Der Aralsee. Gestern-Heute-Morgen.

Ein Beitrag von Jusup Kamalov

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Für uns, die Menschen, die am Aralsee im Zentrum einer ökologischen Katastrophe wohnen, scheint es immer so, als ob die ganze Welt das Aralseeproblem kenne und darüber schon alles gesagt sei. Leider ist es aber so, dass die Menschen außerhalb der ehemaligen UdSSR oder des Ostblocks wenig bis gar nichts vom Aralsee wissen, und auch in den Ländern Zentralasiens ist dies mittlerweile der Fall. Deshalb werde ich einiges über das Problem berichten, so als würde ich mich an einen ahnungslosen Leser wenden.

Der Aralsee liegt in Kasachstan und Usbekistan und war einer der größten Binnenseen der Welt. Dieser See und die beiden Flüsse, aus denen sich dieser Endsee speist (der Amu- und der Syrdarja) waren von hochrangiger Bedeutung für das Ökosystem und die Wirtschaft der gesamten Region Zentralasien. Heute ist davon kaum etwas übrig geblieben. Der Wasserspiegel des Aralsees ist um 20 Meter gesunken. Das Wasser hat sich dadurch 100 km von der ehemaligen Küstenlinie zurückgezogen. Die eigentliche Größe des Aralsees umfasste 65.000 Quadratkilometer. Bis in die 1960er Jahre des 20. Jahhunderts war der See somit so groß wie die Fläche der Niederlande und Belgien zusammengenommen. In den letzten 50 Jahren jedoch ist der See um ca. 70 % geschrumpft, und das Wasser geht weiter zurück. Der Salzgehalt des Seewassers hat 60 Gramm pro Liter erreicht. Die kleine Insel Vozrozhdenie (“Wiederauferstehung”) in der Mitte des Aralsees ist zur Halbinsel geworden, eine gefährliche Angelegenheit, da hier zu Sowjetzeiten ein Testgebiet für biologische Waffen existierte.

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Der See wird von drei Wüsten umgeben, der Kyzylkum im Osten, der Karakum im Süden und dem Ust Jurt Plateau im Westen. Die Kasachischen Steppen befinden sich im Norden des Sees. Das was früher ein See gewesen ist, ist nun eine trockene und vergiftete Wüste.

Entlang der beiden Flüsse, die den Aral bewässern, leben etwa 45 Mill. Menschen. Fünf Millionen davon siedeln im Delta der Flüsse, also die Region, die von der Katastrophe am stärksten betroffen ist. Anfang der 1950er Jahre wurde die Menge an Wasser, die in den Aral hineinflossen mit 100 Kubikkilometer pro Jahr beziffert. Heute erreichen den Aral nur noch 2 bis 3 Kubikkilometer Wasser jährlich. Die Quellen von Amu- und Syrdarja sind die Gletscher des Pamir und des Tien Shans. Auf ihrem Weg zum Aralsee fließen die beiden Flüsse durch 6 Länder. Das Wasser des Amus teilen sich Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan. Afghanistan, ein weiterer Anrainer des Amu-darya entnimmt jedoch aufgrund des langen Krieges bisher kaum Flusswasser. Das Wasser des Syrdarjas und seiner Zuflüsse teilen sich Kirgistan, Kasachstan, Usbekistan und in geringerem Maße Tadschikistan.

Nun aber zum Kern des Problems. Wenn man es kurz zusammenfassen möchte, so kann man sagen, dass die Wasser der beiden Flüsse zu Sowjetzeiten in Unmengen genutzt wurden, und der Aral, der keinen weiteren Zufluss hat, begann auszutrocknen. An diesem Stand hat sich bis heute nichts geändert. Das führte zu folgenden Problemen:

