Schöne Bescherung

Ail im Kizil Tash Tal

Ail im Kizil Tash Tal

Als Bert Fragner vor 8 Jahren das nunmehr ausgelaufene Projekt “Cross Roads Asia” in Berlin mit einem Einführungsvortrag eröffnete, rügte er augenzwinkernd die Gestalter des Projekts für ihre Kurzsichtigkeit. Diese hatten nämlich Cross Roads Asia definiert als eine Metapher für Zentralasien, wollten gleichzeitig aber jede Geographie ablegen und sich nur den Netzwerken widmen, die den Kontinent zwischen Südasien, Ostasien und zum Teil Nordasien verbanden. Bert Fragners Cross Roads kam ohne Kontinent aus, ließ aber gleichzeitig nicht die Geographie ausser Betracht. Er verband die Iberische Halbinsel mit dem alten China, die Hsiung Nu in der Gobi mit der panonischen Tiefebene, die Avaren an der Mittelmeerküste mit den Weiten Sibiriens, den Süden Afghanistans mit der Ostküste Afrikas, Grabbeigaben in Gräbern des Altai mit dem Kaukasus, Indien und China.

 

Dieser Vortrag, obwohl er nur wenige Seiten lang war, öffnete mir die Augen von meiner Beschränktheit auf die Neuzeit und zentralasiatische Gefilde hin auch zu Regionen übergreifenden Themen. Zu etwa der gleichen Zeit fuhr ich mit meiner Familie nach Krakau und besuchte dort dieses und jenes Museum. Unter anderem das Museum der Stadtmauer. Dieses klärte über allerlei Tricks zur Abwehr von Angreifern aus dem Osten auf, beschrieb die Tataren als Besucher und Invasoren, so als ob wir von den Merowingern oder Karolingern reden würden, also wie einen Teil  lokalen Allgemeinwissens. Ein Satz blieb bei mir ganz besonders hängen: die Seidenstrasse würde in Krakau beginnen. “Wow!”, dachte ich. Die Krakauer stapeln ja gar nicht tief.

Und dann habe ich jüngst zu Weihnachten den Film “Das Geheime Wissen der Hebamme” geschaut. Hier wird von fränkischen Siedlern aus Goslar und anderen Teilen westlich von Thüringen erzählt, die die Gegend um Meißen und vor allem Freiberg besiedeln, dort Silber finden usw. usf.. Nun gibt es ganz am Anfang dieses Films eine kleine Szene, in denen die Siedler von jenseits der Weser von Wegelagerern angegriffen werden. Bei der Auswahl der Komparsen für diese Miniszene ist man mit Bedacht vorgegangen. Man wählte hier aus den möglichen Gesichtern einige aus, die eine direkte Verbindung zu den Steppen Eurasiens vermuten ließen. Da ich seit einem Jahr eine Geschichte mit mir rumtrage, die ich schon immer hier zum Besten geben wollte, dachte ich, das ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt.

Dazu müsst Ihr wissen, dass ich seit etwa drei Jahren im Süden von Leipzig wohne, in der schönen Stadt Groitzsch. Nicht weit entfernt von dieser Stadt liegen zahlreiche Tagebaue, aktive wie Schleenhain und Profen, sowie inaktive wie Zwenkau und das Groitzscher Dreieck, um nur einige zu nennen. Überall dort wo nicht mehr gebaggert wird, entstehen Seen, manche zum Baden freigegeben, manche warten auf ein erneutes Abbaggern. So ist das hier. Nun hat sich im Zuge der ganzen Wühlerei im Erdboden  eine Tagebau-Archäologie etabliert, die Dinge wie Elefantenfriedhöfe oder aber eben Gräber aus alten Zeiten findet. Unter anderem fand man im heute aktiven Tagebau Schleenhain unweit der mittelalterlichen Wüstung Cossa (die auf den Slawischen Namen Kosowo zurückgeht) eine Pferdebestattung. Diese gab den Archäologen Rästel auf. Anders als Ethnologen, mögen Archäologen den Einzelfall nicht besonders. Man hat lieber eine ganze Palette von Vergleichsfunden, dann macht sich das Einordnen bestimmter Phänomene leichter. Der Einzelfall jedoch ist offen für Spekulationen. Die sind zwar seit meinem Superstar aus den 1980ern Erich von Däniken absolute Popkultur, aber unter den seriösen, naja was soll ich hier weiterreden…

Also mit den Pferdebestattungen ist das ja so ein Ding. Im Altai sind sie auch heute Gang und Gebe. Unter den nichtchristlichen Franken wie den Merowingern waren sie auch nicht unüblich. Schilderich, der Vater von Chlodwig etwa, wurde in Brüssel mit seinem Pferd beerdigt. Dieses war ihm beigelegt, denn die Merowinger dachten vor ihrer Christianisierung an die Überfahrt nach dem Tod und nach einem irdenähnlichen Leben auf der anderen Seite. Da gaben sie dem Toten alles bei, was man zu diesem Leben so brauchte, natürlich auch ein Pferd.

