Neues vom Tisch der Götter

Der Altai liegt in vieler Hinsicht in einem Fadenkreuz. Schaut man auf die Karte, so kann man zum Beispiel die Nationalstaatlichen Grenzen von vier Staaten entdecken, die dieses Gebirge unter sich aufteilen, es ist Staatsgebiet Chinas, der Mongolei, Rußlands und Kasachstans. Dass der Altai verwaltungstechnisch aufgeteilt ist, ist seit den Söhnen Chingiz Khans Normalität. Als Chingiz Khan daran ging, sein Weltreich aufzuteilen, bekam jeder seiner Söhne jeweils einen Anteil vom Altai: Chagataj (Zentralasien, Kasachstan), Batu (Goldene Horde, Rußland) Chödzhi (Mongolei) und schließlich Qubilaj Khan (China). Dass das nicht ganz genau stimmt und zu dieser Einigung 30 Jahre nötig waren und eine ganze Anzahl von Bruderkriegen, wollen wir hier durch das Fernrohr der Geschichte getrost übersehen.

Später im 18. Jahrhundert war der Altai unter den Dzungaren (Ojraten) kurz vereint, bis er Schritt für Schritt zwischen China (zerschlug das Reich der Dzungaren), Rußland (einige nördliche Stämme ersuchten russischen Schutz), der Mongolei (machte sich von China unabhängig) und Kasachstan (wurde 1991 aus der Sowjetunion entlassen) aufgeteilt wurde. Das man im altaiischen Hochgebirge von den Kämpfen in den Tälern nicht viel mitbekam, liegt in der Natur der Sache, denn der Altai hat zwar unglaublich große, fruchtbare Weidegebiete in seinen Vorländern aber unwegsame Hochtäler, die wenig zur Eroberung einluden.

So hielten sich hier im Altai alte religiöse Vorstellungen von der Heiligkeit und Belebtheit der Natur, die sich etwa in der religiösen Praxis der Schamanen (kam) wiederspiegelten. Deren religiöse Vorstellungen  blieben trotz ihrer zurückgezogenen Lage in den Hochtälern nicht unbeeinflusst von mongolischen, buddhistischen oder modernen Einflüssen. Die ersten Äußerungen von animistischen Vorstellungen und religiösen Spezialisten finden wir in den zahlreichen Steinzeichnungen im Altai, die nächsten Äußerungen können wir durch die Epen und Geschichten widerhallen hören. Dann wird auf einmal die vielfältig belebte Geisteswelt in einen Dualismus aufgeteilt, der einer guten Gottheit (Ulgen) und einer bösen Macht (Erlik) unterliegt. Darauf wiederum kamen die Mongolischen Götter (Drei Goetter Uch kuburstan) als Schöpfer auf, die Ulgen und Erlik überhaupt erst schufen. Und später wiederum kamen die Buddhistischen Religionserneuerer (Burchanismus), die jedes Blutopfer, jede schamanische Seance verbieten wollten und Jagd machten auf die Schamanen, ihre Attribute wie Trommel, Fellkleid und Kopfbedeckung, so dass nicht mehr viel davon übrig war, als die Russen daran gingen, die materielle Kultur der Schamanen für ihre Museen zu sammeln.
Der Burchanismus führte das Milchopfer anstelle des Blutopfers ein, verbot die schamanische Trommel und führte das dreimalige Verbeugen vor einem Opferfeuer ein. Und noch einmal später, vor gar nicht all zu langer Zeit, kam der Geophysiker Daniel Mamyev und behauptete, auf den Grabfeldern seiner Ahnen liege uraltes, jedoch höchst modernes Wissen verborgen, in Form von Magnetfeldern, welches nach und nach entschlüsselt werden sollte. Auch die Stelen der Steinskulpturen, so Mamyev weiter, neigten sich entlang der Erdachse.

