Abdurrauf Fitrat gehört zu den eher weniger bekannten asiatischen Kritikern des westlichen Imperialismus, die, inspiriert vom Sieg der Japaner über das zarische Russland 1905, zur Feder griffen, um ihre Gesellschaften aufzurütteln und aufzubegehren gegen die europäische Übermacht. „The early men of modern Asia“ schreibt Pankaj Mishra in seinem faszinierenden Buch From the Ruins of Empire über genau diese Aufklärer “travelled and wrote prolifically, restlessly assessing their own and other societies, pondering the corruption of power, the decay of community, the loss of political legitimacy and the temptations of the West.” Sie alle stehen am Beginn des Erwachens der asiatischen Welt. Von Ägypten über den Iran und Indien bis China und Japan reagierten junge Intellektuelle des frühen 20. Jahrhunderts mit einem ähnlich angelegten Programm.
Pankaj Mishra nennt drei Grundzüge des Denkens dieser asiatischen Aufklärer:
1) Die reaktionäre Überzeugung, dass die asiatischen Gesellschaften zu neuer Stärke erwachsen würden, wenn sie sich nur wahrhaftig auf ihre überlegen erachteten religiösen Traditionen rückbesinnen würden, seien sie islamisch oder konfuzianisch.
2) Der Glaube daran, dass dazu nur die Übernahme einiger Errungenschaften der modernen Technik von Nöten sei.
3) Der radikalere Ansatz (vertreten etwa von Mao und Atatürk), dass es einer umfassenden Kulturrevolution bedurfte, um auf dem Kampfplatz des modernen Lebens als Sieger hervorzugehen.
Dies alles passt präzise auch auf das Denken und Schreiben Abdurrauf Fitrats – der, wie auch die anderen zentralasiatischen Aufklärer in Pankaj Mishras Buch mit seinen Hauptfiguren Jamal al-Din al-Afghani (1838-97) und Liang Qichao (1873-1929) und vielen Nebenfiguren nicht explizit erwähnt wird. Doch auch der kurze Abschnitt über Abd al-Rahman al-Jabarti (1753-1825), der Napoleons Eroberung Ägyptens protokollierte und den Mishra am Beginn einer Reihe von Männern sieht, die bestürzt sind und fassungslos ob der europäischen technisch-militärischen Überlegenheit (S.21), könnte ohne Änderung auch in einer Beschreibung des Lebens Abdurrauf Fitrats geschrieben stehen und charakterisiert die Aufklärer Asiens folgendermaßen:
„men accustomed to a dininely ordained dispensation, the mysterious workings of fate and the cyclical rise and fall of political fortunes, to whom the remarkable strength of small European nation-states would reveal that organized human energy and action, coupled with technology, amount to a power that could radically manipulate social and political environments. Resentful dismissive first of Europe, these men would eventually chafe their own slothful and uncreative dynastic rulers and weak governments; and they would arrive at a similar conviction: that their societies needed to attain sufficient strength to meet the challenge of the West.”
Fortsetzung von Fitrat: Der Profit
Denn sie sagen, dass wenn die ganze Gemeinschaft unserer Nation Wohlstand und Frieden erhält, dann wird auch zweifelsohne uns von jenem Wohlstand und jener Zufriedenheit etwas zu Teil. Andernfalls ist aller Wohlstand und Ruhe, der einen jeden von uns erreicht fragwürdig und wird [sowieso bald] zugrunde gehen. Deswegen ist jene Gruppe bestrebt, solange sie existiert, die Gewinne für ihre eigene Nation zu studieren. Auf diesem Weg nehmen sie alle Hindernisse und Schwierigkeiten, die vor ihnen auftauchen, bewusst in Kauf.
Das heißt, Personen mit ebendieser Geisteshaltung geben sich [für ihre Nation] hin und opfern sich für die Gemeinschaft. Je mehr dieser sich aufopfernden Personen in einer Nation existieren, desto länger wird sie Bestand haben und desto größer ist ihre Hoffnung zu überleben. Und jede Gruppe [qawm], in der es weniger von diesen Personen gibt, wird dem Untergang und dem Verschwinden näher sein.
Einige Menschen aber sehen keinen Zusammenhang zwischen ihrem privaten Gewinn und dem nationalen Gewinn. Obschon einige wenige von eben diesen Personen die Anständigkeit besitzen und ihre privaten Gewinne mit erlaubten Mitteln erwerben, d.h. bestrebt sind, beim Erwerb der privaten Gewinne, dem nationalen Gewinn keinen Schaden zuzufügen, so sind jedoch die allermeisten von ihnen nicht so. Wenn sie nicht auf legale Weise Profit erzielen können, dann zögern sie nicht und richten ihre Aufmerksamkeit sogleich auf unrechtmäßige Wege.
Also besteht die Profitgier [manfaʿatparastī] aus eben diesen Prinzipien und die Profitsüchtigen aus eben diesen Personen: Versuchung, moralische Zersetzung, Neid und Feindschaft – all dies ist das Ergebnis dieser Profitgier.
Der Islam hat diesen zerstörerischen Gedanken und alle seine Verzweigungen mit ganzer Kraft begrenzt und verboten. Aber, unglücklicherweise, sind seit der Zeit der rechtgeleiteten Kalifen bis heute viele der islamischen Gesellschaften von diesem Weg abgekommen und die Ländereien der Muslime sind aus genau diesem Grund verkommen.
Auch heute regiert dieser zerstörerische Gedanke inmitten unserer Gesellschaft mit äußerster Härte. Als These unbestreitbar und in jedermanns Sprache geläufig ist, dass „sich zwei Muslime nicht eine Woche in einem Haus freundschaftlich aufhalten können“, eben weil sie profitgierig sind. Sobald der eine von den beiden denkt, dass eine bestimmte Handlung seines Freundes seinen persönlichen Gewinn schmälert, bricht er sofort einen Streit vom Zaun und entwirft einen Trennungsplan!
Für die Personen, die unsere kopfüber gestürzte Nation aus dem Strudel der Unwissenheit retten möchten, ist zuerst die Kühnheit von Nöten, sich ebendieses profitgierige Denken aus dem Kopf zu schlagen. Aber, oh je…! Diese tödliche Krankheit hat sich wohl schon derart in unseren Adern und Wurzeln festgesetzt, dass es kaum möglich erscheint sie mit einem Artikel von mir zu beseitigen…!
Letzten Endes müssen aber diejenigen, die sich selbst opfern und ihre persönlichen Gewinne den nationalen Gewinnen unterordnen, auf jeden Fall auf der Hut sein vor den Anbetern der privaten Gewinne und deren Bewegungen ständig aufmerksam im Blick behalten. Wenn sie sich aber, Gott behüte, als unfähig erweisen sollten, diese wichtige gesellschaftliche Aufgabe zu bewältigen, dann gute Nacht…!
(Sitz des Kalifen) Hauptstadt Istanbul: ʿAbdurraʾūf Firat
(in Āʿīna Nr. 6, 1913, S. 149-150)