Ustügü, Choros Gurkin, Detail

Ustügü, Choros Gurkin, Detail

In Borna jedoch war das anders. Hier wurde ausschließlich ein Pferd beerdigt, ein Toter lag nicht dabei. Wohlpräpariert wurde es stehend begraben, eine komplizierte Prozedur, die auf einen Pferdekult hinweist, der in Europa selbst den östlichsten Bewohnern unbekannt war, Pferdekult hin oder her, christlich hin oder her.

Die Analyse der Steigbügel wies den Weg nach Osten in die Kiewer Rus hinein. Hier gab es Völker aus dem Zentralasiatischen, die Petschenegen oder Türkisch Beçenek, die ähnliche Steigbügel hatten wie in der Grablegung bei Cossa. Diese waren oghusische also türkischsprachige Söldner in so manchem Heer, auch bei den Mamluken in Nordafrika und dem Nahen Osten waren sie zu finden.

Opferstätte, Choros Gurkin 1909

Opferstätte, Choros Gurkin 1909

Ohne Zweifel waren die Form der Grablegung wie die Grabbeigaben zentralasiatischen Urspungs, nur würde bei einer versprengten Gruppe von Söldnern die Einzelfall-Theorie schwer zu halten sein. Irgendwo müssten in der langen Geschichte der Archäologie ähnliche Grabstätten in Mitteleuropa auftauchen. War aber nicht.

Des Rätsels Lösung fand sich bei Wiprecht, dem Lehensmann von Groitzsch, der der Gegend hier für Jahrhunderte zum Glanz verhalf; durch Koster und Stadtgründungen, durch Beistand im Feldzug und internationale Bündnisse mit gewichtigen Nachbarn, wie Vratislav dem Premysliden in Prag (durch  Heirat seiner Tochter, erste Heirat) und der sächsischen Adligen Kunigunde von Beichlingen in einer zweiten Ehe. Kunigunde wiederum war in erster Ehe mit einem Fürsten der Kiewer Rus verheiratet und verließ die Gegend von Kiew nach dem Tod ihres Mannes wieder, nachdem es dort zu Streitigkeiten der Nachfolge gekommen war. Sehr wahrscheinlich waren in ihrem Troß auch Soldaten zentralasiatischen Urspungs, die ihre Pferde und den Pferdekult in ihre neue Heimat mitnahmen.

So sah das aus damals und heute. Wenn also Krakau sich zum Ausgangspunkt einer stetigen Verbindung zwischen Asien und Europa macht, dann kann das Sachsen schon lange. Das Mittelalter war damit bunter als uns das mancher Aufklärer, diese Miesepeter der Studierstube weismachen wollten. Und nebenbei bekommen wir auch noch die Geschichte des Steigbügels mitgeliefert, der wohl wichtigsten Erfindung der Menscheit zwischen Marathonlauf und Dampfmaschine. Die geht auf das Mittelalter zurück und revolutionierte ganze Kontinente in nur kurzer Zeit, brachte Krieger aus den Steppen in alle möglichen Ecken Eurasiens und die Hose in unsere Kleidersammlung. Denn auch das ist eine Erfindung von Nomaden, eine Reitermode aus Zentralasien. Und die Aufklärer und Humanisten logen uns die Welt des Mittelalters dunkel und leer. Schöne Bescherung!

Zum Anschauen:

Das Geheimnis der Hebamme

<<https://www.youtube.com/watch?v=7Vel75Jaqtg>>

Zum Weiterlesen:

https://www.academia.edu/1293426/Steppennomadische_Einfl%C3%BCsse_im_hoch-_und_sp%C3%A4tmittelalterlichen_Mitteleuropa_Neues_zur_Pferdebestattung_von_Schleenhain_Kr._Leipzig

https://de.wikipedia.org/wiki/Wiprecht_von_Groitzsch

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