Wie stabil ist Tadschikistan? Das politische Erbe des Bürgerkrieges und die Machtkämpfe der Eliten

Ein Beitrag von Tim Epkenhans (Freiburg) 

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Der Bürgerkrieg in Tadschikistan hat auch zwölf Jahre nach seinem Ende noch Auswirkungen auf die politischen Vorgänge im Land. Der autoritär regierende Präsident Rachmon präsentiert sich – immer weniger erfolgreich – als Stabilitätsgarant und (inzwischen auch alleiniger) Friedensstifter von damals. Politische Gegner und ehemalige Partner werden ausgeschaltet. Der vorliegende Beitrag zieht die machtpolitischen Entwicklungen der letzten Jahre nach und stellt die Frage nach den Perspektiven des Staates wie der derzeitigen Politik der Eliten.

Als Anfang Oktober eine Vertreterin der tadschikischen Zivilgesellschaft im Rahmen einer Tadschikistan-Konferenz bemerkte, dass Tadschikistan nach wie vor das liberalste und stabilste der »persophonen« Staaten (neben Afghanistan und Iran) sei, zeigten sich zahlreiche Zuhörer überrascht, widerspricht diese Einschätzung doch der verbreiteten Auffassung, dass Tadschikistan der fragilste und instabilste Staat der Großregion sei. Insbesondere Berichte der International Crisis Group unterstellen regelmäßig, dass sich das zentralasiatische Land unmittelbar am Rande eines Staatszerfalls befände.

Offenbar greift diese Analyse der vermeintlichen Fragilität und Instabilität Tadschikistans aber zu kurz. Trotz gravierender sozialer, wirtschaftlicher und politischer Probleme konnte sich das Regime Emomali Rachmons in den vergangenen Jahren behaupten und seine Position festigen. Diese Konsolidierung erfolgte insbesondere durch Ausschaltung ehemaliger Alliierter und Rivalen, die Monopolisierung der politischen Deutungshoheit sowie eine – für das Regime – vorteilhafte geopolitische und wirtschaftliche Gesamtsituation. Die zunehmende Stabilität des Regimes schuf jedoch keineswegs Rahmenbedingungen für eine politische Transformation Tadschikistans nach einem liberal-demokratischen Muster, sondern verfestigte autokratisch-patriarchalische Herrschaftsmuster. Diese erwiesen sich als weitaus flexibler und belastbarer, als Beobachter erwartet haben. Die wirtschaftliche und politische Marginalisierung weiter Teile der Bevölkerung sowie das exklusive Verständnis von Stabilität und Sicherheit seitens der herrschenden Elite sind jedoch mittel- und langfristig Faktoren, die Tadschikistans Zukunft negativ bestimmen werden.

Konsolidierung des Rachmon-Regimes
Präsident Rachmon verdankt seine heutige Position einer Gruppe von Feldkommandeuren aus dem Gebiet Kulob (im Südosten Tadschikistans), die ihn 1992 zum Sprecher des Obersten Sowjets machten, nicht als primus inter pares, sondern als Kompromisskandidat, der über keine eigene Hausmacht verfügte. Doch gelang es Rachmon, die verschiedenen Fraktionen innerhalb des Regierungslagers gegeneinander auszuspielen und sich 1994 in manipulierten Wahlen zum Präsidenten wählen zu lassen. Dabei ist anzumerken, dass weder die Regierung noch die Opposition während des Bürgerkrieges homogene politische Gruppierungen darstellten. Vielmehr handelte es sich um heterogene Solidaritätsgruppen, die sich um einen charismatischen Feldkommandeur mit einem spezifischen regionalen Hintergrund gebildet hatten. Die Dynamik des tadschikischen Bürgerkrieges ergab sich insbesondere durch einen ausgeprägten Regionalismus (tadsch. mahalgeroi) sowie Konflikten über die Kontrolle der ökonomischen Ressourcen und vage politische Ordnungsvorstellungen. Ein Großteil der Feldkommandeure in beiden Lagern rekrutierte sich entweder aus den sowjetischen Sicherheitsstrukturen oder aus regionalen Gruppierungen der organisierten Kriminalität. Einer der zentralen Kommandeure der Regierungsallianz, Sangak Safarow (der Rachmon in sein Amt verholfen hatte), verbrachte 23 Jahre in sowjetischen Straflagern für eine Reihe nicht politisch motivierter Straftaten.
Der tadschikische Bürgerkrieg wird gelegentlich nicht nur als regionalistischer, sondern auch als säkular-religiöser Konflikt beschrieben. Dies insbesondere, da die Opposition sich um die Partei der islamischen Wiedergeburt (PIW) konstituierte und führende Kader der militanten Islamischen Bewegung Usbekistans (IMU), etwa Jumaboy Hojijew »Namangani«, auf Seiten oppositioneller Einheiten kämpften. Der Rückgriff auf »Islam« und vermeintlich »islamische« Traditionen erfolgte allerdings in beiden Lagern zur Mobilisierung von Anhängern. Auch nicht alle Feldkommandeure der Opposition verfolgten eine dezidiert »islamische« Agenda, sondern zumeist eigennützige Interessen, die häufig mit denen regionaler krimineller Netzwerke kongruent waren. Die Einbeziehung »islamischer« – also religiöser – Werte und Normen seitens krimineller Strukturen kann in einem regionalen Kontext legitimitätsstiftend sein, ist allerdings weder etwas spezifisch Tadschikisches noch Islamisches (hier sei nur an die Cosa Nostra erinnert). Auch der Kern der IMU, die Gruppierung Adolat (»Gerechtigkeit«), war zunächst eine lokale Vereinigung junger, marginalisierter Männer, die sich zwar in Anlehnung an traditionelle »Männerbünde« (usb. javanmardi) »islamisch« inszenierten, tatsächlich aber Strukturen organisierter Kriminalität ausbildeten bzw. übernahmen.