  1. Der Aralsee ist als Ökosystem tot und das was von ihm übrig geblieben ist, wird von Jahr zu Jahr weniger.
  2. Die Bevölkerung in den Deltas der beiden Zuflüsse muß immer wieder Wassermangel hinnehmen und das, was als Wasser ankommt, hat erhebliche Mängel in der Qualität. So entstehen Probleme bei der Bewässerung und der Trinkwasserversorgung. Diese Probleme haben sich nach dem Ende der Sowjetunion sogar noch verstärkt (etwa für Karakalpakistan am Amu-delta). Dadurch kommt es zur Abwanderung eines Großteils der Bevölkerung in mehrere Länder der Region und darüber hinaus.
  3. Der Fischfang und die Fischindustrie hat komplett ihre Bedeutung für die Region verloren. Das führte zu einer Arbeitslosigkeit all derer, die vom Fisch lebten.
  4. Die verstärkte Bewässerung der Böden führte zu einem Anheben des Grundwasserspiegels und zu einer enormen Versalzung des Trinkwassers, da aus den Böden eine Reihe von Salzen an die Oberfläche gelangen, die wiederum mit Bewässerungswasser ausgewaschen werden müssen.
  5. Der gesamte Naturraum entlang der Flüsse und in den Deltaregionen hat sich dramatisch verändert. Fauna und Flora in der Deltaregion sind beinahe zur Unkenntlichkeit geschrumpft.
  6. Die Wälder und Schilfregionen entlang der Flüsse sind bis auf wenige künstlich erhaltene Gebiete verschwunden, da sie für Landgewinnung abgeholzt wurden und der nun herrschende Wassermangel zusätzlich ihr Absterben bedingt.
  7. Die Fischarten in den Flüssen sind nahezu ausgestorben. Mehr als 40 Arten sind schon jetzt verschwunden.
  8. Die zahlreichen Deltaseen sind verschwunden, dahingegen wurden an den Oberläufen der Flüsse eine Vielzahl von Wasserreservoirs gebaut.
  9. Die Gesundheitssituation in der Deltaregion ist für Mensch und Tier enorm schlecht und verschlechtert sind kontinuierlich.
  10. Das gesamte Klima der Aralseeregion hat sich verändert. Es ist trockner und heißer im Sommer und kälter im Winter. Gleichzeitig wurde es in den Bergregionen Kirgistans und Tadschikistans im Sommer feuchter und die Winter sind hier nicht mehr so kalt. So ist in den Bergen Regen das Jahr hindurch häufiger. Das warme Wetter führt zu einem schnelleren Abschmelzen der Gletscher. Ein weiterer Grund hierfür ist das Salz des Aralsees, das sich auch in den Bergregionen verteilt und hierdurch die Gletscher verstärkt schmelzen läßt.

Ein weiteres Problem ist die hohe Belastung des Flusswassers durch chemikalische Rückstände aus der Landwirtschaft und andere Gifte, die die beiden Flüsse mittransportieren.

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Nun zur historischen Entwicklung, die zu dieser Katastrophe führte. Der russische Wissenschaftler Voekov vertrat schon zu Zarenzeiten, also vor 1917, die Meinung, dass das Wasser des Amudarjas und des Syrdarjas lieber vollständig für die Bewässerung genutzt werden sollte, da der Aralsee aus seiner Sicht lediglich ein nutzloser Wasserverdampfer wäre. Trotz ihrer unterschiedlichen Weltanschauung setzten die Kommunisten die zarischen Pläne zur Vernichtung des Aralsees in die Tat um.

“Der Aralsee muß sterben wie ein Soldat in der Schlacht!” waren die Worte eines sowjetischen Wasserministers. Es ist einfacher sich in die zerstörerische Philosophie des Wasserministeriums einzufühlen, wenn man weiß, dass dieses Ministerium Teil des GULAG (Hauptverwaltung der Besserungsarbeitslager und damit Synonym für das Repressionssystem) war und von diesem erst in den späten 1950er Jahren getrennt wurde. Ein Hauptproblem für den Amudarja stellte der Bau des Karakumkanals dar, der Turkmenistan mit Wasser versorgt. Stalin wurden drei Möglichkeiten der Lösung der Wasserfrage am Amu vorgeschlagen. Stalin entschied sich für die ökologisch und wirtschaftlich sinnvollste Variante, die vorsah am Unterlauf, in Deltanähe einen Kanal vom Amu abzuzweigen (bei Takhiatash). Diese Lösung schien logisch, denn es sollten doch die Leute, die am Unterlauf leben, entscheiden, wie viel Wasser bei ihnen ankommen solle und wieviel sie davon abgeben könnten. Jedoch wurde nach Stalins Tod in der Kanalfrage anders entschieden. Nun baute man den Karakum-Kanal am Unterlauf des Flusses und entnahm hier 50 Prozent des gesamten Amu-Wassers (12-13 Kubikkilometer), um dieses quer durch die gleichnamige Wüste nach Turkmenistan zu leiten. Das Flußbett des Karakum-Kanals besteht aber zum größten Teil aus losem Sand und so versickert ein Großteil dieses Kanalwassers ungenutzt.

