Malen in Zeiten des Wandels

Als ich das erste Mal mit den Mitarbeitern des Altenburger Naturkundemuseums Mauritianum 2016 an den Terletzker See zur Sammlungsexpedition fuhr, machte die Expeditionsgruppe für einige Tage im Dörfchen Ioagach am besagten See halt. Ich war damals auf der Suche nach einheimischen Altaiern und musste betrübt feststellen, dass die Altaier hier schon lange verdrängt wurden. Stattdessen hatte sich am Terletzker See eine russische Community von Malern und anderen Künstlern angesiedelt, die die Sommermonate dazu nutzen, hier am See mit dem goldenen Fließ ihre künstlerische Inspiration zu suchen. Die meisten kamen nur für kurze Zeit, andere schlugen ihre Zelte hier für immer auf. Ich ging oft in die Gemäldegalerie gegenüber von Iogach nach Artybash, zumal ich hier eine gute Freundin gefunden hatte, die mir wertvolle Hinweise gab, damit ich meine ethnografischen Versuche, die Gegend zu erkunden machen konnte.

Der Terletzker See von seinem Ende her. Hier entspringt die Bij, ein Nebenfluss des Ob. Choros Gurkin (Staatliche Museum Gorno Altaisk)

Als die Reise vom Terletzker See wieder ins Vorland des Altai Richtung Barnaul ging, machte ich noch einen kurzen Abstecher ins Nationale Museum der Republik Altai. Dieses hatte zwar gerade geschlossen, weil es sich auf die lange Nacht der Museen vorbereitete, aber da ich mit ein paar Mitarbeitern des Mauritianums nicht locker ließ, das Museum doch noch zu besuchen, wurden wir ausnahmsweise eingelassen und bekamen eine private Führung einer Mitarbeiterin des Museums. Als wir in die zweite Etage des Hauses kamen, staunte ich nicht schlecht. Diese war dem Altaier Gregori Choros Gurkin gewidmet und stellte fast seine gesamten Ölgemälde aus. Hatte ich nun schon auf den Strassen von Iogach und Artybash keine Altaier getroffen, so waren zumindest im Museum jede Menge Mitarbeiterinnen aus dieser Gruppe der Einheimischen, sie sprachen sogar türkisch untereinander. Wie ich später erfuhr, da waren viele von ihnen schon meine Freunde geworden, stammten viele Mitarbeiter aus dem Karakol Tal. Ich war tief beeindruckt vom Nationalmuseum und begeistert von dem Maler aus der zweiten Etage. Deshalb beschloss ich, bei einer weiteren Feldforschung, die das Mauritianum für das höher gelegene Kuraj ansetzte, ein paar Wochen im Voraus ins Nationalmuseum zu fahren und zum Leben und Werk des Malers Gregori Choros Gurkin zu forschen.

 

Der Maler Gregori Choros Gurkin wurde 1870 in einer Zeit des Wandels geboren. Zwischen ihm und dem alten Altai der Schamanen und der turksprachigen Viehzüchter lagen ein paar Jahrzehnte russischer Dominanz in den Bergen. Er selbst wurde in einer orthodoxen Missionsstation geboren, die später die Hauptstadt der Repubik Altai werden sollte. Sein Großvater war wohl einer der Neubekehrten und passte sich den neuen Begebenheiten durch Umsiedlung in die Missionsstation an. Es waren unruhige Zeiten, die Gewissheiten der Alten Welt waren mit den Schamanen gegangen, die Ungewissheiten der Zukunft waren mit den neuen Siedlern aus Europa gekommen. Neue Krankheiten grassierten in den Bergen, auf die die Einheimischen keine andere Antwort fanden, als den Rückzug aus den Tälern.

Eine Opferstätte im Altai, im Hintergrund ein Balbal, eine Grabplatte für gefallene Helden und die Schädel des Maral Hirschen, dem besondere Kräfte nachgesagt werden. Gregori Choros Gurkin, Staatliche Museum in Gorno Altaisk.

Der Maler Gregori Choros Gurkin machte das Gegenteil, anstatt den Rückzug anzutreten, begab er sich mitten hinein in das sich verändernde Rußland. Er bewarb sich an der Akademie der Künste in Petersburg, wurde jedoch abgelehnt. Von geometrischen Übungen und Körpern hatte er in der Missionsschule noch nichts gehört. Einer der Petersburger Landschaftsmaler wurde jedoch auf den jungen Altaier aufmerksam: Iwan Iwanowitsch Schischkin. Bei ihm wurde Gegori Gurkin 1897 Schüler und dieser drückte ihm auch den Stempel der Landschaftsmalerei auf.

Weg in den Wald, Choros Gurkin 1902 (?)

Doch das intensive Lehrer-Schüler Verhältnis hielt nicht lange. 1898 starb Schischkin an der Seite von Gregori Gurkin in seinem Atelier. Einige Jahre konnte Gregori Gurkin als Gasthörer noch an der Petersburger Akademie weiterlernen, dann machte die Revolution von 1905 Schluß mit der Bildung in den Akademien. Gregori Gurkin verließ Petersburg und kehrte zurück in den Altai.