Die spezifische Dynamik des Bürgerkrieges bedingte, dass Loyalitäten selbst innerhalb lokaler Solidaritätsgruppen keineswegs stabil waren, sondern durch konkrete materielle Anreize verändert werden konnten. Das Friedensabkommen von 1997 folgte weitgehend dieser Logik:
Anstelle der Etablierung formeller (unpersönlicher) Herrschaftsstrukturen erfolgte die Übernahme der personengebundenen (fluiden) Loyalitätsbindungen. Die im Friedensabkommen vereinbarte Demobilisierung bzw. Integration der oppositionellen Einheiten in reguläre tadschikische Sicherheitsstrukturen ist für diese Entwicklung paradigmatisch. Da sich sowohl regierungsnahe als auch oppositionelle Feldkommandeure während der Friedensverhandlungen weigerten, ihre – zumeist durch regionale Herkunft und gemeinsame Erfahrungen – loyalen Verbände einem übergeordneten Kommando zu unterstellen, entstanden nach 1997 mit Billigung der Regierung eine Reihe autonomer militärischer wie paramilitärischer Strukturen. So verfügte beispielsweise das Katastrophenschutzministerium unter der Leitung eines ehemaligen Kommandanten der Vereinigten Tadschikischen Opposition (VTO) und Vertreters der PIW, Mirso Sijojew, bis 2006 über einen paramilitärischen Verband, der sich überwiegend aus Angehörigen seiner Bürgerkriegsmiliz rekrutierte. Ähnliche Muster sind für die ehemalige Präsidialgarde zu konstatieren, die sich aus Kombattanten der Einheit des früheren Rachmon-Verbündeten Ghaffur Mirsojew zusammensetzte. Formelle politische oder administrative Ämter sowie die daraus resultierende Kontrolle über weiterhin personalisierte bewaffnete Einheiten erlaubten nach 1997 ehemaligen oppositionellen wie regierungsnahen Feldkommandeuren den Zugriff auf die wirtschaftlichen Ressourcen Tadschikistans. Präsident Rachmon und die präsidiale Administration agierten zunächst vor allem als Vermittler. Auch illegale Aktivitäten – insbesondere der Drogentransit – werden nach Berichten vieler Beobachter unter den rivalisierenden Gruppierungen aufgeteilt. Eine Bevorzugung der regionalen Herkunft (insbesondere aus dem Gebiet Kulob) in diesem Aufteilungsprozess ist zwar evident, betrachtet man aber die interne Dynamik dieser regionalen Elite – insbesondere die Abwesenheit von Kontinuität – ist zu konstatieren, dass die Entscheidungsprozesse innerhalb der präsidialen Verwaltung nicht aufgrund der Antizipation von permanenten Loyalitätsbindungen (etwa »Clanstrukturen«) erfolgte, sondern durch situative Abwägung (materieller) Vor- und Nachteile. Letztendlich waren es bezeichnenderweise Vertreter der Kulobi-Elite – also vormalige Verbündete – die in den vergangenen Jahren an Einfluss verloren.

