Orientträume und Sammeln im Emirat Buchara um 1900

Ein Beitrag von Melanie Krebs

[inspic=632,left,,300] Noch Anfang des 19. Jahrhunderts war das Reisen in den zentralasiatischen Emiraten aufgrund der politischen Gegebenheiten, den untereinander kämpfenden Fürstentümern und ihrer Abwehr gegen alles Fremde, für Ausländer gefährlich und wenig attraktiv. So verbrachte der russische Gesandte Muravyov 1819 in Chiva die meiste Zeit unter Hausarrest – und hatte damit noch Glück gehabt: für die beiden britischen Unterhändler der East India Company, Stoddart und Conolly, ging ihre Reise 1842 nach Buchara schlechter aus: Sie wurden als Spione geköpft; ein Ereignis, das in Europa einen vermutlich gewünschten abschreckenden Effekt hatte.
Auch spätere Reisende, die es aus beruflichem Interesse nach Zentralasien verschlug, zeigten sich wenig begeistert. Der Turkologe Hermann Vambery, der in den 1860er Jahren als Derwisch verkleidet durch Zentralasien reiste, um dort unbehelligt forschen zu können, kommentiert lapidar:

Weit entfernt, schön, prachtvoll und großartig zu sein, wie die von Teheran, Täbris und Isfahan bieten die Basare Bocharas dem Auge des Fremden einen auffallenden, eigenthümlichen Anblick dar. Wer lange in den Wüsten Zentralasiens umhergeirrt ist, wird in Bochara trotz aller Armseligkeit immer etwas Hauptstadtartiges finden (Vambery 1865: 139,155)

Der Deutsche Franz von Schwarz, der als Astrologe lange an der Sternwarte in Taschkent arbeitete, hatte noch andere Probleme:

Wie langweilig, ja geradezu unerträglich sich infolge der geschilderten Verhältnisse (dem Fehlen von Frauen im Straßenbild! MK) das gesamte Leben in den von Eingeborenen bewohnten Städten gestaltet, davon kann sich nur derjenige einen Begriff machen, der einmal durch sein Unglück auf längere oder kürzere Zeit in eine solche Stadt verschlagen worden ist. (Franz von Schwarz, Aufenthalt in Turkestan 1874-1890; Schwarz 1900: 194)

Zu diesen Reisenden gesellte sich in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eine neue Gruppe, für die das Reisen selbst und das Entdecken neuer Länder das Ziel war. Turkestan, vor allem das Emirat Buchara, umgab noch der Reiz des Neuen und Gefährlichen, den Nordafrika und der Vordere Orient bereits verloren hatten. Städte wie Istanbul, Jerusalem und Kairo waren sowohl für weniger abenteuerlustige Touristen als auch für europäische Händler mit ihren Waren zugänglich und machten sie damit für Abenteurer auf der Suche nach dem “echten” Orient zunehmend weniger anziehend. Die Erstellung einer Sammlung möglichst typischer Objekte für den Privatbesitz oder ein Museum im Heimatland gehörte ebenso zum Ziel des Reisens wie eine anschließende Veröffentlichung der eigenen Erlebnisse.

Der junge Schweizer Kaufmannssohn Henri Moser, der schon 1868 als Einheimischer getarnt nach Buchara kam, war einer der ersten Vertreter in dieser Reihe. Die Aufdeckung seiner Tarnung führte zu einer mehrwöchigen Gefangenschaft in einer Karavansaray, bevor er Buchara wieder verlassen musste. Diese Gefangenschaft erlaubte ihm das Aufgreifen eines Topos, der in den frühen Berichten ebenfalls nie fehlt: die willkürliche Brutalität der lokalen Rechtsprechung und die grausamen Hinrichtungsmethoden, die immer wieder als Beweis für die Barbarei der einheimischen Herrscher und die Notwendigkeit der Kolonialisierung durch eine “zivilisierte” Macht herangezogen wurden. Bei Moser erhält die Beschreibung der Hinrichtungsmethode, bei der Verbrecher vom Minarett der Hauptmoschee von Buchara gestürzt wurden, aber noch eine weitere, weniger politische als literarische Komponente:

Zur Zerstreuung konnte ich an Basartagen von der Höhe des Manar-Kalan geschleuderte Packete auf ihrem Wirbel durch die Lüfte verfolgen. Da nun die Zahl der die Luft durchsausenden Packete je nach dem Barometerstand der üblen Laune des Souveräns sich beträchtlich vermehrte, so ist es leicht begreiflich, dass ihr Anblick nicht dazu angethan war, meine Gefangenschaft zu erheitern. (Moser 1888: 136)