Zudem sei das Karakol-Tal ein Tal voller Geister, die einen auf Schritt und Tritt umgeben. Deswegen müsse man zuerst die Erlaubnis der Geister erbitten, bevor man sich in das Tal begibt. Dies sei um so wichtiger, wenn es in die Höhen des Heiligen Berges Uch Enmek (Drei Spitzen) gehe. Den Höhenzügen könne man sich nur mit besonderer Vorbereitung nähern. Sonst schreiten die Geister ein.

 

im Tal der Gräber, Steinstelen im Altai als Kalenderorakel

im Tal der Gräber, Steinstelen im Altai als Kalenderorakel

 

Besagter Daniel Mamyev ist ein wichtiger Aktivist der neuen Hinwendung zum Schamanismus.

Er gründete vor etwa zehn Jahren einen “Ethnopark”, den es nach den russischen Gesetzen gar nicht geben dürfte, denn ethno als Vorsilbe für geschützte Parks gibt es in Rußland nicht. Mamyev fand einen Ausweg. Er nannte den Park um und obwohl der gesamte Altai zum Unesco-Weltkulturerbe ernannt worden ist, hat das Karakol-Tal nun seine ganz besonderen Beschützer.

Im Zuge dessen ließen auch andere religiöse Spiritualisten nicht lange auf sich warten. Aus Rußland reisten die Museumfunktionäre des Röhrich Museums an und stellten ihre Verbindung zwischen dem Karakol-Tal und ihrem Schützling, dem Maler Nicolas Röhrich her. Ein Hindu Professor aus Dehli verkündete, der Altai sei der nördliche mythische Berg Meru (den südlichen mythischen Meru sehen die Hindus im west-tibetischen Berg Kailash). Er gründete das Zentrum Aru Svati: Eine Kombination aus Aru, dem altaiischen Wort für gut und rein, und svati, dem indisches Wort für Stern. Dass dieser reine Stern gar nicht so rein war, zeigte sich bei einer Filmvorführung, als der Hindu Professor alle Verwüstungen im Hochland von Kaschmir muslimischen Terroristen in die Schuhe schob und auf Proteste im Saal lapidar antwortet, die Hindus seien schließlich als erste da gewesen. Auch heute ist die spirituelle Welt der Schamanen nicht frei von Einflüssen: Neue Ideen einer Weltreligion (dem Heidentum) propagiert Daniel Mamyev ebenso, wie die Vorstellungen von einer geophysikalischen Besonderheit des Altai, dem Sitz ganz besonderer Götter.

Die Schamenen Aleftina und Daniel bei der Einweihung des Tores zum Arzhan Platz.

Die Schamenen Aleftina und Daniel bei der Einweihung des Tores zum Arzhan Platz.

Dass nun Daniel Mamyev seine religiöse Praxis sehr ernst nimmt, erfuhr ich durch ein paar Rituale, denen ich in den letzten Tagen beiwohnen durfte. Mamyev heiligte einen Platz im Namen seines Freundes, dem Schamanen Arzhan, der bei einem Autounfall ums Leben kam. Er unternahm — mit einer Schamanin als Helferin und dem Hindu Professor als Co_Ritualisten — die Einsegnung einer Konferenz, zu der wir aus der Hauptstadt Gorno Altaisk angefahren kamen. Hier wurde der guten Göttin Ulgen mit einem Milchopfer anstatt mit einem Pferdeopfer gehuldigt und die Gäste mit Zedernrauch bedacht. Die Schamanen verbeugten sich drei Mal knieend in Richtung Feuer. All diese religiöse Praxis wäre undenkbar, ohne die vielen Einflüsse die der Schamanismus in den letzten Jahrhunderten aufnahm. So zeigt sich der Schamanismus sehr flexibel. Er nimmt allerlei Ideen auf und wandelt sie um. Im Kern aber bleibt er was er ist, eine Idee von der Belebtheit der Natur, mit der man umgehen können muss, wenn man sie sich zu nutze machen will. Eine Idee von Ursprünglichkeit gibt es dabei wohl nicht.

 

 

 

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