Selbst wenn das Konzept »Clan« in Tadschikistan auf den kleinsten Nenner – die Familie – reduziert wird, begründet dies keinesfalls kategorische Loyalitäten, wie Auseinandersetzungen zwischen den Töchtern, dem Sohn und dem Schwager Rachmons zeigen. Der Rollenwechsel Rachmons vom Vermittler wider Willen zum autoritären Präsidenten post-sowjetischer Prägung erfolgte allmählich seit 2002. Der Beginn der »Enduring Freedom« Kampagne in Afghanistan, Russlands »Rückkehr« nach Zentralasien sowie Chinas Debüt in der Region wertete die geopolitische Position Tadschikistans auf und erlaubte Rachmon gegen seine Rivalen vorzugehen. Ehemalige Alliierte – etwa der Kommandant der Präsidialgarde Mirsojew – wurden seit 2004 ausgeschaltet, die PIW marginalisiert, kritische Medien sowie die fragile Zivilgesellschaft – soweit sie sich nicht kooptieren ließen – massiv eingeschüchtert.
Auch der Diskurs über den Bürgerkrieg veränderte sich grundlegend, wie sich bei den Feierlichkeiten anlässlich des 10. Jahrestages des Friedensabkommens im Juni 2007 zeigte. Während zunächst die Parole des »Friedens ohne Sieger« galt, inszeniert sich Rachmon mittlerweile als der eigentliche Sieger des Bürgerkrieges. Konziliante Politiker des Regierungslagers, die den Friedensprozess mit gestaltet und auf einen Kompromiss hingewirkt hatten, wurden ausmanövriert. Internationale Organisationen, die den Friedensprozess begleitet hatten – vor allem die OSZE und die Vereinten Nationen – reagierten nach 2001 gegenüber den Wünschen der Regierung weitgehend fügsam, sie verzichteten entweder gänzlich auf ein substantielles Engagement (OSZE) oder stellten ihre Aktivitäten weitgehend unter die Kuratel der Regierung (UNTOP).

Verlust der Kontrolle oder Resistenz?
Seit 2007 verstärkt sich der Eindruck, dass die Situation in Tadschikistan unübersichtlicher wird und die Autorität Rachmons zunehmend unterminiert wird. Eine Reihe grotesker Korruptionsskandale, in die u. a. die Nationalbank und das Aluminiumwerk in Tursunsoda involviert waren, erlangten eine für tadschikische Verhältnisse ungewöhnlich große Publizität. Sie zeigten die unverhohlene Bereicherung der Elite und beschädigten das Image Rachmons nachhaltig. Die politische Entwicklung spitzte sich durch einen außergewöhnlich kalten Winter 2007/2008 zu, der die tadschikische Bevölkerung an den Rand einer humanitären Katastrophe brachte und die eklatante Inkompetenz der Administration offenbarte. Zwar kam es zu lokal begrenzten Protesten, aber die geringe Vernetzung zivilgesellschaftlicher Strukturen und rigide Medienzensur verhinderten ein Ausgreifen der Proteste. Vor allem aber entschärfte die massive Arbeitsmigration überwiegend männlicher Tadschiken die Situation: Nach unterschiedlichen inoffiziellen Schätzungen arbeiten zwischen 1 und 1,5 Mio. Tadschiken in der Russischen Föderation. Beobachter prognostizieren seit etwa einem Jahr, dass die Arbeitsmigration als soziales »Ventil« infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise zunehmend ausfallen könnte. Allerdings haben sich die ungünstigsten Szenarien bislang nicht eingestellt. Zwar ist das Volumen der Geldüberweisungen
nach Tadschikistan eingebrochen, die massive Rückkehr von Arbeitsmigranten ist jedoch ausgeblieben bzw. weniger problematisch verlaufen als befürchtet, da lokale soziale Netzwerke offensichtlich regulierend und kontrollierend wirken.

Parallel zu diesen Entwicklungen scheinen zentrifugale Kräfte in den Regionen die Autorität der Regierung über die östlichen Landesteile, die Autonome Provinz Berg-Badachschan (GBAO) sowie das Garmtal, in Frage zu stellen. Insbesondere letzteres gehört zu den politisch und wirtschaftlich marginalisierten Regionen, die nur unzureichend in die administrativen und politischen Strukturen der Sowjetrepublik Tadschikistan integriert waren und in der regionale Identitätsmuster sich verstärkt an islamischen Normen ausrichteten. Als Heimatregion zahlreicher Führungskader der PIW war das Garmtal im Bürgerkrieg schwer umkämpft. Ein Wiederaufbau der zerstörten Dörfer und Infrastruktur nach 1997 blieb weitgehend aus. Im Rahmen der Integration der Oppositionsstreitkräfte in die regulären Sicherheitsstrukturen wurden im Garmtal weitgehend Realitäten anerkannt, d. h. lokale Kommandeure der VTO avancierten nun zu offiziellen Sicherheitsorganen, wenn auch nicht unbedingt unter staatlicher Kontrolle.

