’ und demnach teure Waren in den postsowjetischen Raum zu importieren. Aus einigen ‘Touristen’ wurde eine stetig steigende Zahl von Privatunternehmern, die die zerfallenden Staatsbetriebe verließen oder verlassen mussten, um als Pendelhändler ihr Glück zu versuchen und den Verfall des eigenen Lebensstandards abzuwenden.

Die Händler pendelten anfänglich allein oder mit Freunden, später dann mit einer organisierten Å¡oping tur (russische Schreibweise von shopping tour) ins europäische oder asiatische Ausland, um mit Bargeld ausgerüstet, günstig Gebrauchsgüter einzukaufen, die sie dann wieder zurück in ihrer Heimat auf Märkten gewinnbringend verkauften. Aufgrund fehlender Regulierungen durften die als ‘Touristen’ reisenden Händler Waren bis zu einem bestimmten Gesamtwert für den eigenen Bedarf zollfrei importieren, ein Hauptgrund für die Popularität dieser Handelsform. Einzeln agierende Pendelhändler konnten durch diese bevorzugte Behandlung und den unbesteuerten Verkauf auf Märkten gegenüber offiziell registrierten Großhandelsfirmen profitabel sein.

Während in einigen Nachfolgestaaten der Sowjetunion die Bestimmungen für Pendelhändler ab Mitte der 1990er Jahre schrittweise an diejenigen für Handelsunternehmen angeglichen wurden und damit die präferentielle Handhabung wegfiel, bestimmte der Pendelhandel in Mittelasien weitgehend den Markt und ernährt noch immer große Bevölkerungsschichten.

Scheinbar unverwüstliche, stetig mobile und nie ermüdende Akteure vom Typ eines Akmals, ein Dorn in den Augen eines jeden heißhungrigen Finanzministeriums, meistern es noch immer, die Bewohner Mittelasiens in einer Zeit staatlichen Unvermögens, auf teils abenteuerliche Weise auszustatten und zu versorgen.

(Michael Angermann verfasste zum Thema des grenzüberschreitenden Handels zwischen Kirgistan und Usbekistan 2006 seine Magisterarbeit am Zentralasienseminar der Humboldt Universität zu Berlin.)

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