Opposition wird in Tadschikistan nicht geduldet. Nachdem in den letzten Jahren immer wieder ehemalige Verbündete und Gegner aus Bürgerkriegszeiten durch das in Duschanbe herrschende Regime Emomali Rahmons verhaftet, bedroht, zu langen Freiheitsstrafen verurteilt, militärisch bekämpft oder unter ungeklärten Umstanden ums Leben gekommen sind, spitzt sich seit einigen Wochen die politische Lage im Land weiter zu. Seit den Parlamentswahlen im März gerät die Partei der Islamischen Wiedergeburt (PIW) und damit die letzte im Land verbliebene Oppositionspartei und deren Mitglieder immer weiter unter Druck.
Bei den wieder einmal als “nicht frei und gefälscht” bezeichneten Wahlen im März hatte die PIW auch die letzten beiden, ihnen als demokratisches Feigenblatt zugestandenen Sitze im Parlament abgeben müssen. Anschließend wurden von staatlicher Seite weitere Schritte unternommen, die Oppositionspartei zu schwächen und ihr den offiziellen Status als politische Partei ganz abzusprechen. So wurde angeblich landesweit der Druck auf Parteimitglieder der PIW erhöht und ihnen angedroht ihre Anstellungen zu verlieren, sollten sie ihre Parteimitgliedschaft nicht niederlegen. Nach vermeldeten Massenaustritten stellten die Behörden fest, dass in der Folge die gesetzlich geforderte landesweite Mitgliedschaft nicht mehr gewährleistet war und man daher überlege, der Partei die Lizenz zu entziehen. Um im tadschikischen Staat Karriere zu machen oder einfach nur in Ruhe seiner Beschäftigung nachzugehen – als Lehrer, Dozent oder Staatsbediensteter – ist es schon seit längerem von Vorteil, wenn man einen Mitgliedsausweis der Volksdemokratischen Partei Tadschikistans – der Partei des amtierenden Präsidenten – vorweisen kann.
Im Juni 2015 verkündete dann der Vorsitzende der PIW, Muhiddin Kabiri, nach einem Auslandsaufenthalt nicht mehr nach Tadschikistan zurückzukehren, nachdem Gerüchte über seine bevorstehende Verhaftung laut wurden. Er befindet sich seither im “selbstgewählten” Exil. Einen Monat später wurde Dschaloluddin Mahmudov, ein Führungsmitglied der PIW von einem Gericht in Hisor aufgrund von illegalem Waffenbesitz und Waffenhandel zu fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Auch alle weiteren Zeichen deuteten darauf hin, dass die Regierung in Duschanbe nun bereit war, die PIW von der politischen Landkarte Tadschikistans zu beseitigen.
Dieses Schicksal ereilte zuvor auch einige neu gegründete Oppositionsgruppen. Wer noch eines Beweises bedurfte, um zu verstehen, wie weit man dafür zu gehen bereit war, bekam ihn am 5. März 2015 mit der Ermordung von Umarali Quvvatov, dem Chef der im Exil gegründeten Oppositionsbewegung Gruppe 24, auf offener Straße in Istanbul.
Bereits im Dezember 2013 war Said Saidov, wie Umarali Quvvatov erfolgreicher Geschäftsmann und Gründer der oppositionellen Partei Neues Tadschikistan, vom Obersten Gericht Tadschikistans zu 26 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Am 11. August 2015 erhöhte das Gericht die Freiheitsstrafe für Said Saidov um drei auf 29 Jahre.
Am vorvergangenen Freitag (04.09.2015) überschlugen sich dann die Ereignisse. Nach einem Überfall auf einen Militärstützpunkt in Duschanbe, bei dem größere Mengen an Waffen erbeutet wurden, kamen laut Behördenangaben bei einer Schießerei an einer Straßenkontrolle im Stadtzentrum von Duschanbe acht Polizisten und neun Angreifer ums Leben. Auch in Wahdat, nur wenige Kilometer östlich der Hauptstadt, soll es bei einem bewaffneten Überfall auf ein Polizeiquartier zu Toten gekommen sein. Der Hauptschuldige für diese, vom Innenministerium als “Umsturzversuch” bezeichneten Vorfälle war schnell gefunden: hinter dem versuchten “Staatsstreich” stehe der bisherige stellvertretende Verteidigungsminister, General Abduhalim Nazarzoda, dessen Entlassung am Vortag der gewaltsamen Ereignisse beschlossen worden sei.
