Unterwegs nach Khorog

Ein Beitrag von Nicole Angermann

Duschanbe-Khorog-Express

Duschanbe-Khorog-Express

Es ist Dienstagmorgen in Duschanbe. Ich sitze in der VIP Lounge des Flughafens und warte auf den Hubschrauberflug der Aga Khan Stiftung nach Khorog, der nur bei schönem Wetter fliegt. Aber das Wetter ist schlecht. Nach einem Anruf bei dem Verantwortlichen ist klar, der Flug nach Khorog ist gestrichen. Ich nehme mein Gepäck in die Hand und suche mir ein Taxi, das mich zur Haltestelle der Sammeltaxis Richtung Pamir bringt. Ein netter Taxifahrer bringt mich zu der abgelegenen und eher nach einem Schrottplatz aussehenden Haltestelle.

Menschen stehen um die Autos herum, deren Dächer mit großen Einkaufstaschen beladen werden und mit unzähligen kleinen Paketen mit Telefonnummern und der Beschriftung Khorog gepackt sind. Ich finde ein Auto mit einem jungen Fahrer. Er heißt Alim und kommt aus Ischkaschim. Alim versichert mir, dass wir bis nach Khorog direkt durchfahren, nicht übernachten und nur wenig Halt machen, im Ganzen ca. 14 Stunden. Eine Frau würde auch noch mitreisen. Sein Freund Aleksej packt die vielen Taschen und Beutel professionell anmutend ein. Neben dem Auto stehen mehrere Pamiris, die schon Sachen mitgegeben haben, unter anderem auch die Zustellerin der Parfümwaren für den Laden der Feinen Düfte in Khorog.

Bobo

Bobo

Während unser Fahrer noch einmal tankt, steigen wir schon ins Sammeltaxi ein. Unser ältester Mitfahrer ist ein Opa und so nennen ihn auch alle – Bobo. 76 Jahre alt, mit Sonnenbrille und Zigarette wird er von seinen Verwandten ins Auto gesetzt. Danach kommt Lola aus Moskau, die eine Freundin zum Jeep bringt. Tadschikische Pop-Musik läuft bereits im Auto lange bevor es angelassen wird. Die versammelte Menge um den Wagen verabschiedet uns. Die Atmosphäre ist unglaublich und die Freude über unsere Abfahrt extrem groß.

Lola ist sehr aufgedreht. Sie fährt das erste Mal seit vier Jahren wieder nach Hause in den Pamir. Dort erwartet sie ihr Sohn Alice, den sie das letzte Mal gesehen hat, als er ein Jahr alt war. Unser Auto ist vorwiegend mit ihren Taschen beladen, sie hat dem Fahrer 700 Somoni (ca. 110 Euro) für den Transport der vielen Geschenke gegeben. Dafür sind wir auch nur zu viert im Auto und genießen den Luxus der Beinfreiheit. Aber unser Fahrer fährt extrem langsam. Mit 40km/h schleichen wir zum Ortsausgang Duschanbe. Die Stimmung im Auto ist trotzdem gut, Lola tanzt und wir reden über Moskau und ihren Job im Flughafenrestaurant. Auch der Opa ist gut gelaunt und raucht entspannt seine Zigaretten. Es stellt sich heraus, dass Alim und Aleksej Studenten der Technischen Universität in Duschanbe sind. Sie erzählen mir von ihren Deutsch- und Englischkenntnissen, die aber nur sehr geringfügig sind. Bei ihrem Lehrer haben sie aber “1, 2, 3 Polizei” gelernt, das sie mir ganz stolz vorsingen.

Unsere Bummelfahrt geht weiter, dabei ist die Musikbox extrem laut. Die Strasse hinauf zum Nurek-Staudamm ist schlecht und überall gibt es Schlammlöcher und Geröll. Die Verkehrspolizei hält uns zum ersten Mal an und der Fahrer muss pro Passagier einen Somoni abdrücken. Dann hat der Fahrer Hunger. Aleksej springt aus dem Auto und kauft für uns alle ein Brot und eine übergroße Wurst, die wir gemeinsam im Auto verspeisen.

