Fremdbestimmt? Die für “tot” erklärten Verhandlungen zwischen USA und Taliban aus sprachlicher Perspektive

Ein Beitrag von Lutz Rzehak

Zeig mir, wie Du sprichst, und ich sage Dir, wes Geistes Kind Du bist.

Wie Präsident Donald Trump am 9. September 2019 erklärte, wurden die von den USA geführten Verhandlungen mit den Taliban endgültig eingestellt, nachdem bei einem weiteren Selbstmordattentat der Taliban ein US-Soldat ums Leben kam. Gemeint sind Verhandlungen, die Delegationen der US-Regierung und der Taliban seit Juli 2018 in Katar – übrigens ohne Einbeziehung der Regierung in Kabul – miteinander führten.

In der Woche vor dem Ende der Verhandlungen verbreitete der private afghanische Nachrichtensender Spoghmai.fm (Internet-Seite: http://www.spogmairadio.af/), der vorwiegend auf Paschto sendet, ein auf Paschto verfasstes Dokument, das als “Wahrscheinliches Abkommen zwischen den Taliban und Amerika” betitelt ist. Dieses Dokument ist auf der Homepage des Senders nicht (mehr?) zu finden. Es wurde in Form von drei Grafikdateien, die das Logo SPOGMAI.FM als Wasserzeichen tragen, auf anderen Kanälen verbreitet, zum Beispiel per E-Mail. Ob es sich um einen früheren Entwurf des geplanten Abkommens handelt oder um eine Fassung, die bis zum 7. September 2019 noch als aktuell galt, ist nicht bekannt.

Natürlich kann auch für den afghanisch-pakistanischen Raum nicht ausgeschlossen werden, dass irgendwelche Internet-Trolle Fake-News verbreiten und diese mit fremden Logos schmücken, um einen höheren Grad an Glaubwürdigkeit zu erzielen. Hier soll es aber gar nicht um inhaltliche Fragen gehen, die in diesem Dokument vereinbart worden sein sollen.  Es geht nicht um die Frage, wie viele US-Soldaten in welcher Zeit abgezogen werden sollten. Es geht hier auch nicht um die Frage, ob die Taliban tatsächlich zugesagt haben, den IS aus Afghanistan zu verdrängen (in dem vorliegenden Dokument wird der IS übrigens nicht erwähnt).

Hier soll es um eine andere Frage gehen: Für wen und in wessen Namen sprechen die Taliban eigentlich? Hierfür bietet eine Analyse des Paschto-Textes dieses Vertragsentwurfs einige Anhaltspunkte.

Sollte sich der vorliegende Text entgegen aller Erwartungen irgendwann doch als Fake erweisen, dann ist alles, was folgt, im Konjunktiv zu lesen und die sprachliche Analyse würde dann zumindest darauf hindeuten, wes Geistes Kind die Fälscher waren.

Das Paschto-Original des wahrscheinlichen Abkommens und eine deutsche Übersetzung werden unten veröffentlicht.

Was macht den Paschto-Text unter sprachlichen Gesichtspunkten auffällig?

In der Präambel und in Artikel 4 wird für “Rückführung” das Wort انخلا inxilā verwendet. Dieses Wort gehört nicht zum allgemein üblichen Wortschatz des Paschto von Afghanistan. Auch im Dari-Persischen von Afghanistan ist dieses Wort nicht üblich. Gebräuchlich ist das Wort انخلا inxilā dagegen im Urdu, also in einer der offiziellen Sprachen Pakistans, wo es “Evakuierung” bedeutet.

In Artikel 7 wird für “Provinz” das Wort پرگنه pargana verwendet. Auch dieses Wort gehört nicht zum allgemein üblichen Wortschatz des Paschto von Afghanistan. Im Dari-Persischen von Afghanistan ist es ebenfalls nicht verbreitet. Gebräuchlich ist das Wort پرگنه pargana dagegen im Urdu und in anderen Sprachen des Subkontinents. Dort wurde es während der britischen Kolonialherrschaft in Indien als Bezeichnung für Verwaltungsgebiete bei der Steuereintreibung verwendet.

Bislang hatten die Taliban in ihren Veröffentlichungen mit Bezug auf Afghanistan für “Provinz” stets das in Afghanistan übliche Wort ولايت wilāyat verwendet. Auch die militärischen, politischen und juristischen Einheiten der Taliban wurden bislang stets nach Provinzen gegliedert, die in der für Afghanistan üblichen Manier als ولايت wilāyat bezeichnet wurden.

Mit anderen Worten: Das im Text des Wahrscheinlichen Abkommens verwendete Paschto weist einige Auffälligkeiten auf, die eine enge Verbundenheit mit den sprachlichen Gegebenheiten Pakistans aufweisen.

