Ein Beitrag von olim devona
[inspic=525,,,0]Kokand, am Eingang des Ferghanatales in Usbekistan gelegen, ist die Stadt der Messer. Obwohl in der Stadt der Brauch des Messertragens aufgegeben wurde (in der ländlichen Peripherie trägt ein Mann noch das Messer als Zeichen von Männlichkeit und Wehrhaftigkeit), ist es immer noch Zentrum des handwerklichen Messerherstellens. Hier wird sogar noch damaszener Stahl geschmiedet.
Doch damit sind wir am Kern des Problems angelangt: für ein gutes Messer braucht es guten Stahl.
Madamamin Rizqulov ist ein junger Meister der Messerherstellung. Seit Generationen wird in seiner Familie das Wissen dieser Handwerkskunst weitergegeben. Das kunstfertige Herstellen von Messerschäften aus Horn ist hier ebenso inbegriffen wie die richtige Führung der Blutrinne und das stufenlose Anpassen der Messernieten. Doch es gäbe diese Handwerkskunst wohl nicht ohne sein Kernstück, den Stahl. Guter Stahl ist in Mittelasien rar. Seit dem mit der Unabhängigkeit handwerkliches Entrepreneurstum wieder ungestaft möglich war, und das ist jetzt 20 Jahre her, war Madamamin auf der Suche nach gutem Stahl. Jahrelang durchstöberte er Mittwochs und Sonntags die baraxolka, den lokalen Flohmarkt. Hier prüfte er Raspeln und Feilen auf ihre Güte. War der Stahl gut, konnte man aus ihm ein Messer machen. War er minderwertig, lohnte sich der Kauf nicht. Da die Güte des Stahls sich aber erst im Feuer zeigt, nahm er von den Händlern die Feilen und Raspeln auf Pump und bezahlte nur die, die einer Messerherstellung würdig waren. Die anderen brachte er zurück. So ging das Jahr um Jahr. Messer wurden gemacht, wenn es Bestellungen gab. Bestellungen wurden meist gemacht, wenn Leute aus der Stadt für längere Zeit ins Ausland gingen und sich einen Vorrat an Gastgeschenken zulegen wollten. Dazu musste guter Stahl vorrätig sein.
Vor ein paar Jahren nun wurde Madamin einer Stahlquelle fündig, die kein akribisches Auswählen mehr nötig macht. Irgendjemand brachte ihm zufällig ein paar Federn aus der Federung eines “Zhiguli” aus sowjetischer Produktion. [inspic=524,,,0]Als er sie im Feuer prüfte, stellte er fest, dass für die Fahrzeugfedern bei weitem der beste Stahl verwendet wurde, den er bisher bekommen konnte. Die ausrangierten, an der Wolga, in der Stadt Zhiguli hergestellten Autos, bei uns besser bekannt als “Lada”, wurde für Madamin eine sichere Quelle für guten Stahl. So macht Madamin seine Messer aus einem Stahl, der, blickt man auf die Kilometeranzeigen alter Zhigulis, schon mehrere Male die Sowjetunion durchquert haben könnte. Und solange diese Autos in Mittelasien zu Schrott gefahren werden, wird Madamin seinen Stahl aus diesen Fahrgestellen beziehen können.
Olim devona ist Mitwisser am Institut für Ethnologie der Uni Leipzig.
guter artikel!
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