Nach sechs Stunden Fahrt halten wir hinter der Stadt Kuljab zum Abendbrot. Alle essen eine Shurpo-Suppe und trinken Tee. Draußen beginnt es in der Zwischenzeit zu schneien. Dann geht es wieder bergauf. Wir fahren zur Sicherheit in einer Dreierkolonne mit anderen Jeeps. Der Schneefall wird immer stärker und unser etwas altersmüder Jeep schafft es nicht mehr den Berg hinauf. Die anderen Fahrer helfen, doch Alim gibt auf und will umdrehen. Wir fahren zurück in die Suppenstube und übernachten dort im Hinterzimmer. Das Zimmer ist ziemlich einfach ausgestattet, drei Taptschane (erhöhte Sitz- und Liegeplattform), eine alte grüne Felldecke und ein Gebetsteppich, auf die Heizung wurde verzichtet. Der Opa fragt mit einem Lächeln auf den Lippen, ob in Deutschland die Hotels auch so aussähen.

Berge hinter Schurobod

Berge hinter Schurobod

Am nächsten Morgen geht die musikalische Fahrt weiter, in Schurobod kocht unser Kühler. Wir füllen Wasser nach und Alim bastelt ein wenig am Motor. Es ist früh am Morgen und die Kinder gehen in die Schule und die Leute auf Arbeit. Es hat erneut geschneit und der Schnee liegt meterhoch am Straßenrand. Mit Lola gehe ich in einen Laden. Wir wollen uns eine Torte kaufen, aber die ist so teuer, dass wir sie lieber liegen lassen.

Auf dem Pass gibt unser Wagen endgültig den Geist auf. Drei Jeeps halten und leisten uns Hilfe. Einer der Fahrer hat ein Rohr dabei. Damit wird der Kühler geflickt. Ungefähr 15 Leute stehen um unseren Jeep herum und auch Opa steigt aus und schaut fachmännisch zu. Ich gehe derweil mit Lola spazieren, um eine Toilette abseits der Menschenmenge zu finden. Dabei kommen uns zwei Reiter entgegen und prompt sitzen wir auf den Pferden und machen eine Fotosession.

Lola und Nicole zu Pferd

Lola und Nicole zu Pferd

Nach gut 20 Minuten ist unser Kühler geflickt und die Fahrt geht l-a-n-g-s-a-m weiter. Die Flussdurchquerung schaffen wir ohne Probleme. Der Wasserpegel ist nicht so hoch an diesem Tag. Auf einer Sandbank steckt ein Mercedes mit zwei Afghanen in traditionellen Gewändern fest. Nun sind wir dran mit Helfen. Unsere Jungs schieben ihnen das Auto aus dem Fluss. Gemeinsam erreichen unsere Autos den nächsten Rasthof. Im Sonnenschein steigen wir aus und gehen mit den Afghanen Mittag essen. Diese sind sehr aufgeschlossen, gesprächig und sprechen sehr gut Englisch. Der Grund ihres Aufenthaltes in Tadschikistan ist geschäftlich, mehr wird nicht verraten. Wir alle essen wieder Shurpo.

Nach einem kurzen Toilettengang mit Klopapier aus alten Matheheften schleichen wir weiter bergauf. Trotz allem ist die Stimmung im Auto überschwänglich und Lola tanzt wieder zu Tadschikischem Pop. Wir stellen uns darauf ein, dass wir zu Lolas Geburtstag, am 08. März wohl noch immer in diesem Jeep sitzen werden.

Als wir an der Baustelle der iranisch-afghanischen Straßenbauer ankommen, wird diese gerade geschlossen. Wir sehen einen Jeep durchfahren und auch unser Fahrer nimmt allen Mut zusammen und parkt dann wenig später mit seinem Jeep mitten in der Baustelle. Vor uns schuftet eine Planierraupe, die gerade den Berg abträgt und große Steine rollen zum Fluss hinunter. Das stört meine Mitfahrer nicht. Nur hin und wieder schauen sie nach oben, ob nicht doch ein Felsen kommt. Unser Opa wird jedoch nervös und schlägt vor, die Ausländerin solle doch ihren Deutschen Pass zeigen und wir uns als wichtige Delegation ausgeben, die man dringend in Khorog erwarten würde. Abgelehnt. Ein weiterer Vorschlag ist es, dem Fahrer der Raupe Geld anzubieten. Denn ohne Geld läuft hier nichts, meint Opa. Alim und Aleksej sind jedoch skeptisch, sie finden den Vorschlag nicht gut. Also warten wir. Opa wird echt böse, schimpft und beschwert sich, was denn nur aus Tadschikistan werden soll, wenn die junge Generation nicht handelt. Er findet die Idee mit dem Pass einfach grandios. Leider ist er nicht mehr gut zu Fuß, sonst wäre er schon längst mit meinem Pass und mir zur Planierraupe marschiert.

