Ein Beitrag von Andreas Mandler
Zuletzt erschien in der edition tethys ein Band zum altaischen Maler Grigory Ivanovich (Čoros) Gurkin, dessen Bilder zur subkutanen russischen und sowjetischen Welt gehören. Čoros-Gurkins Bilder hängen in Russlands wichtigen Museen und vor allem im Staatlichen Kunstmuseum der Altai-Region.
Die Autoren, Ljubov Bragina und Olaf Günther, führen die Leser durch eine jener wilden Biographien der frühen Sowjetunion, geprägt von räumlichen Distanzen, politischen Brüchen, lebensbedrohlichen Unsicherheiten und Gefahren, aber auch märchenhaften Wendungen. Das Buch beginnt mit einem Einblick in die politische Geschichte des Altai und beschreibt eine spirituelle Umbruchssituation in der altaiischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts zwischen Schamanismus und Burchanismus. Es ist sehr interessant zu lesen, wie die künstlerische Entwicklung Čoros-Gurkins im Kontext einer Krise des Schamanismus, aber auch der Krise des Russischen Zarenreichs, stattfindet. In seiner Malerei verschmelzen die Mythen und der Alltag des Altai mit christlichen Ikonenmalerei und der akademischen Schule der vorrevolutionären russischen Landschaftsmaler.
In den Wirren der Revolution wird Čoros-Gurkins zu einer der intellektuellen Stimmen seines Volkes – und zum politischen Protagonisten im Bürgerkrieg und bald darauf in der jungen Sowjetunion. Doch bald fällt der Blick auf die Unglück verheißende Jahreszahl 1937. Künstlerisch gelingt Čoros-Gurkin nur schwer der Anschluss an die Sowjetunion. Die neue Sowjetmacht bleibt auf Distanz zu seiner Kunst und seiner Rolle als Repräsentant des Altai. Wie für viele andere Künstler, Intellektuelle und Politiker der frühen Sowjetunion, führt die schwankende und letztlich fehlende Unterstützung seitens der zentralisierten Machtstrukturen in die Isolation. 1937 wird Čoros-Gurkin in seinem abgelegenen Dorf Onos als japanischer Spion angeklagt und am Ende desselben Jahres erschossen. Das Volk der Altaier verlor damit einen großen kulturellen und politischen Repräsentanten, mehr noch, einen Teil seiner Identität. Dieser Umstand macht die millionenfachen Tragödien und das Leid der Stalinistischen „Säuberungen“ welche die ganze Sowjetunion überzogen, in den russisch kolonisierten und nun jungen Sowjetrepubliken und autonomen Regionen – wenn das überhaupt möglich ist – noch schmerzlicher. Denn das gezielte Ausschalten der fragilen Eliten sowjetischer Minderheiten und Sowjetrepubliken spielte sich ebenfalls – wie in einer anderen tethys Publikation „Abdulla Qodiry & seine Zeit“ (2018) zu lesen ist, auch in Zentralasien ab. So haben die wunderbaren Texte der uzbekisch-sprachigen Literaten Abdulla Qodiriy, Abdurraʾūf Fiṭrat, Cho’lpon, Shokir Sulaymon, Abdulhamid Majidiy wenig gemein, außer einem Todesdatum. Die perfide Logik dieser Gewalt wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die drei Erstgenannten am 4.10.1938 zu Tode gebracht wurden.
Welche Geistesgeschichte, welche Kulturen wurden da abgeschnitten? Dieser Verlust lässt sich hier nur konstatieren. Die Leistung edition tethys besteht darin, diese Künstler sichtbar zu machen. Und dies ist mit dem Band zu Čoros-Gurkin glänzend gelungen. Eine Würdigung und kunsthistorische Einordnung des Malers aus dem Altai unternahm u.a. die große Schau zur russischen Avangard in Florenz 2014.
Die beiden AutoreInnen begegneten sich im Jahr 2016 im Nationalen Museum der Republik Altai, wo Ljubov Bragina die im zweiten Stock ausgestellten Werke Gregori Choros Gurkins betreut und Olaf Günther sich auf den ersten Blick in die Arbeiten des Altaier Malers verliebte. Über die Zusammenarbeit der beiden und über das Leben Gregori Choros Gurkins wird es in Kürze einen weiteren Blogeintrag geben – aber am besten bestellen Sie einfach schon jetzt ein Exemplar des Buches. Entweder über den Buchhandel oder per mail direkt über loy(a)edition-tethys.org!