Hier haben wir in wenigen Zeilen alles, was einen guten Abenteuerroman dieser Zeit ausmacht: Einen willkürlichen orientalischen Herrscher, grausame öffentliche Hinrichtungsmethoden auf der einen und einen überlegen-furchtlosen wie ironischen europäischen Erzähler auf der anderen Seite. Dass diese neue Gruppe von abenteuerlustig den Orient suchenden Reisenden die ersten größeren Sammlungen aus der Region zusammenstellte, bedeutete, dass viele Museumssammlungen nicht oder zumindest nicht nur von Spezialisten, sondern von Liebhabern zusammengetragen wurden. Diese standen aber häufig in engem Kontakt zu den Museen und wurden von den dortigen Wissenschaftlern in ihrer Arbeit beraten.
Für das heutige Ethnologische Museum Berlin war der oben zitierte Willi Rickmer Rickmers (1873-1965) der wichtigste Sammler dieser Art. Rickmers reiste und sammelte zwischen 1895 und 1908 und später noch einmal 1913 und 1928 in der Region. Auch in der Ethnologie war er ein Amateur, der durch seine Liebe zum Bergsteigen in die Region kam und dort vor allem geographisch arbeitete, dabei aber auch eine gute Kenntnis der einheimischen materiellen Kultur erwarb. In das Orientbild dieser Reisenden und ihrer Berater von den Museen passte der mit der Kolonisierung einhergehende Anstieg russischer, in geringerem Umfang auch westeuropäischer, Waren in den zentralasiatischen Städten nicht. Schon Vambery hatte die zahlreichen aus Europa und Russland gekommenen Waren im Basar von Buchara registriert. Während er bei ihrem Anblick noch eine heimliche Freude über den Gruß aus der Heimat empfand (Vambery 1865: 140), waren sie für die Reisenden dreißig Jahre später eine unliebsame Störung ihres Orienttraums. Rickmers verbindet sie, sicher nicht ganz zu Unrecht, mit dem Verfall des einheimischen Kunsthandwerkes, da die billigeren Industriewaren für die lokale Bevölkerung den Reiz des Neuen und Exotischen hatte. Aus dem Wunsch nach Echtem, d.h. möglichst Uneuropäischem, entstand das Ziel des Sammelns: Die letzten unverfälschten Zeugnisse seines Orients vor ihren Produzenten und Konsumenten zu retten. Nicht nur die importierten Fabrikwaren gefährdeten das, was die Sammler als “echtes” Kunsthandwerk bezeichneten: In derselben Zeit häuften sich auch die Importe von chemischen Farben nach Buchara, die von den dortigen Stickerinnen wegen ihrer größeren Leuchtkraft gerne angenommen wurden, für die Sammler aber zum Inbegriff des Verfalls wurden. Während gerade persische Einflüsse die Qualität vor allem von Metallwaren erhöhten, galten russische Formen als minderwertig. Nur ein entsprechendes Objekt findet sich dazu in der Sammlung des Ethnologischen Museums Berlin (Abb. 2).

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Mit dem großen Interesse der Reisenden an Objekten des zentralasiatischen, speziell bucharischen Kunsthandwerks und an Archäologica, änderte sich auch die Art und Weise des Sammelns. Die ersten Mitbringsel früherer Reisender, die größtenteils noch nicht in Hinblick auf spätere Musealisierung sammelten, bestanden vor allem aus Geschenken, die ihnen im Land von einheimischen Würdenträgern gemacht worden waren. Zu den Zeiten, in denen die Objekte für das Berliner Museum gesammelt wurden, verteilte der Emir keine Geschenke mehr an die zahlreichen europäischen Besucher, stattdessen hatten sich einheimische Händler bereits auf den neuen Kundenkreis aus europäischen Sammlern eingestellt. Händler spezialisierten sich auf den Ankauf alter Stücke aus Privathaushalten und verkauften sie, häufig im Konvolut, an europäische Sammler. Auch Rickmers erwähnt in seinen Briefen solche Händler und die 1907/08 ins Museum gekommene Sammlung kann aufgrund von Rickmers Berichten eindeutig auf einen solchen Händler zurückgeführt werden.