Sofort wurden auch dessen Verbindung zur PIW und zu Muhiddin Kabiri von Regierungsseite in Umlauf gebracht. Kabiri streitet ab, dass der ehemalige Kommandant der Vereinigten Tadschikischen Opposition – bekannter unter seinem Kampfnamen Haji Halim – Mitglied der PIW gewesen sei. Auch internationale Beobachter bezweifeln eine Verbindung Muhiddin Kabiris oder der PIW mit den Vorfällen am 04. September.
Diese wurden von der Regierung Tadschikistans umgehend politisch genutzt. In einer Verhaftungswelle wurden in den vergangenen zwei Wochen mindestens 70 Personen (meist Angehörige der PIW) verhaftet. Die Partei der Islamischen Wiedergeburt wurde in der Zwischenzeit verboten. Nun gilt offiziell Muhiddin Kabiri als Drahtzieher hinter den Drahtziehern. Dieser Kabiri bestreitet die Vorwürfe, die ihn oder seine Partei mit den Ereignissen am und seit dem 04. September in Tadschikistan in Verbindung bringen. (Übrigens: am 18.08.2015 verurteilte ein Gericht in Duschanbe den Journalisten und Herausgeber der Online-Zeitung Faraj.tj(siehe link oben), Amindschon Gulmurodzoda, zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe. Ein Grund wird nicht angegeben.)
Was Haji Halim und seine Anhänger zu ihrer Aktion getrieben hat ist unklar. Der ehemalige stellvertretende Verteidigungsminister und erfolgreiche Geschäftsmann – angeblich hatte er unter anderem seine Position genutzt, um von Waffengeschäften mit Afghanistan zu profitieren – wird wohl nicht mehr in Erfahrung gebracht werden. Nach offiziellen Angaben aus Duschanbe wurden Abduhalim Nazarzoda und einige Mitstreiter nach ihrer Flucht von Spezialkräften im Romittal aufgespürt und getötet. Gerüchte in Duschanbe bringen neben der angekündigten Entlassung (und der damit zu erwartenden Verhaftung und Verurteilung Nazarzodas) weitere Provokationen Nazarzodas mit dessen “Harakiri-Aktion” in Verbindung – auszuschließen ist all dies nicht. Am 04. September schnappte demnach die staatliche Falle – Nazarzodas Ende war besiegelt und der Anlass gegeben, weitere Köpfe rollen zu lassen…
Es bleibt abzuwarten, ob diese radikale und unversöhnliche Strategie der tadschikischen Regierung auf Dauer aufgeht: Machtsicherung durch die konsequente schrittweise Ausschaltung jedweder Opposition. Alle Mittel dazu scheinen den Herrschenden in Duschanbe dazu recht zu sein. Willkommen in der Diktatur.
Der Autor ist der Redaktion bekannt.
Dankeschön für das genaue Lesen. Vahdat und Wahdat sind selbstverständlich ein und dasselbe. Die betreffende Passage wurde überarbeitet. Btw: Es gibt ja auch noch andere Optionen und Reaktionen als militärische. Eine klare Linie im Umgang mit den politischen Eliten wäre da schon einiges wert. Um diese wurde von einigen politischen Akteuren aus Tadschikistan schon oftmals gebeten. Bisher fährt man doch eine recht doppelzüngige “Strategie” in Zentralasien – oder man ignoriert was nicht den eigenen Interessen dient.
Heute wurde nun offiziell bestätigt, dass die Partei der Islamischen Wiedergeburt (PIW) in Tadschikistan von den staatlichen Behörden verboten und ab jetzt als terroristische Gruppierung eingestuft wird.
http://news.tj/ru/node/215519
Im Windschatten der internationalen Krisen macht man jetzt in Tadschikistan “reinen Tisch”. Auf eine Reaktion der westlichen (demoratischen) Staaten wartet man vergeblich.
Wie sollen die westlichen Staaten denn reagieren? Wie in Libyen?
By the way: War der Autor, der der Redaktion bekannt ist, mal in Tadschikistan? Die erwähnten Orte Wahdat und Vahdat sind nämlich identisch.