Getrennte Schwestern – illegale Grenzübertritte zwischen Usbekistan und Tadschikistan

Ein Beitrag von Andreas Mandler, Claudia Musterfrau und Thomas Loy

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Tadschikistan und Usbekistan – getrennte Schwestern Seit an Seit; tethys 2011.

Die Nachbarn Tadschikistan und Usbekistan trennt eine über 1.000km lange Grenze. Auf beiden Seiten dieser Grenze wohnen Tadschiken und Usbeken. In den späten 1990er Jahren wurde aus den von der Sowjetmacht in den 1920er Jahren in Zentralasien gezogenen administrativen Grenzen Barrieren, die den Alltag der Menschen erschweren, Familien trennen und Bewegungen von der einen auf die andere Seite behindern. Dabei war und ist diese Grenze politisch motiviert und folgt keinen geografischen, “ethnischen” oder sonstwie gearteten Trennlinien.

Ende der 1990er Jahre wurde die grüne Grenze zwischen Usbekistan und Tadschikistan durch einen Zaun geschlossen und in schwer zugänglichem Gelände vermint. Nach dem Friedensschluss im tadschikischen Bürgerkrieg (1992-1997) verschlechterten sich die Beziehungen der Regierungen in Taschkent und Duschanbe zusehends. Die systematische Grenzschließung wird vor allem Usbekistan angelastet. 1999 wurde der Flugverkehr zwischen Usbekistan und Tadschikistan eingestellt und eine Visumpflicht eingeführt. Offizieller Grund für diese Maßnahme des Präsidenten Usbekistans war die Unfähigkeit der Regierung des benachbarten Tadschikistan, sein Territorium und seine Grenzen ausreichend zu kontrollieren: Nur durch die Schließung und teilweisen Verminung der Grenze könne die von Afghanistan aus operierenden radikalen Kräften des Islamic Movement Usbekistan (IMU) daran gehindert werden Uzbekistan zu destabilisieren. 1999 war es in Taschkent und im Ferghanatal zu einigen dieser Organisation zugeschriebenen Anschlägen gekommen.

Gleichzeitig konnte durch diese Maßnahme auch der Druck auf die Regierung Rahmonov (heute Rahmon) in Duschanbe erhöht werden. Diese hatte sich zwei Jahre zuvor durch ihren Friedensschluss mit Vertretern der Vereinigten Tadschikischen Opposition (die von Taschkent als feindlich gesinnte Islamisten eingestuft wurden) von der Linie des usbekischen Präsidenten, Islam Karimov, abgewandt.

Tadschikistan, das nach seiner Gründung als Autonome Sozialistische Sowjetrepublik von 1924 bis 1929 von Taschkent aus regiert wurde, hängt aufgrund seiner geographischen Lage am Tropf Usbekistans. Öl, Gas, und alle anderen Importgüter können auf dem Landweg nur über Usbekistan eingeführt werden. Andererseits ist Usbekistan nicht auf Waren aus Tadschikistan angewiesen. Die einseitig erfolgte Grenzschließung schmerzt und schwächt also vor allem die Regierung Tadschikistans.

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Tadschikistan und Usbekistan – Grenzgebiet unteres Zerafshantal; A. Mandler 2011.

Jahrelang war es der Bevölkerung in Grenznähe durch Sonderregelungen (oder Geldzahlungen) möglich einen kleinen Grenzhandel zu praktizieren oder Familienangehörige auf der anderen Seite zu Familienanlässen zu besuchen. Die Schwierigkeiten bei diesen Grenzübertritten und unglaubliche Kreativität und Fatalität der betroffenen Menschen kann man in dem 2006 von Gulya Mirzoeva gedrehten Dokumentarfilm “Zeit der Grenzen” erleben. Die Ethnologin Madelein Reeves hat diese erschwerten Bedingungen wissenschaftlich fundiert und eindringlich beschrieben. Nun soll auch diesen beschränkten Möglichkeiten ein Riegel vorgeschoben werden. Usbekistan isoliert den Norden Tadschikistans (die Region Sughd – ehemals Leninabad) mit einer hohen Grenzmauer. Gegenwärtig gibt es nur noch drei offizielle Grenzübergänge, welche tadschikische und usbekische Staatsbürger mit einem gültigen Visum passieren können: Sar-i osio (in Südtadschikistan westlich von Duschanbe) sowie Oybek und Konibodom (in der Region Sughd).

Trotz aller Widrigkeiten statten sich die Familien Besuche ab. Meist reisen die Frauen für Wochen und Monate zu Verwandten. Der offizielle Weg geht über ein Visum, das, so berichten Familien in Tadschikistan, von usbekischer Seite nur bei traurigen Familienanlässen erteilt wird. Da das Prozedere zeitaufwändig ist (oder sehr teuer) schaffen es die Angehörigen oft nicht zu den Trauerfeiern. Außerdem wird für die Erteilung eines Visums natürlich ein Pass benötigt, den viele Menschen in Tadschikistan aber nicht besitzen. Sie ersparen sich die bürokratischen Mühen und Kosten und leben ohne Pass. Ein Pass kostet in Tadschikistan etwa 100 Somoni, das sind etwa 15,00€ – zu viel für viele. In letzter Zeit häufen sich auch die Klagen, dass ethnische Tadschiken in Usbekistan (und ethnische Usbeken in Tadschikistan) Schwierigkeiten haben von den Behörden einen Pass ausgestellt zu bekommen.