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Althergebrachte Traditionen eines sensiblen Umgangs mit Wasser hielten in Zentralasien der modernen Sowjetphilosophie, sich die Natur “Untertan” zu machen, nicht stand. Der Staat handelte in der Wasserfrage alles andere als nachhaltig. Wasser war kostenlos und die moderne Technik ermöglichte es, Wasser in alle möglichen Regionen zu pumpen. So änderte sich das Denken der Menschen im technischen Zeitalter. Ein angemessener Umgang mit der Ressource Wasser schien nicht mehr angebracht und die verheerendsten Projekte wurden damit gerechtfertigt, dass sie nötig seien, dem Kommunismus so schnell wie möglich zum weltweiten Sieg zu verhelfen. Wir befanden uns mitten in einem Krieg, in dem alles daran gesetzt wurde, den Sieg zu erringen. Fehler seien dabei in Kauf zu nehmen, da man diese später immer noch korrigieren könne. So wurden bereits Anfang des 20. Jahrhunderts ein Reihe von Entscheidungen getroffen, welche die spätere Katastrophe bedingten:

  1. Die Opferung des Aralsees für die Entwicklung der Baumwollproduktion
  2. Die kostenlose Nutzung des Wassers in der Landwirtschaft
  3. Das Graben offener Kanäle und ohne wasserundurchlässige Materialen
  4. Der konstante Gebrauch von Bewässerungsmethoden, bei denen die Felder geflutet wurden
  5. Die Rückleitung des mit Chemikalien verseuchten Brauchwassers in die Flüsse

Neben all diesen Fehlern muss noch darauf hingewiesen werden, dass Grenzen zwischen Verwaltungsterritorien in den 1920er Jahren ohne jede Rücksicht auf ökologische Faktoren gebildet wurden. Seit dem Ende der Sowjetunion fehlt die zentrale Regulierung der Wasserverteilung. Jetzt teilen sich fünf Staaten zwei Flüsse und jeder zweigt soviel Wasser ab, wie er nur kann. Auch für die Lösung der ökologischen Probleme ergaben sich durch die neue Unabhängigkeit und den damit einhergehenden Abbruch der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit in Zentralasien große Hindernisse.

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Die gegenwärtige Situation

Nach dem Beginn der Perestroika in der UdSSR wurde die Aralseeproblematik nicht mehr als Geheimnis erachtet und in der Presse erschienen immer wieder Artikel dazu. Experten verschiedenster Fachrichtungen und aus unterschiedlichen Ländern bereisten die Krisenregion. Nach der Schaffung unabhängiger Nationalstaaten schafften es Initiativen des jungen Präsidenten Karimov, dass das Thema immer in das Interesse der Weltöffentlichkeit gerückt wurde. Ein Internationaler Fond zur Rettung des Aralsees (IFAS) wurde eingerichtet. Dazu kamen andere Unterorganisationen wie International Coordination Water Commission und die Catchment Water Managmement Units on Amudariya and Sirdariya. Die Projekte der IFAS wurden von der Weltbank unterstützt, dem UNDP und der Global Environmental Foundation.

Diese breite Aufmerksamkeit schaffte in der Region schnell die Hoffnung, dass das Problem des Aralsees bald gelöst werden würde. Doch leider sind an die Stelle der Hoffnung bei Experten des In- und Auslands nun eine Reihe von Überzeugungen getreten, denen wir Stereotypen zu verdanken haben, die ich gerne die “Legenden von 1000 und einer Nacht” nenne.

