Tadschikisch-Amerikanischer Handschlag in Sarvoda; Photo Christine Barthelme 2010
Kurz nachdem man den Anzobtunnel in Richtung Ajni hinter sich gelassen hat durchquert man die kleine Siedlung Sarvoda. Hier, am Zusammenfluss von Yaghnob-Darja und Pasrud-Darja stehen noch die Reste einer Festung aus der Zeit Alexander des Großen. Zur Zeit der Sowjetunion war das daneben liegende Dorf zu einer modernen Bergbausiedlung ausgebaut worden, die nicht von Duschanbe aus verwaltet wurde, sondern direkt Moskau unterstand. Heute haben amerikanische Investoren alle Förderanlagen übernommen. Die Wohnblöcke der Arbeiter, die Sportanlagen, die Musikschule, die Heizkraftwerkruinen und das örtliche Kino aber rotten seit dem Ende der Sowjetunion vor sich hin.
Mit der Privatisierung in den 1990er Jahren gingen 49% der Aktien an Tadschikistan, 51 % bekam der Amerikanische Investor zugesprochen. Ein Schild mit Tadschikisch-Amerikanischem Handschlag ist das einzige Zeichen für die Amerikanische Teilhabe an den diversen Schachtanlagen und Förderbetrieben, die zu Sarvoda gehören. Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion lebten hier vor allem Russen, Deutsche, Ukrainer und andere Gruppen, überwiegend aus dem europäischen Teil der Sowjetunion; insgesamt 14 Nationen erklärt man uns im Gespräch arbeiteten damals im Bergbaukombinat. Gefördert wurden in dem rohstoffreichen Gebirgsgebiet zwischen der Hisar- und der Zerafshankette alle Arten von Metall: Gold, Silber, Kupfer, Wolfram und natürlich auch Steinkohle der besten Qualität. Diese wurde aus dem inneren der Berge geholt, kann aber an manchen Stellen bis heute auch im Tagebau abgetragen werden.
Zu Beginn des Bürgerkriegs, der 1992 im Süden Tadschikistans ausbrach, wurden dann die Amerikaner auf die Minenstadt aufmerksam. “Nachdem die Amerikaner Jahrzehntelang versucht haben die Sowjetunion zu zerstören, haben Sie sich anschließend ihre Filetstückchen mit Dollars unter den Nagel gerissen,” werden wir von unserem Führer durch die Stadt eingestimmt. Er selbst wurde an einer Leningrader Hochschule zum Bergbauingenieur ausgebildet und arbeitete anschließend 29 Jahre in Sarvoda in führender Position. Schon sein Vater hatte hier in den 1950er Jahren als Brigadir und später auch als Direktor gearbeitet. Heute arbeitet der Ingenieur in der Verwaltung in Duschanbe. “Damit die Leute hier nicht sagen, schaut euch den an, der hat sich jetzt auch für Dollars an die Amerikaner verkauft”. Hoch angesehen ist er bei den Menschen in Sarvoda noch immer. Das ist deutlich zu spüren, als wir von ihm durch den Ort geführt werden. Er zeigt uns die maroden Wohngebiete und die zerfallenden und heute leerstehenden Gebäude für die Verwaltung, die Versorgung und das Kulturleben der ehemaligen sowjetischen Arbeitersiedlung. Heute sitzen zehn amerikanische Experten in einem Gebäude des Viertels hinter dem ehemaligen Kinotheater, das auch zu Sowjetzeiten den verschiedene Spezialisten und Ingenieuren vorbehalten war, und leiten den Betrieb. “Sie haben sich dort eingerichtet wie die Könige. Wie ihre Angestellten leben und was aus unserer Stadt wird, interessiert sie hingegen nicht.” Der geschätzte Wert von Sarvoda liegt angeblich bei rund 50 Millionen US Dollar. Gezahlt, so munkelt man hinter vorgehaltener Hand, wurden aber nur 9 Millionen. An wen? Auch das weiß man nicht ganz genau.
Die Amerikaner investierten in neue, teure Technik und brachten sie ins Land. Gekauft wurde auf Kredit. Da die Tadschikische Seite keine finanziellen Mittel hatte, um diese Kredite zu bedienen, geschweige denn zurückzubezahlen, wurde von den Investoren angeboten, die so entstandenen Schulden per Verkauf der tadschikischen Anteile zu tilgen. Unerfahren in Sachen Kapitalismus willigte man von Tadschikischer Seite ein. Seither gehört das tadschikische Sarvoda nicht mehr Duschanbe, sondern den USA. Investiert wird seither nur noch in den Abbau der Rohstoffe. Die Wohngebiete der Arbeiter und den Rest der Stadt hat man den Tadschiken überlassen. “Macht damit was ihr wollt” soll es dazu lapidar geheißen haben.
Griff man von Investorenseite zu Beginn noch auf die lokalen Eliten zurück, so wurden diese nach einiger Zeit einer nach dem anderen aussortiert. “Man benötigt jetzt nur noch Arbeiter, die stumpf ausführen was die amerikanische Leitung verlangt.” Die meisten Arbeiter hatten in den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit ohnehin Sarvoda und Tadschikistan verlassen. Jetzt leben in Sarvoda etwa 4000 Tadschiken. 1000 von ihnen arbeiten in den Schächten und Gruben. Zwischen 20 und 120 Dollar im Monat können sie so verdienen. Die geförderten Rohstoffe werden außer Landes gebracht. Die armen Arbeiter sind froh, dass sie überhaupt ein Einkommen haben. Aber einige derer, die hier schon zu Sowjetzeiten in höheren Positionen gearbeitet haben, wissen genau, was gespielt wird. Der Zorn, die Enttäuschung und die Frustration die diese neue Art der Kooperation hervorruft, sind nur unschwer hinter der höflichen und zurückhaltenden Fassade den Gästen gegenüber zu erkennen.
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