Mit Familie Rerich in den Himalaya

Familie Rerich in Indien

Spricht ein Reisender heute irgendwo in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion über den Maler, Schriftsteller, Wissenschaftler und Theosophen Nikolaj Rerich (1874 St. Petersburg – 1947 Kullu, Indien), nicken die meisten verständnisvoll. Viele haben dann Bilder mit den schrillen Farben und Bergmotiven aus dem Himalaja oder dem Altai vor Augen. Einigen kommt die berühmte Dreipunktflagge für den Frieden und den Schutz aller Kulturgüter in den Sinn. Im deutschsprachigen Raum dürfte das heute alles eher unbekannt sein. Für die Flagge des Friedens gibt es nicht einmal einen deutschsprachigen Wikipedia Eintrag, wohl aber einen Französischen und natürlich einen Englischen. Im deutschsprachigen Artikel zu Nikolai Rerich im selben Internetlexikon ist gerade einmal ein Bild verlinkt. Da ist die italienische, französische oder russische Variante um einiges aussagekräftiger. Erstaunlich, denn Nikolai Konstantinovichs Vorfahren, die Roerichs, waren Baltendeutsche, seit Peter dem I. in russischen Diensten und in vielen Bereichen einfluss- und folgenreich. Anfang 1918 floh Nikolaj Rerich mit seiner Familie aus dem revolutionären Russland über Finnland nach London. Es war der Beginn einer langen und faszinierenden Reise. Zwischen 1920 und 1923 lebte die Familie Rerich dann in USA. 1923 brach Nikolaj mit seiner Frau und seinem Söhnen Juri und Svjatoslav auf nach Indien in den Himalaja. 1924 kehrten sie über Berlin zurück in die USA – nicht ohne zuvor bei ihrem Zwischenstopp mit der Sowjetischen Botschaft in Berlin über die Idee einer Asien-Expedition zu verhandeln. Diese “Rerich-Asien-Expedition” startete 1925 in Sikkim und führte über Kaschmir und Ladakh nach Kashgar, Urumchi, entlang des Irtysch in den Altai und von dort (nach einem kurzen Abstecher nach Moskau) weiter in die Mongolei, durch die Gobi und nach Tibet. Nach schweren und unsicheren Zeiten wurde den noch lebenden Teilnehmern der Expedition im Frühjahr 1928 schließlich die Ausreise von Tibet nach Indien genehmigt.

Von Rerichs erster Reise und der anschließenden Expedition gibt es ein 1929 publiziertes Reisetagebuch, das die Ereignisse der langen Fahrt zwischen 1923 und 1926 zusammenfasst – englische Übersetzung wurde 2018 vom Nicholas Roerich Museum in New York herausgegeben. Wir präsentieren hier das erste Kapitel von “Altai-Himalaya” in deutscher Übersetzung. Eine ein

