Dieses Buch enthält verstreute, an der Akademie der bildenden Künste in Wien verfasste Aufsätze von Karl Wutt. Es geht auf zwei Bücher in deutscher Sprache – Pashai (Graz 1981) und Afghanistan von innen und aussen (Wien, New York 2010) zurück. Diese zweisprachige (Deutsch und Englisch) und gekürzte Version von Afghanistan von innen … (2010) mit vielen Abbildungen ist ab jetzt erhältlich. //
This book contains essays, which Karl Wutt has written at the Academy of fine Arts in Vienna. It originates from two books in german language on the architecture of the eastern Pashai: Pashai (Graz 1981) and Afghanistan von innen und aussen (Vienna, New York 2010). This abridged version of Afghanistan von innen … (2010), translated into English, is available now. //
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Afghanistan, zu dritt (2005) (English version below)
Vor langer Zeit fuhr ich von Land zu Land nach Osten, immer holpriger bis Afghanistan. Dort saß man in bemalten Bussen auf Steinsalz. Afghanistan war wie ein Baum, der einen nicht ohne weiteres an seine feineren Zweige ließ. Man musste, was man wollte, doppelt und dreifach tun. Das damalige Reisen hatte einen festen Anfang – Wien – und ungewisse Enden mit schönen Namen, die im Vorhinein nirgends geschrieben standen. Als der Bürgerkrieg nach 24 Jahren vorerst zu Ende war, kam ich zurück und versuchte dreimal mein Glück, auf jährlichen Exkursionen,
die wenig voneinander abwichen und stets von Dschalalabad ausgingen – immer noch: ein Hauch von Indien, eine Stadt mit Turbanen der Sikhs im Straßenbild und einem versteckten Hindu-Tempel. Dort wohnen noch ein paar Hindus. Ram Sin, ein Obsthändler, blieb da, wo er war. Er kann keine Sprache als Persisch. Er kennt kein anderes Land.
Fährt man in Afghanistan mit dem Taxi aufs Land, ist man am besten zu dritt: im Trio ‚Passenger / Driver / Cleaner’ (Päsändschäär, Dräwaar, Kilinaar). Beim dritten Mal bin ich wieder mit N einem ‚Driver’ zusammen, den ich vom ersten Mal kenne, während er beim zweiten Mal, als es hieß, er sei in der Schule, in Tadschikistan war. N hat noch keinen richtigen Bart zur Probe aufs Exempel der Nightletters, nächtlicher Flugblätter. „Afghans warned not to listen music and shave“. Wir fahren, halb und halbbärtig, mit einer ewigen Begleitmusik, die höchstens verstummt, wenn wir wo festsitzen. Dann ist S der ‚Cleaner’ an der Reihe, muss er Steine schlichten und einen Ausweg bauen, bis das Einweisen und Daumenhalten beginnt. Die Limousine im Geröll, das ist so verrückt wie ein Geländewagen ohne Kratzer, ‚im Stau’ in Wien. – Wenn es zu Fuß weitergeht, bleibt N zurück. Jetzt passt N aufs Taxi auf, und S auf mich.
Die Pfade der Hindukusch-Täler nördlich von Dschalalabad bilden Einschnitte zwischen Terrassenfeldern, sodass man niemand aus dem Weg gehen kann. Und so geht es über Stock und Stein und mitunter, aus Gründen der Höflichkeit, langwierig dahin. Sind es Frauen, heißt es nicht schauen. Sie sind mit Rückenkörben, schwer beladen unterwegs, arbeiten sich auf den Feldern ab, unter sich und allein. Entgegen einer pauschalen Vorstellung sind sie hier ohne Schleier. Wie sollten sie auch, bei so einem Leben. – Doch diesmal ist es spät im Jahr. Die Maisernte ist eingebracht. Die Felder sind leer. Da geht es gegen Abend zu, kehren Knaben mit geschulterten Zugspaten aus Holz von den Feldern zurück. Tauchen Kerle ohne Zugspaten auf, die uns den Weg abschneiden. Und S schlichtet. Diesmal Worte und nicht Steine. Weiß wo der Hase läuft und läuft mit mir wie der Hase. Aheste! Langsam und leise. Der ‚Driver’ nennt S einen Hasenfuß, als er’s erfährt, und was soll’s. Wir sind im Darra-i Nur, dem steinigen ‚Tal des Lichtes’. Nachts, in meinem Zimmer, lese ich in Virginia Woolfs Orlando: „Nichts, die Aussicht betrachtend, konnte weniger Ähnlichkeit haben mit Tumbridge Wells. Zu meiner Rechten und Linken erhoben sich in kahler und steiniger Schroffheit die unwirtlichen asiatischen Berge, an denen vielleicht die kahle Burg des einen oder anderen Räuberhäuptlings klebte: aber Pfarrhaus war keines da“. Es beruhigt mich, dass ich mit Woolf allein im Zimmer bin, und ausgerechnet hier – wohne mit einer Maus, die, als ich darauf wette und schnell ein Licht mache, meiner Ledertasche entschlüpft. Das ‚Tal des Lichtes’ mündet ins Kunar-Tal, wo wir Felsbilder mit Inschriften entdecken. Eine Gegend flimmernder Gräser. Mit Schilfhütten und Vieh auf schimmernden Rändern am glitzernden Fluss. – Vor einem Jahr zogen dort Fährleute ihr Floß – aus aufgeblasenen Ziegenbälgen – mühsam ein Stück flussaufwärts, um es dann schräg, flussabwärts, ans andere Ufer zu staken. Dort steht jetzt eine bunte Moschee. Über Wasser und Marschland schwebt filigran eine Brücke.