Wer keinen Pass hat, kann also derzeit nicht legal im Nachbarland seine Familie besuchen. Das heißt aber auch, er oder sie kann nicht offiziell/staatlich heiraten. Das wäre bei Hochzeiten innerhalb der jeweiligen Staaten nicht weiter problematisch, denn eine Heirat vor dem Mulla ist gesellschaftlich voll ausreichend. In der Regel werden Ehen innerhalb der Großfamilien geschlossen. Cousin- und Cousinenhochzeiten halten das Familienvermögen zusammen. Problematisch sind diese Verbindungen, wenn die so ausgewählten Ehepartner jenseits der Grenze leben. Für Tadschiken sind das vor allem die Städte Samarkand und Buchara oder die grenznäheren ländlichen Regionen.

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Tadschike oder Usbeke? Reisbauer am Unterlauf des Zerafschan auf tadschikischem Territorium. Wo wird er seine Frau finden?; A. Mandler 2011.

Ohne Pass sind diese ganz alltäglichen Hochzeiten also doppelt (grenzüberschreitend und standesamtlich) illegal. Dabei ist vielen Bürgern oft gar nicht bewusst, welche Dokumente sie für eine Heirat über die Grenze hinweg beibringen müssten. Die gesamte administrative Prozedur erscheint so wenig naheliegend, dass unsere Gewährsfrau, eine ältere Frau aus dem Bezirk Samarkand, bündig die offizielle usbekische Position zusammenfasst: “Tadschiken dürfen nicht geheiratet werden.” Wenn es aber eben doch sein muss, so wird der ganze Vorgang, von der Heirat bis zur Geburt der Kinder an den Behörden vorbei organisiert.

Noch bis vor kurzem war es für Einwohner aus dem tadschikischen Bezirk Pendschikent möglich, mit geringem Aufwand die administrativen Hürden beiderseits der Grenzen zu nehmen. Für die Bewohner dieses Bezirks galt die Sonderregelung, ohne Visum in den angrenzenden usbekischen Bezirk Samarkand zu reisen. Die beiden namengebenden Städte Pendschikent und Samarkand liegen beide am Zerafschan, nur etwa 50 km voneinander entfernt. Diese Möglichkeit ist inzwischen entfallen. Seit Herbst 2010 ist die dortige tadschikisch-usbekische Grenze völlig geschlossen. Diese scharfe Trennung einer seit Jahrhunderten sozial und kulturell eng verwobenen Region führt zu heftigen Komplikationen im familiären Alltag. Wer trotz allem seine Familie auf der usbekischen Seite besuchen will, dem hilft nur ein illegaler Grenzübertritt.

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Nachbarn – Blick von Pendschikent in Richtung Samarkand; A. Mandler 2011.

Das Wissen über die entsprechenden Dörfer bzw. Orte, an denen ein illegaler Grenzübertritt möglich ist (oft unter Aufsicht und “Kontrolle” der dort stationierten Grenztruppen), verbreitet sich schnell unter der Bevölkerung. Es geht nur zu Fuß und ohne Gepäck. Eine Frau berichtete uns, wie sie beim ersten Mal durch einen Zaun kletterte. Auf der usbekischen Seite rannte sie los, ohne sich noch einmal umzudrehen. Vier Soldaten kamen hinter ihr her und stoppten sie mit vorgehaltenen Waffen: “Warum läufst du, Schwester? Du hast doch keine Drogen dabei! Gib uns ein bisschen Geld!” Sie gab alles Geld, das sie bei sich hatte, dann wiesen ihr die Soldaten die Richtung, in die sie gehen sollte. Dort solle sie sich an eine bestimmte Person wenden, welche ihr dann ein “tadschikisches” Taxi besorgen würde.

In den folgenden Jahren überquerte sie mehrfach die Grenze, indem sie an verschiedenen Stellen Leute bezahlte. Sie berichtete, dass diese Übergänge sehr teuer sind. Ohne Pass und Visum gibt es in Usbekistan natürlich auch keine offizielle Registrierung bei den lokalen Ovirs. Dieses Relikt aus sowjetischen Tagen ist in Usbekistan bis heute für jeden zwingend notwendig, der sich länger als zwei Tage an einem Ort aufhält, an dem er nicht polizeilich gemeldet ist.

Zuwiderhandlungen werden streng bestraft. Uns wurde von einem Fall berichtet, bei dem eine Frau nach illegalem Grenzübertritt von Tadschikistan nach Usbekistan gefasst und ins Gefängnis gesteckt wurde. Ein Verwandter musste mehrere Schafe verkaufen, um seine Schwägerin nach einem Tag Haft für viel Geld auszulösen. Die Grenzgänger sind für die an den Grenzen patrollierenden, schlecht bezahlten Soldaten ein willkommenes Zusatzeinkommen.

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