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Duschanbe, die Hauptstadt Tadschikistans, besitzt ein auch aus westeuropäischer Sicht funktionierendes Nahverkehrssystem. Trolleybusse nehmen dabei eine wichtige Rolle ein. Alle Fahrzeuge im Linienbetrieb sind an den Seiten mit politischen Slogans versehen. Ausgehend von diesen zahlreichen Slogans soll die neuere Geschichte Tadschikistans und die aktuelle politische Entwicklung beleuchtet werden.
Dabei waren Slogans auf den Seiten der Busse zu Zeiten der Sowjetunion unüblich, und heutzutage entscheiden sich die meisten Betriebe diesen Platz zu Werbezwecken zu vermieten. Duschanbe geht jedoch einen anderen Weg.
Die Slogans scheinen eine Besonderheit der Stadt zu sein, vor allem angesichts der Tatsache, dass so viele verschiedene Sprüche anzutreffen sind – einige Dutzend. Die Slogans werden durch die Stadtverwaltung in Auftrag gegeben und an den stadteigenen Verkehrsbetrieb weitergeleitet, der diese an den Fahrzeugen anbringen lässt.
Zehntausende Personen sehen die Slogans täglich an sich vorbeifahren, aber nehmen sie diese überhaupt wahr? Oder sind die Slogans nur Hintergrundgeräusche, angesichts der allgegenwärtigen Slogans, die Straßenzüge überspannen oder Hauswände bedecken? Es ist eine grundlegende Marketing-Frage; in unserem Fall jedoch hat sie eine politische Bedeutung.
Die untersuchten Slogans auf den Fahrzeugen sind ein Baustein unter vielen in einer breit angelegten staatstragenden Erziehungskampagne. Wie viel Beachtung sie auch immer tatsächlich finden mögen, sie sind bezeichnend für das Verhältnis zwischen Regierung und Bevölkerung in den zentralasiatischen Republiken.
Ein positiver Blick auf die Unabhängigkeit
Die Nostalgie nach der Sowjetzeit, nach ihrer vermeintlichen wirtschaftlichen und politischen Stabilität, ist, wie in den anderen Staaten Zentralasiens, stark verbreitet. Eine Reihe von Slogans geht daher auf Errungenschaften ein, die durch die Unabhängigkeit ermöglicht wurden. Die Unabhängigkeit soll nicht als Auslöser für Bürgerkrieg und wirtschaftlichen Niedergang betrachtet werden. Sie wird als heilig und unantastbar dargestellt, auch um Diskussionen über das aktuelle Staatssystem zu verhindern.
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Nach Jahren der sowjetischen Planwirtschaft hat die Marktwirtschaft, so der folgende Slogan, den Bürgern neue Chancen eröffnet. Gleichzeitig muss die Existenz von Staatsbetrieben und Monopolisten, die einen Großteil der wirtschaftlichen Produktion Tadschikistans ausmachen, gerechtfertigt werden. Auf diese Weise könne auch bestehende prekäre Eigentumsverhältnisse landwirtschaftlicher Nutzflächen festgeschrieben werden, unter den vor allem Baumwollbauern leiden. Sie müssen in privater Verantwortung auf genossenschaftlichen Flächen staatliche Planvorgaben erfüllen.
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Tadschikistan befindet sich nach der Unabhängigkeit, dem Slogan zufolge, auf dem Weg der Demokratisierung und der Rechtsstaatlichkeit. Das neue Rechtssystem wird als Grundlage von Stabilität dargestellt.
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Nach der Unabhängigkeit ist in Tadschikistan ein Bürgerkrieg ausgebrochen, der bis 1997 andauerte und mindestens 50.000 Opfer gefordert hat. Der Bürgerkrieg nimmt nach wie vor eine bedeutende Rolle im politischen Diskurs des Landes ein. Wie dieser Slogan zeigt, wird die Ruhe als Staatsziel ausgegeben. Das geht damit einher, dass im Namen der Ruhe Oppositionsparteien und kritischen Journalisten enge Grenzen gesetzt sind.