Zur gleichen Zeit machte gerade eine buddhistisch chiliastische Erweckungsbewegung (Burchanismus) Jagd auf Schamanen, verbrannte ihre Trommeln und setzte viele von ihnen in den Dörfern als Arbeitssklaven ein. Die Welt war im Wandel und Gregori Gurkin wollte ihn mitgestalten. So nahm er sich vor, soviel wie möglich vom Altai zu malen, seine Bewohner zu poträtieren und seine Volkskunde zu studieren. Diese Mischung aus Landschaft, Leuten und Volkskunde zeigte er auch bald in den ersten Ausstellungen der wichtigesten Sibirischen Städte: Omsk, Tomsk oder Irkutsk. Er wurde gefeiert von der Presse, von den Kunstkritikern, von der Wissenschaft. Sibirien hatte seinen ersten sibirischen Künstler. Doch diese Einordnung sollte sich noch als schwierig erweisen. Den sibirischen Intellektuellen war in jener Zeit sehr nach Abgrenzung vom europäischen Russland, die sogenannten Oblastniki waren stark in regionaler Politik vertreten.

Siehe nur, Sieh die neue Zeit. Postkarte mit Themen wie Burchanismus, Pferdeopfer und Einigkeit unter den Altaiern. Choros Gurkin 1919

Die Zeit zwischen russischer Revolution von 1905 und Oktoberrevolution von 1917 waren Gregori Gurkins produktivste Jahre. Seine Schaffenskraft war auf dem Höhepunkt und seine Gemälde, die er — oft sich selbst kopierend — verkauften sich gut. Dann kam Lenin und seine Verheissung einer  selbstbestimmten Zukunft der Völker. Die Intellektuellen im Altai nahmen diese Aufforderung gerne wahr, darunter Gregori Choros Gurkin, der sofort auch ein Programm für einen selbstständigen Altai auflegte. Diese Phase seines politischen Wirkens war kurz und geprägt vom heftigen Hin und Her zwischen weißen, roten und den einzelnen lokalen Milizen. Nachdem er bei praktisch allen politischen Akteuren angeeckt war, gab er seine politischen Ambitionen auf und kehrte dem Altai den Rücken. Er ließ seinen Hof und Besitz zurück und floh für einige Jahre in die Mongolei.

Nach seiner Rückkehr brauchte er Jahre, um sich wieder eine Heimstatt zu schaffen, Jahre, in denen er kaum Zeit fand für seine Malerei. Dem Maler aus der vorrevolutionären Schule Rußlands, mit ausgeprägtem folkloristischem Interesse war die neue Kunst der Arbeiter und Bauern nicht fremd. Er hatte jedoch auch Probleme, die Kunst der neuen Zeit mitzubestimmen. Das Gefühl nicht gebraucht zu werden, setzte sich tief in seinem Herzen fest. Er zog sich in sein neues Zuhause zurück. Es ist besonders tragisch, dass er erst Mitte der dreissiger Jahre wieder ein Gefühl dafür entwickeln konnte, endlich wieder im Altai angekommen zu sein. 1937 wurde dieser Ankunft in der neuen Zeit ein Ende gesetzt. Gregori Choros Gurkin wurde beschuldigt ein japanischer Spion und Verschwörer zu sein, zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Seine politische Vision eines unabhängigen Altai innerhalb der Rußländischen Völkerfamilie konnte sich erst 1990 erfüllen. Seitdem wird Gregori Choros Gurkin wieder vermehrt geehrt. Die 60 Jahre des Vergessens aber haben seiner damaligen Bedeutung als sibirischer Maler großen Schaden zugefügt. Heute ist er ausserhalb der Republik und in Spezialistenkreisen der Kunstwissenschaft, der Altai Forschung etc. kaum bekannt. Vielleich kann dieses Buch das ändern.

Grigori Choros Gurkin (1870-1937) – Eine Monographie von Ljubov Bragina und Olaf Günther

Ein Beitrag von Andreas Mandler

Grigori Gurkin: Nomaden im Gebirge. (Staatliches Museum der Region Altai) Public domain, via Wikimedia Commons

Zuletzt erschien in der edition tethys ein Band zum altaischen Maler Grigory Ivanovich (Čoros) Gurkin, dessen Bilder zur subkutanen russischen und sowjetischen Welt gehören. Čoros-Gurkins Bilder hängen in Russlands wichtigen Museen und vor allem im Staatlichen Kunstmuseum der Altai-Region.

