Ins rechte Licht gerückt: neuer Dokumentarfilm über das älteste Naturreservat Mittelasiens

Ein Beitrag von Viktoria Wagner

Mit seinen 89 Jahren ist das Naturreservat Aksu-Jabagly das älteste Naturschutzgebiet Mittelasiens. Es erstreckt sich über die mächtigen Ketten des westlichen Tien Shan Gebirges, in Südkasachstan, und grenzt an Kirgisien und Usbekistan. Trotz seiner spektakulären Natur, ist dieses Gebiet bei uns nur wenig bekannt.

 

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Naturreservat Aksu Jabagly. Bildquelle: http://www1.wdr.de/fernsehen/wissen/abenteuererde/sendungen/baeren-in-den-himmelsbergen-100.html

Der Filmemacher Tobias Mennle hat diesem Gebiet nun einen wunderbaren Dokumentarfilm gewidmet, der vor einigen Tagen auf WDR ausgestrahlt wurde:

http://www1.wdr.de/fernsehen/wissen/abenteuererde/sendungen/baeren-in-den-himmelsbergen-100.html

Was macht den Reiz dieses Gebietes genau aus?

Zunächst ist da seine landschaftliche Vielfalt. In der Ebene finden wir Wüsten, die von kleinen Gräsern dominiert werden. Hier ist es heiß und vorwiegend trocken. Gehen wir die Berge langsam hoch, so tauchen Steppe, Strauchvegetation und hier und da einzelne Bäume auf. Weiter oben, in der montanen Stufe, finden wir weitflächige und saftige Wiesen vor, sowie lichte Bestände von Wacholderbäumen. Sanfte Bergschultern wechseln sich mit schroffen Kalkfelsen ab. Hier fällt bereits soviel Niederschlag, wie wir es sonst aus Norddeutschland kennen. Es folgt bald die subalpine Stufe mit Wiesen und stachligen Polstersträuchern. An der Grenze zu der Gletscherzone, in der alpinen Stufe, haben niedrigwüchsige und ausdauernde Kräuter das Sagen. Der höchste Berg ist 4236m hoch. Das schroffe Hochgebirge im Zentrum des Reservats ist nur schwer zugänglich.

 

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Wiesen und Wacholder-Bestände im Kshi-Kaindy Tal.

Eine weitere Besonderheit sind seine seltenen Tier- und Pflanzenarten. Zu den prominentesten Vertretern zählen der Tien Shan Braunbär und der Schneeleopard. Auch unter den Pflanzen finden wir einige Ikonen, wie die stattlichen Tulpen Tulipa greigii und Tulipa kaufmanniana. Beide Arten (sowie viele andere wilde Tulpenarten Zentralasiens) kamen in der Ära des Tulpenwahns (Tulipomania) zu wahrem Ruhm. Viele Niederländer lassen sich heute nicht nehmen, diese wilden Schönheiten in der Natur zu bewundern und kommen gleich in mehreren Bussen zum Reservat.

Mit 1312 Pflanzenarten, ist Aksu-Jabagly eins der floristisch reichsten Gebiete des Tien Shan (chin. für “Himmelsberge”). Dieser Pflanzenreichtum kommt einerseits dadurch zustande, dass sich hier Arten aus verschiedenen Teilen Eurasiens treffen, wie in einer Art geographischen Knotenpunkt. Wir finden Pflanzen, die sonst nur in Europa und Sibirien vorkommen, aber auch Arten, die es hauptsächlich in Iran und Afghanistan gibt. Außerdem hat die geschützte Gebirgslage und die geologische Vielfalt 365 Arten hervorgebracht (sogenannte “Endemiten”), die nur hier in der Region des westlichen Tien Shans gedeihen.