Wir fahren, auf den Spuren des Entdeckers Charles Masson, nach der Provinz Laghman und das Alisching-Tal hinauf, bis ein Türmchen mit Zinnen auftaucht, eine Spielzeug-Ritterburg. Das ist der Sitz der Behörde, des Uluswali. Ein Kramladen mit Kernseife – und ‚Khol’ für Lidschatten (ein Make up der Männer). Dann: ein bemaltes ‚Lastauto eines Mörders’, behördlich beschlagnahmt, wie es heißt. Die Soldaten der Ritterburg empfangen uns betreten und weisen uns ab. Also kehren wir um, bis sich der Weg im Sog der Provinzhauptstadt – ein Basar mit Alleen – in eine Rumpelstraße voller Pferdekarren, Radfahrer, Kinder, Schafe, Kamele und Autos, verwandelt. Ihr Name, Mehtarlam, kommt vom Grab eines Heiligen her und steht groß auf der Landkarte geschrieben. Und das Heiligengrab? – Um dorthin zu gelangen, muss S, der ‚Straßenbauer’, wieder einmal Steine schlichten, bis wir auf einer Anhöhe halten und das Heiligtum plötzlich, tief unter uns, sehen. Als erstes sticht mir ein Blau ins Auge, ein See. Ein Wunder, das eine Täuschung bewirkt: Das Luftbild einer Oase. Es ist aber bloß eine ummauerte Waldung mit einer Tränke, in einem leeren Land.
Orte haben ihre speziellen Relikte und Abfälle, z. B. Tonscherben, Pfeilspitzen, Plastikbecher, Kaugummi, Hundedreck. Auf unserer Anhöhe findet sich eine Patronenhülse im schwarzen Gestein, sowie: ein paar Stofflappen, Beigaben von Gräbern, die in Sichtweite des Heiligtums aufkommen. Die Patronenhülse hebe ich auf zum ‚Aufheben’ – als Souvenir. Ich tat mit ihr etwas Ähnliches wie die Gläubigen, wenn sie mit ihren Stofflappen oder sonstwie eine magische Berührung mit bestimmten Orten, jenen Märtyrergräbern, suchen: als wären Souvenirs eine Art Grabbeigaben für die Lebenden, und Grabbeigaben die Souvenirs der Toten. Andenken ans Leben. Erinnerung an die Zeit. Ich habe, sehnsüchtig nach gewissen Orten, eine Sammlung von Proben, ihnen entnommen, zu Hause in Schachteln begraben.
Das Heiligtum liegt, wie ein schlichtes Moghul-Schloss, am hinteren Rand eines Garten-Friedhofs, dicht bestanden mit Obst- und Eukalyptus-Bäumen….
Three in Afghanistan (2005)
Many years ago I went from country to country heading eastwards, the route becoming bumpier and bumpier until Afghanistan. There we sat in painted busses on rock salt. Afghanistan was like a tree that did not readily allow access to its finer branches. You had to make two or three attempts if you wanted to do anything. The journey had a fixed starting point – Vienna – and uncertain destinations with beautiful names, names not written anywhere at the outset. When the civil war was over after 24 years I returned there and tried my luck three times on annual excursions that varied little from one another, always starting in Jalalabad – still with a trace of India, a city with Sikhs’ turbans on the streets and a hidden Hindu temple. A couple of Hindus still live there. Ram Sin, a fruit seller, had stayed there where he was. He only speaks Persian and only knows this land.