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Eine dieser Legenden bringt die Flüsse Sibiriens ins Spiel. Es wurde damals daran gedacht, den Wasserlauf des Obs zu ändern und ihn nach Zentralasien zu lenken. Dieses Projekt hatte die Planungsphase bereits überschritten und wurde Ende der 1980er angegangen. Doch das Wasser war zur Bewässerung der Flächen bis zum Aralsee gedacht. Man sah 2 bis 3 Kubikkilometer für den Aralsee vor, um die Gesundheitssituation entlang des Flusses durch die Zurückleitung des Brauchwassers bzw. der Abwässer in den Fluß zu gewährleisten. Die Idee der Flußumleitung ist ein typischer Vertreter der Denkweise des beginnenden 20. Jahrhunderts. Ein Mensch des 21. Jahrhundert jedoch versteht schnell, dass solche Problemlösungen schnell zu “unerwarteten Konsequenzen” führen. Warum nun habe ich die unerwarteten Konsequenzen in Anführungsstrichen geschrieben? Normalerweise werden Problemlösungen solcher Größenordnung immer auch in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert. Diese hat dann immer ein paar Skeptiker, die vor den Konsequenzen warnen. Die Konsequenzen, die das Vorgehen am Amu darja haben würde, wurden zum Beispiel, schon lange bevor die Wasser im großen Maßstab abgezweigt wurden, vorhergesagt. Nun, welche Konsequenzen würde die Umleitung der sibirischen Flüsse haben?