Alim erzählt, dass er vier Jahre in Moskau gearbeitet hat und sich von dem Geld, dieses Auto gekauft hat. Außerdem hat er noch 600 Dollar gespart, die er dann für die Aufnahme an der Technischen Universität abdrücken musste. Er ist jetzt am Ende seines Studiums und hat 5 Jahre lang Deutsch gelernt. Auf die Frage: Wie gehts? kann er aber noch nicht antworten.

Lawine auf der afghanischen Seite des Pandsch

Lawine auf der afghanischen Seite des Pandsch

Nach drei Stunden Warten geht es für die mittlerweile recht lange Autoschlange endlich weiter. Wir sind glücklicherweise, aufgrund unserer guten Position inmitten der Baustelle, eines der ersten Autos, das den Engpass durchquert. Am Abend kommen wir endlich in Kalaykhum an. Die Freude darüber ist groß und sofort telefonieren alle Mitfahrer aufgeregt mit ihren Verwandten, damit sie wissen wo auf der Strecke wir uns gerade befinden. Wir halten kurz an einem Geschäft, kaufen Wasser, Kaugummis und Zigaretten. Lola entdeckt einen riesigen Plüschleoparden zwischen Plastikblumen und kleinen Springbrunnen, den ihr Aleksej kaufen soll. Doch der hat kein Geld und so stellt sie das Prachtstück wieder traurig zurück in den Laden.

Unser Auto wird unterdessen von der Verkehrspolizei durchsucht und der Polizist bittet uns zur Überprüfung zur Tankstelle zu kommen. Es ist Abend, als wir die kleine Teestube betreten, in der uns ein Mann mit einem grünen Mantel und tadschikischen Hut sehr gastfreundlich empfängt. Er ist auch zu unserem Opa sehr freundlich. Das findet dieser natürlich sehr angenehm und lässt sich ein wenig verwöhnen, sucht sich den Tee aus und bestellt seine Lieblingsuppe – Shurpo. Die anderen Reisenden sind froh, dass es hier auch Manty-Teigtaschen mit Fleisch gibt. Um uns herum schleichen erneut drei Verkehrspolizisten und Opa ahnt schon, dass es teuer werden wird. Alim, unser Fahrer nimmt es gelassen und geht nach draußen, um die Angelegenheit finanziell zu klären.

Lola sitzt bei der Frau des Hauses und sieht zu, wie diese mit der Hand Teig ausrollt und die Manty zubereitet. Aus dem Fernseher dröhnt tadschikischer Pop. Irgendwann kommt unser Fahrer wieder und schlägt vor, jetzt Bier zu trinken. Lola wird böse und sagt, sie hätte ihrem Vater versprochen, dass sie aufpasst, das die Fahrer nichts trinken. Die Jungen Alim und Aleksej sehen es ein, aber sie wollen eine Flasche Krim-Sekt für Lolas Geburtstag kaufen, morgen ist der 8. März, aber auch das kann sie ihnen glücklicherweise ausreden.

Nach einer herzlichen Verabschiedung steigen wir im Dunkeln alle wieder in unser Auto. Dort warten schon zwei Polizisten und einer von ihnen fährt mit uns mit. Die Stimmung im Jeep ist wieder gigantisch. Die Musik dröhnt, es wird geraucht und so getan, als erreichen wir Khorog schon in einer Stunde. Der Polizist hat seine Mütze bei Opa auf das Armaturenbrett gelegt und Lola in ihrem musikalischen Tanz-Rausch macht Witze und bittet Opa die Mütze aufzusetzen. Das macht dieser natürlich sehr gern und es werden Fotos geschossen. Auch Lola darf die Mütze mal aufsetzen. Auch der Polizist hat gute Laune. Das ändert sich allerdings, als wir sein Dorf erreichen. Beim Aussteigen fordert er von unserem Fahrer Alim mit scharfem Ton dessen Schachtel Zigaretten. Die Stimmung kippt und alle im Auto schreien und regen sich auf. Aber Alim rückt seine Zigaretten nicht raus sondern drückt auf die Hupe. Der Polizist hat Angst, dass seine Familie des Nachts aufwacht und lässt irgendwann ab von Alims Tür und torkelt nach Hause. Alle im Auto sind bestürzt, wie so etwas passieren kann. Der Opa sagt immer wieder, was sind das nur für Zeiten und für Menschen, das hat keine Kultur mehr.