If you drive to the countryside in Afghanistan by taxi it’s best to travel in threes, a trio: passenger/driver/cleaner (pessenjer, drayvar & kilinaar). The third time I’m with N again, a driver I knew from the first trip. During the second trip, when I was told he was at school, he was in Tajikistan. N did not have a real beard yet, he couldn’t put the night-letter dictate to the test. “Afghans warned not to listen music and shave”. We drive, half un- and half-bearded with incessant musical accompaniment, silent only when we’re stuck somewhere. Then it’s S’ turn, the cleaner, he has to fill potholes and clear a path before the pointing and the finger-crossing begins. The limousine in the debris, as crazy as an off-road vehicle without a scratch in a Viennese ‘traffic jam’.
N stays behind when we continue on foot. Now N watches out for the taxi, and S for me. The paths of the Hindu Kush valleys north of Jalalabad cut between the terraced fields, so you can’t
avoid anybody. And this is how the journey continues, over sticks and stones and, among other things out of politeness, slowly onwards. Don’t look at the women. They have baskets on their backs, moving heavily laden, slaving away in the fields alone in groups. Without veils here, contrary to the cliché. How could they be, with a life like that. This time it’s late in the year.
The maize harvest is in. The fields are empty. The evening approaches, boys return from the fields with wooden spades shouldered. Two blokes – no spades – appear, blocking our
path.
And S sorts it out. With words this time, and not rocks. He knows where the wind is blowing, so we make like the wind. Aheste! Slowly, quietly. The driver says S is a blowover when he hears about it, and asks what the idea was. We’re in Dara-I Nur, the stony Valley of Light. Nighttime, in my room I read Virginia Woolf’s Orlando: “Nothing, he reflected, gazing at the view which was now sparkling in the sun, could well be less like the counties of Surrey and Kent or the towns of London and Tunbridge Wells. To the right and left rose in bald and stony prominence the inhospitable Asian mountains, to which the arid castle of a robber chief or two might hang; but parsonage there was none”. It was comforting to be alone in my room with Virginia Woolf, and here of all places – living with a mouse that surfaced from my leather bag when I bet it would and quickly turned on the light. The Valley of Light leads into the Kunar Valley, where we discover rock paintings with Tibetan (!) inscriptions. A region of shimmering grasses. With reed huts and animals on glowing edges on the glittering river. A year ago ferry-men pulled their raft here – of inflated goat hide – laboriously upstream a little to then stake it at an angle on the opposite bank downriver. A colourful mosque stands there now. A bridge hovers elegantly over the water and marsh.
We drive, on the trail of the discoverer Charles Masson, to Laghman Province and up the valley of Alishing until a little tower with battlements emerges, a play castle. The headquarters of the local authorities, Uluswali. A general store with curd soap – and ‚kohl’ for eyeshadow. Then: a painted truck, “a murderer’s truck”, confiscated by the authorities they say. The soldiers of the castle meet us sheepishly and turn us away. So we go the other way until in the wake of the local centre – a bazaar with alleyways – the road turns into a bumpy trail packed with horse-drawn carts, cyclists, children, sheep, camels and cars. The town’s name, Mehtar Lam, stems from the grave of the saint and is written on the map in large letters. And the saint’s shrine? To
reach it S, the ‘roadmaker’, has to pack rocks again, until we stop high up and suddenly see the shrine deep below us. The first thing to catch my eye is a patch of blue, almost a lake. A miracle
that creates an illusion: an oasis seen from above. Just walled-in trees and a watering hole in the empty countryside.
Places have their special relics and rubbish, e.g. shards of clay, arrow tips, plastic beakers, chewing gum, dog turds. There is a cartridge case in the black rock on our rise, as well as: a cou-
the shrine. I pick up the cartridge case to keep – as a souvenir. I did something with it like the faithful do with their scraps of cloth or similar when they’re looking for magical contact with
particular places, those martyr’s graves: as if souvenirs were a souvenirs for the dead. Commemorations of life. Mementos of time. I own, with a hankering for certain places, a collection of specimens taken from them, buried in boxes at home. The shrine lies like a simple Mogul castle at the rear edge of a garden cemetery thick with fruit and eucalyptus trees.
Eine schöne Buchbesprechung von Mario Laatsch (mit dem passenden Titel “Gegenden, gegenständlich”) über Karl Wutt: Afghanistan von innen und außen (Springer Verlag, 2010) – das hier in gekürzter Fassung mit englischer Übersetzung vorliegt findet sich hier: http://www.suedasien.info/rezensionen/2950