  1. Die Preise für die Landwirtschaftsprodukte der Region entlang des Kanales wären höher, als die von außerhalb und könnten deswegen nicht mit denen konkurrieren. Die Integration in die Weltwirtschaft würde sich so erschweren und dies würde automatisch zu einer schrittweisen Einstellung der Unterstützung eines solch teuren Projektes führen. Es wäre doch viel logischer, entlang der schon vorhandenen Wasseradern die Bewässerungsmethoden umzustellen und so mit Tröpfchenbewässerung wassersparender zu arbeiten. 19. Jahrhundertmentalitäten (oder wie soll man das sonst nennen?) führen bei uns zur Aufrechterhaltung des status quo, der dem Staat enorme Summen zur Aufrechterhaltung der Systeme abverlangt. Anstelle, wie beispielsweise Australien, Geld in die Schaffung von Wassersparenden Technologien zu stecken, führen solche Mentalitäten zur Intensivierung der vorhandenen Kosten. So wäre die Bedeckung der jetzt vorhandenen Kanäle weitaus effektiver, als Geld in ein Projekt wie die Umleitung der sibirischen Flüsse zu stecken, die frühestens in 15 bis 20 Jahren die ersten Folgen zeitigen würden. Die Kanalabdeckungen könnten den Wasserverlust um die Hälfte reduzieren. Die Regierungen Usbekistans und Turkmenistans denken aber noch nicht mal über solche Schritte nach, geschweige denn ausländische Investoren anzulocken, die hier ihr Geld anlegen. Das könnte aber schnell geschehen, wenn man ihnen vor Augen führt, dass solche Investitionen zu überschüssigen Wasser führen würden, das man wiederum für den Aralsee zur Verfügung hätte. Auf meine Frage: “Warum stellen wir eigentlich unsere Technologien in der Landwirtschaft nicht um?” antwortete einer der offizielen Verantwortungsträger: “Weil das zur vermehrten Arbeitslosigkeit der Bauern führen würde.” Die Wirtschaft kann sich mit Hilfe solcher Überzeugungen nun wirklich nur langsam entwickeln.
  2. Der größte Teil der Bevölkerung würde von einem Kanal abhängen, dessen Bestand alles andere als gesichert ist, da er durch mehrere Länder fließen würde, deren politische Lage nicht stabil ist. Auch das Verständnis von Eigentum an Naturressourcen ändert sich mit der Zeit. In Kyrghyzstan zum Beispiel erwägt man derzeit, das Wasser an die stromabwärts liegenden Flussanrainer zu verkaufen. Diese Entscheidung wurde sogar schon vom Parlament ratifiziert. Der Markt mit seiner Dynamik und schnellen Veränderungen hat die bürokratische Planwirtschaft abgelöst. Was geschieht, wenn die nächste Generation russischer Politiker den Kanal als unwirtschaftlich erachtet? Was geschieht dann mit der Bevölkerung, die in Uzbekistan entlang des Kanals siedelt? Diese Abhängigkeit steht auch im Widerspruch zur gegenwärtigen Politik Uzbekistans, die versucht, sich von Russland zu distanzieren.
  3. Die Bewirtschaftung eines derartig großen Kanals wird auch bedingt von den natürlichen Gegebenheiten entlang seines Laufs. Im Zuge der neuesten Klimaveränderungen sind auch diese nicht mehr stabil. Messungen zeigen, dass viele Sibirische Flüsse im Sommer austrocknen, gerade dann, wenn in Zentralasien Wasser am nötigsten gebraucht wird.
  4. Da ein Großteil des aus den Sibirischen Flüssen abgeleiteten Wassers für Neulandgewinnung verwendet werden wird, ist davon auszugehen, dass große Teile der Bevölkerung dorthin umgesiedelt werden; vor allem die Jugend. So wie es in den 1960er und 1970er Jahren in Zeiten der Neulandgewinnung in Uzbekistan der Fall war, wird auch die Geburtenrate ansteigen. Dies wird im Zusammenspiel mit den überholten Bewässerungstechniken zu weiterer Wasserknappheit führen. Wie aber soll eine rasch anwachsende Bevölkerung mit Wasser versorgt werden? Vielleicht durch die Umleitung von Flüssen aus Indien? Es würde darauf hinauslaufen, dass wir voll und ganz von Wasserimporten abhängig sein werden.
  5. Die oben angeführte Legende von der Umleitung des Wassers ist bedingt durch eine weitere Fehlannahme: “In Zentralasien gibt es einen Mangel an Frischwasser! Eine einfache Rechnung widerlegt diese Annahme. Würde man die jährliche Durchflussmenge von Amu- und Syrdarja, die 100 Kubikkilometer entspricht und vollständig für Bewässerung aufgebraucht wird, auf die Bevölkerung des Wassereinzugsgebiets dieser beiden Flüsse, also etwa 45 Mio Menschen aufteilen, dann käme man auf 2222 Kubikmeter pro Person pro Jahr. Nirgendwo sonst auf der Welt ist eine derart große Wassermenge verfügbar. In Israel etwa ist sie ein siebtel davon! Wenn wir also den Wasserverbrauch pro Kopf um die Hälfte verringern, könnten 50 km3 für den Aralsee gewonnen werden. Dieses Ziel könnte schnell erreicht werden, denn seit den letzten 40-50 Jahren füllt dieses Wasser lediglich hunderte von künstlichen Wasserreservebecken am oberen und mittleren Lauf der beiden Flüsse. Dabei handelt es sich keineswegs um Wasserspeicher sondern um Seen, die das Ende der Bewässereungskanäle bilden. Es ist unbedingt notwendig, das Wasser dieser Seen abzuleiten und nicht wieder nachzufüllen. Darüberhinaus ist erwiesen, dass der Verlust im Kanalsystemen bei 50% liegt. D.h. die Hälfte des für die Bewässerung abgezweigten Wassers versickert und verdunstet nutzlos. Auch die oben erwähnte Abdeckung und Auskleidung der Kanäle mit wasserundurchlässigen Materialien würde dabei helfen, den Aralsee zu retten.

[inspic=596,,,0]Eine weitere Legende ist, dass Baumwolle für die Aralkrise verantwortlich sei. Ende der 1980er und in den 1990er Jahren gab es sehr viele Publikationen, die gegen die Baumwollmonokulturen in Zentralasien, vor allem in Uzbekistan gerichtet waren. Vom Lärm dieses multivokalen Chors der Baumwollkritiker wurden Gegenstimmen, die etwa die Verbesserung des Wassermanagements forderten, einfach übertönt. Baumwolle ist das einzige Exportprodukt für Usbekistan. Die uzbekische Regierung kauft dabei die Baumwolle zu einem sehr niedrigen Preis von den Bauern, um ihrerseits den Rohstoff dann zu Weltmarktpreisen ins Ausland zu verkaufen. Manchmal beträgt die Differenz zwischen An- und Verkaufspreis (und damit die Gewinnspanne für die usbekische Regierung) 1000%. Der Regierung ist daran gelegen, diese Profitspanne so groß wie möglich zu halten und etablierte ein staatliches Monopol auf die Produktion und den Verkauf von Baumwolle. Sogar im Inlandmarkt ist der Verkauf von Baumwolle verboten. Dieses Monopol führte zu einer unwirtschaftlichen Situation auf Seiten der Bauern, die nun ihrerseits versuchten, auf jede erdenkliche Weise Baumwolle durch andere Produkte wie Reis und andere für sie einträglichere Nutzpflanzen zu ersetzen. So sah sich die Regierung gezwungen, durch harsche Maßnahmen (genannt “Staatliche Anordnung”) jeden einzelnen Bauern dazu zu verpflichten, eine bestimmte Menge an Baumwolle anzubauen. Aber: Baumwolle benötigt gar nicht so viel Wasser. Es wurden sogar dürreresistente Sorten gezüchtet, die etwa fünf Mal weniger Wasser als die herkömmlichen Sorten benötigen. Wenn also Reis und Weizen die Baumwolle abgelöst haben werden, wird auch der Wasserverbrauch um das zwei bis fünffache angestiegen sein, was ebenfalls zur Verschärfung der Krise beitragen wird.