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Mit Familie Rerich in den Himalaya

Familie Rerich in Indien

Spricht ein Reisender heute irgendwo in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion über den Maler, Schriftsteller, Wissenschaftler und Theosophen Nikolaj Rerich (1874 St. Petersburg – 1947 Kullu, Indien), nicken die meisten verständnisvoll. Viele haben dann Bilder mit den schrillen Farben und Bergmotiven aus dem Himalaja oder dem Altai vor Augen. Einigen kommt die berühmte Dreipunktflagge für den Frieden und den Schutz aller Kulturgüter in den Sinn. Im deutschsprachigen Raum dürfte das heute alles eher unbekannt sein. Für die Flagge des Friedens gibt es nicht einmal einen deutschsprachigen Wikipedia Eintrag, wohl aber einen Französischen und natürlich einen Englischen. Im deutschsprachigen Artikel zu Nikolai Rerich im selben Internetlexikon ist gerade einmal ein Bild verlinkt. Da ist die italienische, französische oder russische Variante um einiges aussagekräftiger. Erstaunlich, denn Nikolai Konstantinovichs Vorfahren, die Roerichs, waren Baltendeutsche, seit Peter dem I. in russischen Diensten und in vielen Bereichen einfluss- und folgenreich. Anfang 1918 floh Nikolaj Rerich mit seiner Familie aus dem revolutionären Russland über Finnland nach London. Es war der Beginn einer langen und faszinierenden Reise. Continue Reading →

Schöne Bescherung

Ail im Kizil Tash Tal

Ail im Kizil Tash Tal

Als Bert Fragner vor 8 Jahren das nunmehr ausgelaufene Projekt “Cross Roads Asia” in Berlin mit einem Einführungsvortrag eröffnete, rügte er augenzwinkernd die Gestalter des Projekts für ihre Kurzsichtigkeit. Diese hatten nämlich Cross Roads Asia definiert als eine Metapher für Zentralasien, wollten gleichzeitig aber jede Geographie ablegen und sich nur den Netzwerken widmen, die den Kontinent zwischen Südasien, Ostasien und zum Teil Nordasien verbanden. Bert Fragners Cross Roads kam ohne Kontinent aus, ließ aber gleichzeitig nicht die Geographie ausser Betracht. Er verband die Iberische Halbinsel mit dem alten China, die Hsiung Nu in der Gobi mit der panonischen Tiefebene, die Avaren an der Mittelmeerküste mit den Weiten Sibiriens, den Süden Afghanistans mit der Ostküste Afrikas, Grabbeigaben in Gräbern des Altai mit dem Kaukasus, Indien und China. Continue Reading →

Viehwirtschaft im Kuraj-Tal

Das Kuraj Tal liegt heute an der Transitstrecke zwischen Rußland und der Mongolei. Im Talkessel liegen zwei Dörfer Kyzyl Tash und Kuraj selbst, die Zentrum für eine ganze Reihe von Wirtschaften sind, die in den Tälern zwischen dem Gebirgszügen des Kuraj Gebirges und der Chuj Gebirges verteilt liegen. Diese Wirtschaften beschäftigen sich mit der mobilen Viehzucht. Einige haben an ihren Winterstationen auch kleine Anteile an Gartenbau. Wegen des kurzen Sommers und der häufigen Sommerfröste im Juli und August gedeihen hier lediglich Kartoffeln, Mohrrüben, Rote Beete und Zwiebeln, dazu allerlei Kräuter wie Dill und Petersilie. Die Wälder rings um die Weiden geben zusätzlich Beeren (wilde Erdbeeren, schwarze Johannisbeeren, Sanddornbeeren) her. Die Wälder im Tal sind wahre Edlorados für die Pilzesammler. Wer die richtigen Stellen kennt, und den richtigen Zeitpunkt, hat schnell den Wintervorrat für marinierte Pilzen zusammen und kann den Rest in Kosh Agach verkaufen. Die dortigen Kasachen nehmen diese Pilze mit Kußhand. In besonders feuchten Sommern kann eine ganze Stange Geld dabei rausspringen.

Für die Viehzucht und den Ackerbau gibt es in weiter nördlich gelegenen Teilen des Altaj weitaus günstigere Standorte (Ongudaj, Chemal, Ulangan). Wegen des kurzen Sommers und der langen schweren Winter nennt man das Kuraj-Tal auch Kan Kuraj oder blutiges Kuraj. Das hat weniger mit Kriegen, die im Altaj geführt wurden, zu tun, sondern eher mit dem Verlust an Vieh, den ein harter Winter den Viehzüchtern hier beschert.

Das Kuraj Tal. Blick von Osten

Das Kuraj Tal. Blick von Osten (Klicken macht Groß)

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Neues vom Tisch der Götter

Der Altai liegt in vieler Hinsicht in einem Fadenkreuz. Schaut man auf die Karte, so kann man zum Beispiel die Nationalstaatlichen Grenzen von vier Staaten entdecken, die dieses Gebirge unter sich aufteilen, es ist Staatsgebiet Chinas, der Mongolei, Rußlands und Kasachstans. Dass der Altai verwaltungstechnisch aufgeteilt ist, ist seit den Söhnen Chingiz Khans Normalität. Als Chingiz Khan daran ging, sein Weltreich aufzuteilen, bekam jeder seiner Söhne jeweils einen Anteil vom Altai: Chagataj (Zentralasien, Kasachstan), Batu (Goldene Horde, Rußland) Chödzhi (Mongolei) und schließlich Qubilaj Khan (China). Dass das nicht ganz genau stimmt und zu dieser Einigung 30 Jahre nötig waren und eine ganze Anzahl von Bruderkriegen, wollen wir hier durch das Fernrohr der Geschichte getrost übersehen.

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