Die Wortwahl deutet darauf hin, dass der Paschto-Text dieses wahrscheinlichen Abkommens von Personen formuliert wurde, die hauptsächlich nicht in Afghanistan, sondern in Pakistan sozialisiert wurden. Dies können natürlich auch aus Afghanistan stammende Personen sein, denn viele aus Afghanistan stammende Taliban und andere junge oder nicht mehr so junge Männer wurden bekanntermaßen an Medressen in Pakistan ausgebildet. Dennoch lässt die im Text dieses wahrscheinlichen Abkommens verwendete Sprache erkennen, dass sich die paschtunischen Verfasser von den gesellschaftlichen Gegebenheiten in Afghanistan weit entfernt haben.

Mehr noch: Die Tatsache, dass sich Paschtunen, Belutschen und Angehörige anderer Völkerschaften Afghanistans im Unterschied zu pakistanischen Paschtunen, Belutschen und Angehörigen anderer Völkerschaften auf dem Territorium des heutigen Pakistan stets einer britischen Kolonialherrschaft widersetzt hatten, ist ein wichtiger Bestandteil des afghanischen Nationalbewusstseins. Nicht selten ist zu hören, wie afghanische Paschtunen ihre in Pakistan lebenden Brüder als “britische Sklaven” bezeichnen, weil diese sich der britischen Vorherrschaft weniger erfolgreich zur Wehr gesetzt hatten.

Vor diesem Hintergrund erscheint es merkwürdig, wenn die Taliban, Afghanistan, wie es im Text des wahrscheinlichen Abkommens heißt, als “Haus der Afghanen” ansehen, aber die Provinzen dieses stolzen Hauses der Afghanen ausgerechnet mit einem Wort aus der britischen Kolonialverwaltung bezeichnen. Vor diesem Hintergrund erscheint es merkwürdig, dass die Taliban den Abzug der ausländischen Streitkräfte ausgerechnet mit einem Wort bezeichnen, das in Afghanistan überhaupt nicht üblich ist, sehr wohl aber in Pakistan. Wenn es im Text des wahrscheinlichen Abkommens heißt, dass die Taliban keinen Ausländern erlauben, von afghanischem Boden aus andere Länder oder die Welt zu bedrohen, so stellt sich die Frage, ob eigentlich auch Pakistan oder in Pakistan agierende Kräfte zu diesen Ausländern gehören oder nicht.

Das im Text des wahrscheinlichen Abkommens verwendete Paschto lässt zumindest vermuten, dass die geistigen Herren derer, die diese Sprache sprechen, kaum in Afghanistan sitzen dürften, sondern eher in Pakistan zu suchen sind.

Vielleicht wäre es doch klug gewesen, Vertreter der Regierung in Kabul mit an den Verhandlungstisch zu laden, und sei es nur, um den Taliban zu erklären, wie die Provinzen in Afghanistan heißen oder wie man auf afghanischem Paschto “Rückzug” sagt.

Hier nun der Text des inzwischen unwahrscheinlich gewordenen Abkommens auf Paschto:

Abkommen zwischen Taliban und USA_Seite 1

Abkommen zwischen Taliban und USA_Seite 2

Abkommen zwischen Taliban und USA_Seite 3

 

 

 

 

 

 

 

 

 

und in einer deutschen Übersetzung:

Wahrscheinliches Abkommen zwischen den Taliban und Amerika

Das Islamische Emirat von Afghanistan und die Vereinigten Staaten von Amerika haben in Doha, der Hauptstadt von Katar, diesen Vertrag über den Abzug und die Rückführung der Streitkräfte Amerikas und der Nato ausgehandelt. Im Ergebnis von Beratungen und Gesprächen zwischen beiden Seiten unterzeichnen sie ihn unter dem Namen Doha-Abkommen über den Frieden von Afghanistan mit den untenstehenden Artikeln.

Artikel 1: Amerika erklärt sich bereit, alle militärischen Soldaten, Berater und andere, mit den verschiedenen Einheiten verbundene Personen bedingungslos aus Afghanistan abzuziehen. Die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern verbleiben selbstverständlich gemäß den weltweit geltenden Regeln und Standards an ihren Orten, um für beide Seiten Ansehen und Unabhängigkeit zu respektieren.

Artikel 2: Das Islamische Emirat von Afghanistan verspricht für immer und erklärt sich ein weiteres Mal bereit, dass im Falle eines unabhängigen Afghanistans von afghanischem Boden kein Schaden für fremde Länder ausgehen wird und dass sich das Islamische Emirat nicht in die inneren Angelegenheiten fremder Länder einmischen wird.

Artikel 3: Afghanistan ist das Haus der Afghanen und das Islamische Emirat wird keinen Ausländern erlauben, von afghanischem Boden aus andere Länder oder die Welt zu bedrohen oder sich in unzulässiger und gesetzeswidriger Weise in deren Angelegenheiten einzumischen.