Altai – Himalaya
Ein Reisetagebuch

Übersetzung aus dem Russischen von Anja Lutter

I. Ceylon – Himalaya (1923-1924)

“Urus karosch!”, ruft der Bootsführer in Port Said, als er meinen Bart erblickt. Überall im Orient schallt einem als Russe dieser volkstümliche Gruß entgegen. Und es funkeln die grüne Woge und der rote Kahn, das hellblau-weiße Gewand und ein Paar perlweiße Zahnreihen: “Karosch urus!” Der Gruß des Orients!
Auch der Sinai zeigt sich in perlmutternem Schleier. Da liegt der Ursprung Abrahams. Da sind auch die “Zwölf Apostel” – phantastische kleine Inselchen. Da ist auch Jeddah, der Vorhof Mekkas. Die Mohammedaner auf dem Dampfer beten Richtung Osten, wo hinter rosafarbenen Sandmassen ihr Zentrum verborgen liegt. Zur Rechten liegt wie ein antikes Gesims die Grenze zu Nubien. Auf den Riffs ragen die Gerippe kaputter Schiffe empor. Das Purpurne Meer (Als Purpurnes Meer wird das Rote Meer in russischen Bibelübersetzungen bezeichnet.) kann im Verein mit dem arabischen Sandsturm gnadenlos sein. Der feurige Stromboli-Finger hat nicht von ungefähr gedroht und gewarnt bei Nacht. Doch jetzt, im Winter, ist das Purpurne Meer auch blau und es ist nicht heiß, und die Delphine springen ausgelassen herum. Wie ein märchenhaftes Ornament liegen die arabischen Buchten da – die Kuria-Muria-Inseln.
Die Japaner versäumen keine Gelegenheit, die Pyramiden zu besuchen. Diese Nation verliert keine Zeit. Es ist bemerkenswert, wie flink und wachsam sich ihre Ferngläser regen und wie beharrlich essentiell ihre Fragen sind. Nichts Überflüssiges. Das hat nichts von dem müßigen Tourismus des müden Europa. „Wir werden uns mit Russland schon handelseinig“, sagt der Japaner geschäftsmäßig, ohne jede Sentimentalität. Möge die Geschäftsmäßikeit Unterpfand der Zusammenarbeit sein.
In Kairo saß ein Junge von sieben, acht Jahren in einer Moschee und las in singendem Tonfall aus dem Koran. Man kam nicht vorbei an seinem anrührenden Bemühen. Und in der Wand der Moschee steckte frech eine Napoleonische Kanonenkugel. Eben dieser Reichseroberer hat auch das Antlitz der großen Sphinx zerstört. Wenn die Sphinx Ägyptens verstümmelt ist, so ist die Sphinx Asiens durch die großen Wüsten verschont geblieben. Das Herz Asiens hat seinen Reichtum bewahrt, und seine Stunde ist gekommen.
Das alte Ceylon – das Lanka des Ramayana. Aber wo sind die Paläste und Pagoden? Seltsam. In Colombo empfängt uns der Schweizer Konsul. Der Polizist ist Ire. Ein französischer Kaufmann. Ein Grieche mit unanständigen Bildchen. Holländische Teehändler, ein Italiener als Fahrer. Wo sind denn aber die Singhalesen? Sollten die tatsächlich alle nach Europa ans Theater gegangen sein?
Die ersten Antlitze Buddhas und Maitreyas tauchten im Kelaniya-Tempel bei Colombo auf. Die gewaltigen Bilder werden im Halbdunkel des Tempels aufbewahrt. Das Hinayana ist stolz auf seine Eleganz und die Reinheit seiner Philosophie im Vergleich zum vielgestaltigen Mahayana.
Der erneuerte große Stupa neben dem Tempel gemahnt an die antike Gründung dieses Ortes. Im Übrigen sind es in ganz Colombo wie auch im übrigen Ceylon lediglich Fragmente, die an das alte Lanka, an Hanuman, Rama, Ravana und die anderen Giganten erinnern. Gut möglich, dass in den vielen Tempeln und Palastbauten Überbleibsel aus der besten Zeit der Lehre bewahrt sind. Wie viele unerwartete Schätze neben den bekannten Ruinen unter den Wurzeln des Dickichts begraben liegen. Das, was über der Erde erhalten ist, lässt die vergangene Pracht des Ortes erahnen. Überall warten unverhoffte Funde. Man braucht nicht zu suchen, sie machen selbst auf sich aufmerksam. Die Arbeit kann allerdings nur Ergebnisse liefern, wenn sie in größerem Umfang durchgeführt wird. An die Ruinen kommt man nur mit ausreichender Ausrüstung heran, ein Palast allein hat ja schon neunhundert Zimmer. Ceylon ist ein wichtiger Ort.
Das allgemeine Baden bei dem süßsaueren Mount Lavinia lässt nichts von der Herrschaft der antiken Giganten erahnen. Zarte Palmen beugen sich verschämt zum Schaum der Brandung. Wie Skelette stehen die Fragmente von Anuradhapura da. An den Trümmern von Anuradhapura lässt sich ermessen, wie mächtig Borobudur auf Java gewesen ist. Und wieder das unermüdliche Aufleuchten in den Gesichtern unserer japanischen Reisegefährten, mit denen wir die Überreste der Kairoer Pyramiden beweint haben, die von ihrem Platz in der ruhmreichen Geschichte in das Panoptikum eines raffgierigen Reiseführers übergesiedelt sind. Ist das wirklich Indien? Ein schmaler Uferstreifen. Dürre Bäumchen. Risse in der ausgedörrten Erde. So verbirgt Indien sein Gesicht nach Süden hin. Die schwarzen Draviden lassen noch nicht an die Veden und das “Mahabharata” denken.
Das bunte Madurai mit den Überresten dravidischer Auftürmungen. Das ganze Leben, der ganze Umtauschnerv spielt sich beim Tempel ab. In den Tempelgängen sind sowohl Basar als auch Gericht und Predigt zu finden, ein Ramayana-Rezitator, Klatsch und Tratsch, ein frei herumlaufender heiliger Elefant und die Kamele für die religiösen Prozessionen. Die feine Steinschnitzerei ist mit heutiger grober Farbe übermalt. Der Künstler Sarma beklagt dies, aber der Rat der Stadt hat nicht auf ihn gehört und den Tempel nach seinem Gutdünken bunt gestrichen; Sarma beklagt, dass viel feines Verständnis verloren geht und bislang durch Gleichgültigkeit abgelöst wird. Er warnt uns, wir sollen uns nicht zu weit entfernen in unserer europäischen Aufmachung, denn ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung könnte uns feindselig gesinnt sein. Und in Madurai leben immerhin eine Million Menschen. Sarma erkundigt sich nach der Situation von Künstlern in Europa und Amerika. Er ist ehrlich erstaunt, dass europäische und amerikanische Künstler von ihrer Arbeit leben können. Es ist ihm unbegreiflich, dass man von der Kunst den Lebensunterhalt bestreiten kann. Bei ihnen ist die Arbeit des Künstlers die am wenigsten einträgliche von allen. Sammler gibt es nahezu keine.
Die Maharadschas bevorzugen Ausländisches, selbst wenn es Fälschungen sind, oder sie besitzen überhaupt keine Kunst, weil sie sie gegen plumpen Firlefanz eintauschen oder Tausende für Pferde ausgeben. Ziemlich hoffnungslos, diese Überlegungen zur Lage der Kunst. Sarma selbst – groß gewachsen, mit seinem weißen Gewand und seiner kummervoll-bedächtigen Redeweise, wartet auf bessere Zeiten und kennt die ganze Beschwernis der Gegenwart.

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