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Historische Bürde eines jungen Staates
Duschanbe ist eine sehr junge Hauptstadt. Durch die sowjetische Nationalitätenpolitik der 1920er/1930er Jahre wurden die traditionellen Bezugspunkte der Tadschikischsprecher Zentralasiens, die Städte Buchara und Samarkand, Usbekistan zugeschlagen. Duschanbe, damals noch ein Dorf aus Lehmhäusern mit gerade einmal 300 Einwohnern wurde zur Hauptstadt einer neugegründeten Tadschikischen Republik. Der Blick geht jedoch immer wieder zurück zu den alten prächtigen Städten, die heute jenseits der usbekischen Grenze liegen. Daher ist der Wunsch stark, Duschanbe möge den Vergleich mit den großen historischen Vorbildern standhalten.
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Nach der Unabhängigkeit ist in Tadschikistan ein Bürgerkrieg ausgebrochen, der bis 1997 andauerte und mindestens 50.000 Opfer gefordert hat. Der Bürgerkrieg nimmt nach wie vor eine bedeutende Rolle im politischen Diskurs des Landes ein. Wie dieser Slogan zeigt, wird die Ruhe als Staatsziel ausgegeben. Das geht damit einher, dass im Namen der Ruhe Oppositionsparteien und kritischen Journalisten enge Grenzen gesetzt sind.
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Dabei geht es nicht nur um die Hauptstadt Duschanbe, sondern auch um das gesamte heutige Staatsgebiet von Tadschikistan. Es wird auch Bezug auf das Samanidenreich genommen, das vom Kaspischen Meer bis nach Indien reichte, und dessen Hauptstadt Buchara war. Dieses Reich wird heute als der erste tadschikische Staat dargestellt, von dem nur ein Bruchteil zum heutigen unabhängigen Tadschikistan gehört. Auch an Tadschikischsprecher außerhalb der Grenzen Tadschikistans wendet sich der folgende Slogan. Die Hauptstadt ist, so die Aussage, der emotionale Bezugspunkt der Tadschiken der ganzen Welt.
Schönheit als politisches Instrument
Diese Perspektive wird durch Feierlichkeiten betont. Runde Geburtstage bilden dafür einen willkommenen Anlass, so etwa der 80. Jahrestag von Duschanbe als Hauptstadt Tadschikistans im Jahre 2004.
Die angesprochene “aufrichtige Mühe” zielt vor allem auf den Einsatz der Bevölkerung zur Verschönerung der Stadt durch Blumenpflanzungen, Aufräumaktionen und Straßenfeste.
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Zu dem Anlass wurde die Stadt mit zahlreichen Objekten geschmückt, die dieses Jubiläum ins Gedächtnis rufen sollten.
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Die Verschönerung anlässlich von Jubiläen dient dabei einem doppelten Zweck. Zum einen wird erhofft, dass ein wohlgestaltetes, blühendes Duschanbe die historische Rolle ausfüllen kann, die der Stadt in einem unabhängigen Tadschikistan zukommt.
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Darüber hinaus wird der Stadtverschönerung zugeschrieben, gesellschaftliche Beziehungen, Moral und staatliche Stabilität positiv zu beeinflussen. Der Stadtgestaltung kommt somit eine politische Rolle zu. Sie wird als Instrument der Legitimierung und des Machterhalts eingesetzt.
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Anm.: obod wird hier als ”blühend” übersetzt. Der Begriff umfasst aber auch die Bedeutungen “kultiviert, bewohnt, gepflegt”. Demnach: “Eine kultivierte Hauptstadt hat eine Kultivierung unseres Hauses zufolge”, was den moralischen Erziehungsanspruch des Staates noch deutlicher zutage treten lässt. xonadon kann ebenfalls als Haushalt, Hausgemeinschaft und Familie verstanden werden.
Text und Konzept: Wladimir Sgibnev, 2009, Dank für technische Umsetzung, Text- und Übersetzungskorrekturen: J. Sgibnev, F. Rogalla, A. Stefes, B. Aripova, Th. Loy. Text und Photos entstammen einem Plakat, das für die Lange Nacht der Wissenschaften in Berlin und Potsdam am 13. Juni 2009 angefertigt wurde. Das ganze Plakat findet man hier.
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