Wir fahren weiter und es kommt langsam das Gefühl auf, dass wir nun schneller durch die Nacht fahren, weil unser Fahrer endlich in Ischkaschim ankommen will. Aleksej schlägt vor, noch einmal zu halten und am Fluss ein wenig zu schlafen, doch Alim fährt jetzt durch. Im Landkreis Ruschan ist der Verkehr am stärksten und uns kommen sehr viele Autos entgegen. Aber zum Glück fährt Alim ja so langsam, dass wir sicher dem Gegenverkehr passieren.

Um drei Uhr früh erreichen wir Ba-Ruschan und damit das Haus von Aleksej. Er ist nun am Ziel. Seine Eltern empfangen uns sehr herzlich und machen ihre Betten für uns frei. Wir legen uns einfach unter ihre vorgewärmten Decken. Die besorgten Eltern machen uns auch noch ein Feuer. Gäste müssen es warm haben, sagt der Vater und gute Gastgeber immer wieder. Am Morgen gegen sieben Uhr erwachen wir unter unseren vielen Decken im warmgeheizten Zimmer. Der Gastgeber und seine Frau bereiten gesalzenen Milchtee – Schirtschoj zu und ein leckeres Frühstücksbrot. Mit einem Beutel getrockneter Maulbeeren für alle und nach einem Abschiedsfoto am Fluss fahren wir weiter.

Abschiedsbild mit Aleksejs Eltern

Abschiedsbild mit Aleksejs Eltern

Wir sollen wiederkommen sagt der Vater, einfach nach dem Haus von Aleksej fragen. Lola ist im Auto ein wenig betrübt, heute ist der 8. März, Internationaler Frauentag, und ihr Geburtstag und ihr Handy hat keinen Empfang. Jetzt kann niemand anrufen und ihr gratulieren. Wir fahren durch die sonnige Winterlandschaft und Opa raucht mit Alim wieder eine Zigarette. Heute werden wir Khorog und Ischkashim erreichen, soviel steht fest. Doch da ist schon die erste Lawine vor uns und wir sehen die Telefonleitung, die gerissen ist und gerade repariert wird.

Viele Jeeps stehen am Straßenrand und wir hören ein LKW sei auf der anderen Seite der Lawine umgefallen. Geduldig setzen wir uns wieder ins Auto und hören lautstarke Musik. Wir feiern Lolas Geburtstag nun tatsächlich auf der Piste. In diesem Moment geht das Telefon wieder. Die ersten Geburtstagsanrufe treffen ein. Da steigen die ersten Fahrer schon wieder in ihre Autos und wir können weiterfahren, Glück gehabt. Doch Alim ist kein übermäßig guter Fahrer und so stecken wir mit dem Jeep bereits im übernächsten Schneeloch wieder fest.

LAwinenkorridor

LAwinenkorridor

Viele Leute stehen an der Lawine und winken die Autos durch die Fahrspur. Sie rufen und schreien Alim zu, wie er fahren soll, aber er schafft es nicht. Ein anderer Fahrer steigt ein und fährt den Jeep aus dem Loch heraus. Der LKW liegt voll beladen umgekippt am Straßenrand. Wir fahren weiter und sehen auf dem Weg noch sehr viele Lawinen. Manche sind bedeckt mit braunem Schnee und teilweise sind sie sechs-sieben Meter hoch. Gegen Mittag erreichen wir schließlich doch Khorog.

Ankunft in Khorog

Ankunft in Khorog

Am Flughafen vor der Stadt geben wir noch schnell einen Brief für jemanden ab. In der Stadt verabschiede ich mich von Opa, Lola und Alim und wünsche ihnen noch eine gute Fahrt und ein schönes Leben. Ich laufe mit meinem Rucksack und meinen Basartaschen nach zwei Tagen Fahrt etwas müde aber glücklich nach Hause. Ich erinnere mich dunkel daran, dass ich die Strecke auch schon in zwölf Stunden gefahren bin.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Post Navigation