Der Niedergang der Fischereiwirtschaft am Aralsee im 20.Jhd

Fischerboot bei AralskDieser Beitrag von Michael Angermann ist ein Auszug aus einer alten Seminararbeit zur Fischereiwirtschaft am Aralsee. Beim Stöbern in einem Uniregal stieß ich unlängst zufällig auf eine Kopie dieser Arbeit. Sie erweitert unsere kleine Reihe zum Aralsee und Karakalpakstan. Alle Fußnoten und Referenzen wurden aus dem Text entfernt. Neben einigen Russischen Publikationen, bezieht sich der Autor vor allem auf Rene Letolle/Monique Mainguet: Der Aralsee eine Ökologische Katastrophe und auf eigene Beobachtungen während mehrerer Forschungs- und Arbeitsaufenthalte am Aralsee.


Süßwasserfischerei (bis 1960)

Der Aralsee, der sich auf einer Fläche von circa 65.000 Quadratkilometer ausbreitete und durchschnittlich 30 Meter tief war, wurde erstmals 1919 auf die politische Tagesordnung gesetzt. Lenin bat während des Bürgerkriegs die Fischer des Aralsees, Fisch in die vom Hunger betroffenen Gebiete zu schicken. Damals traten 14 Waggons aus Aralsk die Fahrt an. Noch heute erinnert eine Gedenktafel im Bahnhof von Aralsk (heute Aral) an diese zu Sowjetzeiten oft propagierte und gefeierte Tat der Fischer. Ungefähr zur selben Zeit erließ Lenin ein Dekret, daß Zentralasien die Unabhängigkeit der zukünftigen Sowjetunion von Baumwollimporten garantieren sollte. Staatliche Investitionen flossen von da an vorwiegend in die Baumwollindustrie, wobei die Nahrungsmittelindustrie vernachlässigt wurde. Und auch das Schicksal des viertgrößten Binnensees der Welt nahm damit seinen Lauf.

Bereits mit dem Bau der Eisenbahnstrecke Orenburg-Taschkent (1900-1905) setzte der Ausbau der Fischerei am Aralsee ein. Bei der Gründung der Siedlungen Aralsk und Kasalinsk wurde bereits über reiche Fischgründe und besonders über den Aralseestör (schip) berichtet. Im See waren etwa 20 Arten von Süßwasserfischen zu finden: Karpfen (60%), Barsche (15%), dazu Hechte, Lachse und Störe, die alle vom Menschen eingesetzt wurden. Die geringe Artenvielfalt basiert auf dem ständig schwankenden Salzgehalt während der Entwicklung des Aralsee. Bereits während der Revolution unterzeichnete Lenin einen Erlaß, der Ausgaben von 50 Millionen Goldrubel für die Bewässerung und die Förderung des Fischfangs vorsah. 1927 brach eine Expedition zum Aralsee auf, um die Möglichkeiten des Fischfanges auszuloten. Diese kam zu dem Ergebnis, daß die Produktion von “Weißfisch” von damals 4.900 Tonnen pro Jahr versechsfacht werden könnte. Weiterhin stellten die Experten fest, daß die Wachstumschancen der Fischereiwirtschaft vollkommen vom Umfang des Zuflusses aus Amu- und Syr-Darja abhängen. Muinak und Aralsk wurden zu Fischfangstätten von gesamtsowjetischer Relevanz ausgebaut.

aus dem Album des FischKonservenKombinats Muinak
Trotz des Ausbaus der Fischereiwirtschaft in den kommenden Jahren erreichten die Anlandungen des Aralsees nie 3 Prozent der sowjetischen Gesamtfangmengen. Das kaspische Meer wies im Vergleich dazu stets mehr als 25 Prozent auf. Die Jahresgesamtanlandungen stiegen von 19.200 Tonnen (1937) auf bis zu 48.000 Tonnen (1957), davon stammen 41.000 Tonnen aus dem See und 7.000 Tonnen aus dem Delta von Amu- und Syr-Darja. Dabei entfielen auf den Nordteil des Aralsees circa 30 Prozent der Anlandungen.