Im Februar 2008 versuchte – so zumindest eine Version der Ereignisse – ein OMON-Sondereinsatzkommando einen mittlerweile den offiziellen Sicherheitskräften der Region angehörenden ehemaligen lokalen Kommandeur der Opposition, Mirso-chodja Achmedow, zu verhaften. Angeblich – so kolportierten Gerüchte – führte Achmedow einen zu geringen Teil der Kontrabande der Region an seine »Vorgesetzen« in Duschanbe ab. Während ähnliche Interventionen zuvor ohne Gewalt verlaufen waren, widersetzte sich Achmedow der Festnahme, wobei der kommandierende Offizier des Sondereinsatzkommandos erschossen wurde. Die Überraschung bestand jedoch für Beobachter in der Reaktion der Regierung, die für Monate schlichtweg nichts unternahm. Im Oktober 2008 kam es schließlich zu einem Treffen zwischen Rachmon und Achmedow, der kurze Zeit später zwar von seinen offiziellen Funktionen zurücktrat, aber rechtlich nicht belangt wurde.

Dschihadisten oder Kriminelle?
Die Gründe für die zögerliche staatliche Reaktion mögen durch verschiedene Erwägungen bedingt sein: Das Garmtal gilt als Hochburg der Opposition und ist auch aus geographischer Sicht – eine zerklüftete Gebirgslandschaft – ein problematisches militärisches Terrain. Auch schien Achmedow isoliert gehandelt zu haben und keine weiteren Ambitionen zu verfolgen. Die
Situation änderte sich jedoch im Frühsommer 2009, als ein ehemaliger Feldkommandeur der Opposition, Mullo Abdullo, nach Jahren des Exils nach Tadschikistan zurückkehrte. »Mullo« Abdullo Rachimow gehörte zu einer Reihe von oppositionellen Feldkommandeuren, die das Friedensabkommen 1997 nicht anerkannt und sich nach Afghanistan abgesetzt hatten. Ähnlich wie Rachmon »Hitler« Sanginows Gruppe, die 2001 von Regierungstruppen gestellt und aufgerieben wurde, verfolgten Mullo Abdullo und seine Anhänger keineswegs eine »islamische« Agenda, sondern entsprachen eher profanen Straßenräubern. Ob Mullo Abdullo sich – wie Teile der IMU – 2000 der al-Qa’ida um Osama Bin Laden anschloss, ist nicht zu eruieren. Allerdings suchte er nach 2001 mit anderen ausländischen Kämpfern Zuflucht in den paschtunischen Stammesgebieten im pakistanischen Swattal. Die Offensive der pakistanischen Armee seit Mai 2009, die sich insbesondere gegen »ausländische (in den pakistanischen Medien häufig als »Usbeken« bezeichnete) Taliban« richtete, veranlasste Mullo Abdullo diesen Rückzugsraum zu verlassen und nach Tadschikistan zurückzukehren. Laut Angaben der kirgisischen, tadschikischen und usbekischen Sicherheitskräfte ist die Rückkehr Mullo Abdullos kein Einzelfall. Seit einigen Monaten scheint es regelmäßig zu Grenzzwischenfällen zu kommen, für die zurückkehrende IMU-Mitglieder verantwortlich sein sollen.
Jedoch zeichnen sich zentralasiatische Sicherheitskräfte weder durch Transparenz aus, noch unterstehen sie einer demokratisch legitimierten Kontrolle. Zudem haben die Führungen der zentralasiatischen Republiken in den vergangenen Jahren reflexartig auf den »Krieg gegen den Terrorismus« verwiesen und unter diesem Vorwand jede Form der Opposition zu einem Ausdruck islamischer Militanz erklärt. Diese Strategie hat nicht nur das Konfliktpotential in der Region erhöht, sondern auch die ohnehin geringe Glaubwürdigkeit der Sicherheitskräfte unterminiert.
Im Frühsommer 2009 begannen tadschikische Sicherheitskräfte eine großangelegte Operation im Garmtal und den östlichen Regionen des Landes. Die Operation »Mohn (tadsch. kuknor) 2009« galt zwar offiziell der Unterbindung des Drogenhandels, offensichtlich bestand jedoch ein Zusammenhang mit Achmedow und Mullo Abdullo. Letztendlich war es aber ein weitaus prominenterer ehemaliger Feldkommandeur, der dieser Operation zum Opfer fiel: Mirso Sijojew, der sich laut offiziellen Verlautbarungen einer Gruppe von IMU-Kämpfern angeschlossen hatte. Am 11. Juli 2009 wurde er angeblich von seinen eigenen Männern erschossen, als er im Begriff war, Regierungstruppen ein Waffendepot zu zeigen.