Zwischen den einzelnen europäischen Museen war ein massiver Konkurrenzkampf um die besten zentralasiatischen Stücke ausgebrochen, aus dem Rettenwollen war so ein Wetteifern um die besten Stücke geworden. Bei Rickmers liest sich die Situation so:

“Was die Kosten anbetrifft, so habe ich so niedrige Preise gezahlt als sie hier überhaupt zu erzielen sind, denn das Land ist mit kaufenden Sammlern (z.B. Museum Alexanders III.; reiche Touristen usw.) überlaufen und die Einheimischen, die Juden, Sarten und Armenier unterhalten direkte Verbindungen mit Paris.” (Samarkand, 18.11.1908; E 2547/08)

Der neu entstandene Antiquitätenmarkt hatte das Problem, mit dem alle vergleichbaren Märkte bis heute kämpfen: Mit dem Interesse der Europäer und ihrer Bereitschaft, auch große Summen für Objekte, die ihrer Vorstellung von Altem und Echtem entsprachen, zu zahlen, stieg auch die Zahl der Fälschungen an. Vor allem Keramiken und Metallgefäße aus dem Mittelalter und noch ältere Münzen wurden so geschickt nachgebildet, dass auch Fachleute unter den Sammlern getäuscht wurden.

Ein Beispiel, an dem man aber in der Berliner Sammlung die Entwicklung eines solchen Marktes zeigen kann, sind einige Zeltbänder aus der ersten großen Schenkung von Rickmers 1902/03. Dort finden sich acht Zeltbänder, die laut Inventarkatalog “in Samarkand gekauft” wurden. Drei von ihnen ähneln vordergründig den weißgrundigen Bändern, die von Turkmenen speziell für Hochzeitsjurten hergestellt wurden und die von Sammlern sehr geschätzt wurden. Tatsächlich weisen sie aber deutlich Abweichungen auf, die nicht nur mit Qualitätsunterschieden erklärt werden können. So ist der gewebte Untergrund wesentlich grober als bei denen, die unmittelbar turkmenischer Herkunft sind, und die Muster sind nicht eingewebt, sondern nachträglich mit Wolle oder Stoffstreifen auf den Untergrund genäht (Abb. 3 und 4).

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Es kann sich bei diesen Beispielen entweder um von Turkmenen selbst für den Verkauf an Fremde hergestellte Bänder, oder aber um von sesshaften Samarkandern als Kopien angefertigte Stücke handeln. Auf Grund der unterschiedlichen Machart und vor allem wegen der ungewöhnlichen Breite und des Gewichts, das eine praktische Verwendung schwer bis unmöglich machte, ist die zweite Möglichkeit wahrscheinlicher. In jedem Fall zeigen diese Bänder die Existenz eines Marktes, der nicht nur auf lokale Käufer ausgerichtet war: Direkt bei Samarkand siedelten nicht genug Turkmenen, die einen entsprechend großen lokalen Absatzmarkt geboten hätten.

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Der Verkauf des eigenen Kulturgutes an Ausländer blieb auch in der islamischen Welt nicht unbemerkt und unkritisiert. Mit einer Karikatur wandte sich die damals bekannteste muslimische Satirezeitschrift, der in Tiflis erscheinende Molla Nasreddin, gegen den Ausverkauf von Kulturgut (vgl. Abb. 1 in diesem Beitrag). Verhindern konnte sie ihn nicht. Rickmers konstatiert im Rückblick auf seine Reise 1913:

Die guten alten Teppiche kriegt man jetzt in Berlin leichter als in Buchara. Man (hat) die Basare des Morgenlandes in die Räume von Liberty in London verlegt. Dafür findet man unsere alten Petroleumlampen unter den Wohlgerüchen Arabiens. Ein seltsamer Stoffwechsel durchflutet die Erde. (Rickmers 1930: 220f.)

Literatur zum Weiterlesen:

Svetlana Gorshenina, The Private Collections of Russian Turkestan. Second Half of the 19th and Early 20th Century. Berlin: Klaus Schwarz Verlag, 2004.

Heinrich Moser, Durch Central-Asien. Leipzig: Leipzig: F.A. Brockhaus, 1888.

Willi Rickmer Rickmers, Querschnitt durch mich, München: Gesellschaft Alpiner Bücherfreunde e.V., 1930.

Franz von Schwarz, Turkestan, Die Wiege der indogermanischen Völker, Freiburg: Herdersche Verlagsbuchhandlung, 1900.

Armin Vambery, Reise in Mittelasien, Leipzig: F.A. Brockhaus, 1865.

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