Die Fischerei stellte die Hauptbeschäftigung in der gesamten Aralregion dar. Weitere Einnahmequellen waren Viehwirtschaft, Jagd und Pelztierzucht. Die Schiffswerften von Aralsk, Muinak und Karateren wurden von Rußland aus beliefert. Anfang der 1960er Jahre gab es 19 Fischkooperativen am kleinen Aralsee, gefischt wurde von großen Schiffen aus und der Fang ging in die Fischfabriken von AralRybProm in Aralsk, Muinak und Akbasty und Karateren. Allein die Konservenfabrik Muinak, die im Jahre 1940 noch 10.000 Dosen Fisch produzierte, stellte 1958 über 21 Millionen Fischdosen her. Muinak unterstand auch nicht der Uzbekischen Sowjetrepublik, sondern wurde direkt von Moskau aus verwaltet.
Aus dem Album des Fischkonservenkombinats MuinakKonserven - aus dem Album des Fischkonservenkombinats in Muinak

Niedergang der Süßwasserfischerei und Stillstand (1960-1991)

Mit der Intensivierung der Landwirtschaft für den Baumwoll- und Gertreideanbau Anfang der 1960er Jahre und in Folge mehrerer regenarmer Jahre wird das natürliche Wasserökosystem gestört. Der Zufluß in den Aralsee fiel stetig von 56 Kubikmetern im Jahre 1960 auf 6 Kubikmeter im Jahre 1990. Im Ariden Klima Zentralasiens konnte der minimierte Zufluss die Verdunstung nicht mehr ausgleichen. Damit fiel der Wasserspiegel unaufhaltsam.

Die offiziellen sowjetischen Erklärungen lauteten, daß es zwar für die Fischereiwirtschaft von Interesse sei, den Wasserstand zu halten, daß jedoch die Agrarwirtschaft mit einem hundert mal höheren Produktionsvolumen Vorrang habe. Weiterhin wird propagiert, daß durch die Absenkung des Wasserstandes neues Ackerland gewonnen werden kann und das die derzeitigen Schwankungen auf Sonnenaktivitäten zurückzuführen sind. Darin bestand die sogenannte “Dynamik des Aralsees”.

Die überproportionalen Be- und Entwässerungsanlagen und das damit verbundene giftige Entwässerungswasser verschmutzten den See und die Deltas von Amu- und Syr-Darja; hinzu kam die Überfischung und die Versalzung der Gewässer.

Noch 1964 stammten 10 Prozent des sowjetischen Kaviars aus dem Aralsee. Als 1967 jedoch der Salzgehalt auf 14 Gramm pro Liter anstieg, ging der Ertrag bei Kaviar erstmals merklich zurück, und Anfang der 1970er Jahre, als der Salzgehalt auf der offenen See auf 15-16 Gramm pro Liter betrug, fand praktisch keine Vermehrung mehr statt und ein Überleben des Aralseestör (schip) und aller anderen Süßwasserfischarten war nun nur noch in den Deltaseen möglich.

In sogenannten Anpassungsmaßnahmen werden Ende der 1960er Jahre vom Kasachischen Forschungsinstitut für Fischereiwirtschaft kaspische Kaulköpfe und Störe, Lachse sowie verschiedene Flunderarten, unter anderem die Schwarzmeerflunder auch Asowsche Flunder genannt, ausgesetzt. Letztere begann sich als einzige zu vermehren. Der Karpfen und die Brasse verloren dadurch teilweise ihre Nahrungsgrundlage, wodurch die Fangquoten zurückgingen. Der Zander, der sich als Raubfisch von anderen Fischen ernährt, gewann dagegen eine neue Nahrungsquelle hinzu.