Generalleutnant Mirso »Djaga« Sijojew, ehemaliger Feldkommandeur der Opposition und von 1999 bis 2006 Minister für Katastrophenschutz, verfolgte – obwohl Mitglied der PIW (die nach seinem Ableben in ihrer Parteizeitung Najot lakonisch titelte: »Mirso kam für den Frieden und er ging für den Frieden«) – nur vage ideologische Ziele. »Islam« spielte vor allem eine habituelle Rolle. Sein Beiname »Djaga« war beispielsweise keinesfalls einer islamischen Tradition entlehnt, sondern indischen Bollywood-Filmen und seine dem Katastrophenschutzministerium unterstellten paramilitärischen Verbände waren vor allem für ihre illegalen Aktivitäten berüchtigt. Sijojew war 2006 als einer der letzten zentralen Oppositionspolitiker entmachtet worden, sein Ministerium wurde ohne Widerstände aufgelöst und ein Teil der paramilitärischen Truppen anderen Einheiten zugeordnet. Über die Beweggründe Sijojews, sich einer militanten Gruppierung anzuschließen, lässt sich nur spekulieren. Vermutlich spielten seine Entlassung 2006, eine nostalgische Verklärung der Jahre des Bürgerkrieges und die zunehmend exklusive Interpretation des Bürgerkrieges durch die Regierung Rachmons eine wichtige Rolle. Allerdings ist ebenfalls zu vermuten, dass er die Entschlossenheit der Regierung in dieser Situation unterschätzt bzw. seine Fähigkeiten zur Mobilisierung der eigenen Anhänger überschätzt hatte.

Die unübersichtliche und unbeständige Situation in Tadschikistan hat Beobachter verleitet, einen Staatszerfall zu prognostizieren oder zumindest eine weitreichende Destabilisierung mit gravierenden, insbesondere sicherheitsrelevanten Konsequenzen für die Nachbarländer. In der Tat ist Tadschikistan kein Staat inklusiver Stabilität, die durch transparente Konsensbildung, Interessenausgleich oder Inklusion gesellschaftlicher Gruppen in einem rechtsstaatlichen Rahmen begründet wird, wie es idealtypisch von einem liberal-demokratischen Staat erwartet wird. Die Eliten Tadschikistans verfolgen derzeit eine Strategie der exklusiven Stabilität, die sich als ausgesprochen flexibel und resistenter erwiesen hat. Während diese Strategie kurzfristig relativ erfolgreich zu sein scheint, besteht mittel- und langfristig die Gefahr, dass sich die bestehenden Vorstellungen eines failed state Tadschikistan bewahrheiten könnten.

Über den Autor:
Dr. Tim Epkenhans ist Juniorprofessor für Islamwissenschaft/Iranistik an der Albrecht-Ludwigs-Universität Freiburg. Zuvor arbeitete er für das Auswärtige Amt und die OSZE in Tadschikistan und Kirgistan. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die neuzeitliche Geschichte Zentralasiens und Irans, derzeit arbeitet er an einem Oral-History Projekt zu den Ursachen und Folgen des tadschikischen Bürgerkrieges.

Lesetipps:
Lola Olimova, Nargiz Hamrabaeva, Taming Tajikistans Eastern Valleys, IWPR RCA No 584, 23 July 2009.
John Heathershaw, Post-Conflict Tajikistan. The politics of peacebuilding and the emergence of legitimate order, London 2009.
Kirill Nourzhanov, Saviours of the nation or robber barons? Warlord politics in Tajikistan, Central Asia Survey (June 2005) 24(2), S.109-130.

Dieser Beitrag von Tim Epkenhans (Freiburg) erschien zuerst in den ZENTRALASIEN-ANALYSEN 23/2009. al-QaâidaWir bedanken uns beim Autor und der Redaktion der Zentralasienanalysen für die Erlaubnis, diesen Text erneut zu publizieren.
Warum wir das tun? Weil er wirklich gut ist und eine breitere Aufmerksamkeit verdient!
Der Text wurde unverändert von den zentralasien-analysen übernommen. Alle textinternen links stammen von der tethys-redaktion und sind mit dem Autor abgesprochen.

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