Artikel 4: Die Vereinigten Staaten von Amerika versprechen, alle ihre Streitkräfte, selbstverständlich zusammen mit den Streitkräften der NATO, im Verlauf von vierzehn Monaten vollständig aus Afghanistan abzuziehen. Der Abzug und die Rückführung erfolgen schrittweise in einer Art und Weise sowie nach einem Mechanismus gemäß einem vereinbarten Zeitplan, der ein grundlegender Bestandteil dieses Vertrags ist.

Artikel 5: Das Islamische Emirat verspricht, während des Abzugs der amerikanischen Kräfte deren Soldaten und Ausrüstung keinen Schaden zuzufügen, und niemand darf während des Abzugs militärische Angriffe unternehmen. Selbstverständlich versprechen auch die Amerikaner, während des Abzugs der ausländischen Streitkräfte in Afghanistan keinerlei militärische Aktionen, Bombardements oder Verfolgungen durchzuführen und keine militärische Zusammenarbeit mit der afghanischen Regierung auszuüben.

Artikel 6: Das Islamische Emirat von Afghanistan verpflichtet sich, gemeinsam mit der offiziellen Erklärung über den Abzug der ausländischen Streitkräfte aus Afghanistan schnelle praktische Schritte für die Einrichtung innerafghanischer Beratungen und eines Dialog mit Beteiligung der Afghanen zu unternehmen, wofür eine erste Sitzung im Verlauf eines Monats in einem fremden Land stattfinden wird.

Artikel 7: Das Islamische Emirat von Afghanistan verpflichtet sich, gemäß ihrer ständigen Sichtweise zu ermöglichen, eine Regierung unter Beteiligung der Afghanen hervorzubringen, die für alle Provinzen, Völker sowie für die nennenswerten politischen Organisationen akzeptabel sind und wo jeder Afghane seinen Leib und sein Eigentum sieht.

Artikel 8: Im Land des Islamischen Emirats von Afghanistan werden die ethnischen und gesellschaftlichen Rechte eines jeden Bürgers gewährt. Gleichermaßen erhalten Frauen alle Rechte gemäß der edlen Religion des Islam und der akzeptierten afghanischen Traditionen. Redefreiheit und Freiheit der Medien sind zum hohen nationalen Nutzen und gemäß der Grundlagen des Islam in vollem Umfang gewährleistet.

Artikel 9: Die politischen Gefangenen des Islamischen Emirats, die sich in den Gefängnissen der ausländischen Streitkräfte oder in den Gefängnissen der afghanischen Regierung aufhalten und keines zivilrechtlichen oder strafrechtlichen Vergehens schuldig sind, werden als vertrauensbildende Maßnahme als Zeichen des guten Willens bedingungslos freigelassen. Im Gegenzug wird das Islamische Emirat vorhandene afghanische Soldaten und Angestellte sowie ausländische Gefangene als vertrauensbildende Maßnahme freilassen.

Artikel 10: Das Islamische Emirat von Afghanistan erklärt sich bereit, bis zum Abschluss des Abzugs der Amerikaner nach Artikel 4 die afghanischen Beratungen und die Errichtung einer Ordnung zu vollenden, sodass für die Afghanen und die Welt ein islamisches und unabhängiges Afghanistan geschaffen wird. Selbstverständlich sind eine landesweite Waffenruhe und die Maßnahmen zur Errichtung einer afghanischen Ordnung im Verlauf eines afghanischen Dialogs im Einvernehmen aller betroffenen afghanischen Seiten zu verfolgen.

Artikel 11: Dieses Abkommen mit 11 Artikeln wird in zwei Exemplaren zwischen dem Islamischen Emirat von Afghanistan und den Vereinigten Staaten von Amerika unterschrieben. Zur Einhaltung aller Artikel dieses Vertrags und für internationale Garantien unterzeichnen ein Bevollmächtigter der Organisation für Islamische Zusammenarbeit, ein Bevollmächtigter der Russischen Föderation, ein Bevollmächtigter der Volksrepublik China und ein Bevollmächtigter von Katar.

Der Bevollmächtigte des Islamischen Emirats von Afghanistan: Mullah Abdulafghani Baradar, Stellvertreter des Islamischen Emirats von Afghanistan für politische Angelegenheiten

Der Bevollmächtigte der Vereinigten Staaten von Amerika: Mike Pompeo, Minister für auswärtige Angelegenheiten

Der Bevollmächtigte der Organisation für Islamische Zusammenarbeit:

Der Bevollmächtigte der Russischen Föderation für Afghanistan Zamir Kabulov

Der Bevollmächtigte Chinas für Afghanistan Ding Jiyong

Der Stellvertreter des Außenministeriums von Katar Mutliq Majid Alqahtani

 

 

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