Muinak - die ehemalige Hafenstadt Loy 2009
Weiterhin wurde Anfang der 1970er Jahre im Gebiet Muinak versucht, mit dem Bau von Dämmen und künstlichen Seen (Sary-Kamysch und Ajdarköl) Fischbestände anzusiedeln. Die jährlichen 2.000 Tonnen Anlandungen fielen jedoch sehr bescheiden aus. Der Fünfjahresplan von 1971-75 sah große Investitionen in die Fischereiwirtschaft des Kaspischen und Asowschen Meeres vor, während der Aralsee zunehmend vernachlässigt wurde, da dort die Amortisationsraten von Investitionen weitaus niedriger ausfielen.
1975 wurde das großflächige Fischen auf dem kleinen Aralsee eingestellt, die Süsswasserfischerei brachte aufgrund des hohen Salzgehaltes nichts mehr ein, Aralsk verwandelte sich in eine Hafenstadt ohne Hafen. Die Fischer auf den Inseln Kökaral, Ujali und Wosroshdenija verließen schnell ihre Dörfer. Um den See herum verschwanden ganze Dörfer über Nacht durch das schnelle Voranschreiten der klimatischen Veränderungen, was unter anderem häufige Sand- und Salzstürme zur Folge hatte.

Noch im gleichen Jahr startete der kasachische Vizeminister für Fischereiwirtschaft, Tairov ein Hilfsprogramm. Tausende von Fischerfamilien wurden an die Balchasch-, Kapchagay-, Ala- oder Sasykköl-Seen umgesiedelt. Diese Seen liegen alle über 1000 Kilometer vom Aralsee entfernt. Andere zogen ans Kaspische Meer. Die Hälfte der ungefähr 30.000 Fischer siedelten gezwungenermaßen in Sowchosen am Syr-Darja um und verdienten sich ihr Lebenseinkommen an den Deltaseen. Obwohl sich dort die Artenvielfalt des Aralsees gehalten hat, führt die zunehmende Verschmutzung und die Überfischung zu rückläufigen Fangerträgen. Die Region wird zu einer “ökologischen Zone” erklärt, das heißt, daß dort ein Bonus wegen schlechter Lebensbedingungen auf die Gehälter und Renten gezahlt wurde. Spätestens seit dieser Zeit hat die Region ihre relative Unabhängigkeit auf wirtschaftlicher Ebene verloren und ist seitdem auf ständige Hilfe angewiesen.

Am Amu-Darja wird der Versuch unternommen durch einen Damm in der Nähe von Muinak Wasser des Amu Darjas zurückzuhalten, um das Delta wieder teilweise herzustellen, den Wasserspiegel zu stabilisieren und ein Netz von künstlichen Seen zu schaffen, die als Fischgründe und zur Wasserversorgung dienen können. Auch hier werden in Anpassungsmaßnahmen Fische ausgesetzt, doch die anfänglichen Erfolge bei der Ertragssteigerung hielten nicht an.

Die Fischerei auf dem großen Aralsee wurde fortgesetzt, nur noch 30.000 Menschen von ehemals 60.000 waren Mitte der 1970er Jahre in der Fischereiwirtschaft beschäftigt. Anfang der 1980er Jahre fiel der Anteil derer, die direkt oder indirekt vom Fischfang leben auf 700. Damit war die Fischereiwirtschaft faktisch tot. Die Fischkonservenfabriken von Muinak und Aralsk, die ursprünglich für 100.000 Tonnen Fisch im Jahr ausgelegt waren, importierten Fisch mit Kühlwagenzügen von der Ostsee und vom Pazifik. Die fertigen Dosen wurden dann wieder an den Pazifik zurückgeschickt, um die Kriegsmarine zu versorgen eine Wegstrecke von insgesamt 20.000 Kilometern. 1990 wird die Fabrik in Muinak geschlossen, 1997 die in Aralsk.

Von ehemals 15.000 Einwohnern in Muinak waren 1990 noch 5.000 übrig geblieben, die restlichen sind abgewandert: hauptsächlich nach Nukus, aber auch nach Kasachstan und nach Russland. 1988 kam auf eine Person ein Eimer Trinkwasser pro Tag, fast 100 Kinder von 1.000 vollendeten nicht das erste Lebensjahr, 15.000 Menschen haben Aralsk verlassen.
bei Muinak 2005

Fortsetzung folgt…

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