Probleme des Wassermanagements

Auf den ersten Blick scheint es einfache Lösungen für all diese Probleme zu geben. Baumwolle muß vom Staatsmonopol entfernt werden. Die Bauern müssen in die Freiheit entlassen werden und es muß ihnen überlassen werden, welche Produkte sie anbauen und wo sie diese verkaufen wollen. Die Rückleitung von verschmutztem Abwasser in die Flüsse muß gestoppt werden. In Usbekistan ist ein derartiges Gesetz zum Schutz der Wasserressourcen bereits verabschiedet.

Aber im Leben läuft es nicht so einfach.

Das sozialistische System hat auf Projekte gesetzt, für die auch nach ihrer Fertigstellung viel Geld für ihren Betrieb aufgebracht werden mußte. Ein Beispiel hierfür ist der Karshi-Kanal, der das Wasser aus dem Amudarja über 132 m hoch auf die Karshi-Steppe pumpt, um diese zu bewässern. Wer bezahlt nun die 450 Megawatt Strom, die man benötigt, um das Wasser hochzupumpen? Die uzbekische Regierung, d.h. es wird von den Steuerzahlern bezahlt. Wie könnten nun die Bauern und ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse auf dem Markt, sollte er denn je in Uzbekistan eingeführt werden, bestehen und was wäre, wenn in Uzbekistan die Bauern frei wären? Sowohl die Bauern in der Steppenregion Karshi als auch die Bauern entlang des Amu-Bukhara Kanals wären in einer Markwirtschaft ohne Subventionen nicht konkurrenzfähig. Wenn die Regierung die Pumpensysteme nicht aufrecht erhält, riskiert sie den gesellschaftlichen Zusammenbruch. Aber die Frage bleibt, wie lange das alles gut geht? Ist die Regierung tatsächlich gewillt, dauerhaft Gelder zuzuschießen, um eine unwirtschaftliche Produktion aufrecht zu erhalten?

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Als weiteres Beispiel kann unsere Organisation “Vereinigung zum Schutz des Aralsees und des Amudarja” herangezogen werden. Wir haben einen schweren Fall von Rechtsverletzung seitens des Ministeriums für Landwirtschaft und Wasserangelegenheiten vor Gericht gebracht. Der Fall betrifft das Naturschutzgebiet Baday Tugay, in dem jegliche menschliche Aktivitäten strengstens verboten sind, durch das aber dennoch Abwassergräben gezogen wurden, die das verschmutzte Wasser aus drei Bezirken Qaraqalpaqstans aufnehmen.

Wir hofften, dass das Gericht unsere Anklage annehmen würde, da der Rechtsbruch ganz offensichtlich war. Aber das Gericht entschied in diesem Fall gegen uns. Auch unser Antrag an das Berufungsgericht wurde abgelehnt und zwar mit Bezug auf genau die Paragraphen, die unserem Anliegen Recht geben. Wollte man die Aussage des Richters kurz zusammenfassen, dann hieße das: “Sie haben Unrecht, weil sie Recht haben!”