Die Petroglyphen im Naturreservat zeugen von einer jahrtausendelangen Besiedlung und Nutzung durch den Menschen. Die Aufzeichnungen russischer Expeditionsforscher verraten, dass noch vor einhundert Jahren kasachische Nomaden hier ihr Vieh weiden ließen. Im Frühjahr trieben sie es zu den saftigen Wiesen der montanen und subalpinen Stufe hoch und im Herbst zogen sie mit ihnen wieder ins Tal zurück. Die Spuren dieser langen Bewirtschaftung sieht man sehr gut im Film, und zwar an den Trittspuren am Berghang (ca. 39. Minute).

Die Etablierung des Naturreservats im Jahr 1926 war nicht nur Anlass zur Freude. Die Nomaden des Aksu-Jabagly wurden durch die neue sowjetische Regierung nach einem Hau-Ruck Prinzip einfach vertrieben. Dies geschah nicht ohne Widerstand, wie der erste Direktor des Naturreservates in seinen Notizen schildert. Laut Historiker Charles Ziegler (nachzulesen in seinem Buch “Environmental Policy in the USSR”) war dies die allgemeine Praxis in der frühen sowjetischen Naturschutzpolitik (aber auch in anderen Ländern). Die Maximen des heutigen, modernen Naturschutzes, Mensch und Natur gehören zusammen, kein Naturschutz ohne die Unterstützung der lokalen Bevölkerung, waren damals absolut unbekannt. Heute weisen Biologen darauf hin, dass die komplette Aufgabe der menschlichen Nutzung im Naturreservat zu einer Artenverringerung geführt habe und gleichzeitig zu einer Verdichtung der Vegetation – was wiederum die Brandgefahr erhöht.

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Brücke über den Aksu Fluss.

Auch eine kleine literarische Würdigung hat das Reservat Aksu-Jabagly erfahren. In seinen spannenden Memoiren “Hunted through Central Asia: On the Run from Lenin’s Secret Police” beschreibt der Geologe und “Kontra-Revolutionär” Paul Nazaroff (1890-1942) wie er den Fluss Aksu auf seiner Flucht aus Usbekistan nach Kasachstan überquert. Diesen Fluss zu passieren war damals – und ist heute noch – nicht einfach, denn er bildet in seinem Ober- und Mittellauf einen tiefen Canyon. Nazaroff wählte für seine Überquerung eine niedrige Brücke aus Holz, Lehm und Stein. Sie steht heute noch in dieser Form da (Bild oben).

Lange Zeit war das Naturreservat Tabu für Besucher. Hermetische Abriegelung war ein weiteres trauriges Kapitel der sowjetischen Naturschutzpolitik. Im heutigen unabhängigen Kasachstan sind Besucher wieder erlaubt. Touristen sind in Aksu-Jabagly keine Ausnahmeerscheinung mehr, doch wahre Touristenströme kennt man hier (Gott sei Dank) noch nicht. In dem Dorf Jabagly, am Fuß der Jabagly Gebirgskette, gibt es eine relativ gute touristische Infrastruktur mit kleinen Gasthäusern, die von lokalen Familien betrieben werden. Dort wird man gut beraten und an Bergführer verwiesen. Wer die Möglichkeit und Kondition hat, sollte unbedingt einen Pferderitt wagen oder die Gegend zu Fuß erkunden. Sehenswert ist das wunderschöne Kshi-Kaindy Tal. Sein herrliches, von Wiesen bedecktes Plateau, ist ganz zu Beginn der Dokumentation zu sehen (siehe zweites Bild oben). Der bereits erwähnte Canyon und die Petroglyphen sind weitere Highlights, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Dagmar Schreiber beschreibt in ihrem Buch “Kasachstan” weitere Sehenswürdigkeiten in der Region.

Mehr Infos über Aksu-Jabagly auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Naturreservat_Aksu-Jabagly

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Hintergrund: Vor genau zehn Jahren, führte die Autorin in Aksu-Jabagly Feldarbeit für ihre Diplomarbeit durch. Obwohl es ein tolles Erlebnis war, hatte sie leider keine Gelegenheit gehabt, diese Gegend wieder zu besuchen. Die Dokumentation und dieser Blog-Eintrag boten ihr daher eine tolle Chance, über Aksu-Jabagly nochmal zu reflektieren.

 

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