Das geschah nicht etwa, weil die Richter und Staatsanwälte keine Ahnung haben, sondern weil sie in einem totalitären Land aufwuchsen, in dem grundsätzlich davon ausgegangen wird, dass der Staat im Recht ist. Wer als Sklave auf die Welt kam, nimmt die Freiheit nicht an!

Mögliche Schritte das Problem zu lösen

Die internationale Staatengemeinschaft bemüht sich um eine Koordination der Anstrengungen zur Lösung des Aralsee-Problems seitens der Zentralasiatischen Staaten. Viele gemeinsame Deklarationen wurden verabschiedet und ein internationaler Fond zur Rettung des Aralsees (IFAS) eingerichtet. Dieser Fond umfasst verschiedene Programme. Trotz der guten finanziellen Ausstattung ist der Fond in seiner Handlungsfähigkeit vor allem durch eine wesentliche Einschränkung behindert: Das Fehlen einer gemeinsamen Wasser-Strategie der Zentralasiatischen Staaten.

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Die Gründe hierfür sind verschieden. Aber der Hauptgrund ist das Fehlen einer Vorstellung von Marktökonomie in Bezug auf ein gemeinsames Management von Naturressourcen bei gerade den Personen, die für die Entwicklung und Umsetzung eines derartigen Konzepts zuständig sind. Die Regierungen aller Zentralasiatischer Staaten haben nämlich Personen zu IFAS abberufen, die zuvor als Wasserminister, deren Stellvertreter oder als hochrangige Spezialisten gearbeitet haben. Das heißt, es wurden genau die Personen mit den neuen Aufgaben betraut, deren Denk- und Handlungsweise die Aralsee-Krise erst hervorgebracht hat. Ihre Erfahrungen in der Vergangenheit bestanden eben darin, markwirtschaftliche Regeln abzulehnen, die Rechte der Natur nicht wahrzunehmen und nach dem simplen Prinzip “Je größer desto besser!” zu handeln. Die sowjetische Staatsgewalt sah vor, den Aralsee zu vernichten und die Sibirischen Wasserreserven einzubeziehen. Es scheint unmöglich, dieses sowjetische Denken zu überwinden.

Ein deutliches Beispiel hierfür ist das turkmenische Vorhaben nördlich der Karakum Wüste, eine Wasseraufbewahrungsanlage mit dem bezeichnenden Namen “Goldener Jahrhundert See” zu bauen. Das vorgesehene Volumen dieses Sees umfasst 132 km3 mit einer Wasseroberfläche von 3460 Quadratkilometer. Die für das gigantomanische Projekt veranschlagten Kosten belaufen sich auf rund 4 Mrd. US$.

Eine frühere Ausbeutung eines ähnlichen Sees (des Sarykamish Sees im Turkmenisch-Qaraqalpaqischen Grenzgebiet) zeigte, dass sehr oft auch Frischwasser des Amu in diesen See gelangte, obwohl dieser eigentlich als natürlicher Abwasserendsee geplant war. Das Projekt “Goldenes Jahrhundert See” alarmiert deshalb vor allem die Bewohner am Unterlauf des Amudarja, d.h. vor allem Bürger Uzbekistans. Um den drohenden Konflikt zu vermeiden, bedarf es eines Dialogs innerhalb der IFAS und zwischen den Regierungen von Turkmenistan und Uzbekistan.

Politische Bemühungen um konkrete Lösungen wurden bereits eingeleitet, aber leider kommt es immer wieder zu ähnlich gelagerten Problemen.

Deshalb ist die Grundlage für derartige Gespräche eine von allen betroffenen Seiten koordinierte und ratifizierte Vereinbarung über die Wasserkontingentierung für die gesamte Region. Ein derartiges Abkommen muss auf Marktregeln fußen, die nicht nur die Interessen der jeweiligen Bevölkerung in Betracht ziehen, sondern auch die Rechte der Natur mit berücksichtigen.

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Aber einige der Politiker Tadschikistans und Kyrgyzstans verstehen den Markt sehr einseitig. Sie sehen ihre Länder als die Besitzer der Wasserressourcen des Aralbeckens aufgrund der Tatsache, dass sowohl der Amu- als auch der Syrdarja in den Gebirgsregionen ihrer Länder entspringen. Deshalb erwarten sie eine Bezahlung für die Wassernutzung von den stromabwärts gelegenen Anrainerstaaten. Diese, namentlich Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan sehe die Sache natürlich anders. Nichtsdestotrotz entbehrt die Position der oben genannten Gebirgsländer nicht einer gewissen Rationalität, die man auch nutzbar machen kann.

Ein Marktteilnehmer, der ein Gut besitzt, trägt für die Qualität und die Quantität des entsprechenden Guts (in diesem Fall das Wasser) und auch für dessen fristgerechte Lieferung die absolute Verantwortung. Sollten die Gebirgsstaaten, die die Rolle als alleinige Besitzer des Wassers anstreben, den Anforderungen die der Markt an einen Besitzer eines bestimmten Guts stellt nachkommen können, könnte man ihren Forderungen stattgeben. Sie sind dann verantwortlich für den Zustand der Gletscher, die die Wasserreservoirs ausmachen, und sie wären verantwortlich für das Verteilungsnetz, d.h. für den Zustand der Flussläufe, die die Kunden mit dem Gut versorgen. Sie wären auch verantwortlich für die Qualität des Wassers, unabhängig davon, wo der Abnehmer lebt, am Oberlauf oder am Unterlauf der Flüsse. Ein derartiger Besitzer wäre verantwortlich für die Folgen von Überflutungen und hätte für die entstandenen Kosten der Geschädigten aufzukommen. Man benötigt nicht viel Vorstellungskraft, um zu erkennen, dass dies alles von beiden Staaten nicht geleistet werden kann. Deshalb muss die Eigentümerschaft im Falle grenzüberschreitender Flüsse von einer neutralen Organisation übernommen werden, die, wie in anderen transnationalen Kooperationen von den beteiligten Staaten gemeinsam getragen sein muss. Exklusive Besitzrechte im Fall von Wasser sind da kaum praktikabel.

Momentan sind wir dabei, neue Vorschläge für die Besitzrechte bei Flüssen zu erarbeiten. Wir erkennen Flüsse als Eigentum der Natur an und fordern alle Staaten Zentralasiens dazu auf, diesen Sachverhalt in ihre Gesetzgebung aufzunehmen. Diese Anerkennung würde die Natur als gleichberechtigten Wirtschaftspartner etablieren, deren Rechte innerhalb der Gesellschaften von der oben genannten Körperschaft vertreten werden könnte. In diesem Fall würde ein Teil des durch die Ausbeutung der Flüsse erzielten Profits dafür genutzt werden, die Flüsse zu pflegen und somit helfen, die ökologische Sicherheit der gesamten Region zu garantieren. Dadurch, dass man die Volkswirtschaften aller Flussanrainerstaaten am Schutz der Flüsse beteiligt, schafft man eine solide und nachhaltige finanzielle Basis, auf deren Grundlage verschiedene Probleme angegangen werden können. Ähnlich dem Beispiel der Donau in Europa könnte so ein zukünftiger Staatenbund der Menschen entlang dieser Flüsse angestrebt werden. Wir haben dieser Idee einen Namen gegeben “Ecological Economics Unit of the Biosphere” (EEUB). Diese Organisation könnte entlang aller Flüsse geschaffen werden.

Aussichten nah und fern

Man sieht nun, wie weit die eben geschilderten Träume von einem fairen und gerechten Umgang mit dem Wasser in Zentralasien von der realen Situation im Aralsee-Becken entfernt sind. Ich glaube nicht, dass ich die Lösung der Aralseekrise noch erleben werde. Das Sterben des Aralsees dauerte 50 Jahre und ein möglicher Erholungsprozess benötigt mindestens ebenso viel Zeit. Dennoch werden wir für unsere Zukunft kämpfen und wir erhoffen dafür internationale Unterstützung.

Der Aralsee muss gerettet und wiederhergestellt werden!

Jusup Kamalov ist führendes Mitglied der “Union for Defense the Aral Sea and Amudarya.”, 41 prospect Berdakh, 8th floor, Nukus, Karakalpakstan, Uzbekistan. 742000. E-mail: udasa@rol.uz, yusupkamalov@yahoo.com

3 Thoughts on “Der Aralsee. Gestern-Heute-Morgen.

  1. ich find es schlimm dem aralsee seine flüsse wegzunehmen

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