Die Mahallas der Altstadt Samarkands

(Ein Beitrag von Jens Jordan)

Dem Besucher der Stadt Samarkand wird in erster Linie das “blaue Gold”‘ Samarkands, die bemerkenswerten Baudenkmäler der timuridischen Epoche in Erinnerung bleiben. Diese sind nicht nur beeindruckende und herausragende Kunstwerke, sie beeinflussten auch signifikant die Entwicklung der islamischen Architektur. Schon vor der Entstehung dieser Bauwerke ließen sich Besucher der Stadt zu begeisterten Aussagen hinreißen. Ãœber die kunst- wie kulturgeschichtliche Bedeutung der monumentalen Baudenkmäler ist viel geschrieben worden, über die eigentliche Altstadt, das sich fortwährend erneuernde Geflecht aus Wohnhäusern, engen Gassen und den besonderen Orten des Zusammentreffens dagegen weniger.

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Die Wodkafabrik während des Abrisses

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Ein weiterer Park mit Sichtschutzmauer im Frühjahr 07 (Bild: Samarqandlik)

In Gesprächen mit Bewohnern der Altstadt konnte ich deren Sichtweise auf diese Prozesse und vor allem die überwältigende usbekische Gastfreundschaft erfahren. Zumeist stolz wurde das eigene Grundstück und Haus gezeigt, nur in äußerst seltenen Fällen wollte man nicht mit mir reden. Insgesamt konnte durch die Befragungen ein Einblick in das sehr heterogene Gefüge der Altstadt gegeben werden. Generell ist die Verbindung der Bewohner mit ihrem Grundstück sehr stark, viele Grundstücke und teilweise auch Häuser sind seit über 100 Jahren in Familienbesitz, vereinzelt auch über 200 Jahre. Größtenteils sind die Bewohner mit der Größe des Hauses zufrieden, Ãœberfüllung ist jedoch in einigen Gegenden weiterhin festzustellen. Verbesserungswürdig in den Augen der Bewohner ist sicherlich der öffentliche Raum, die Strassen sollten ebenso befestigt werden wie eine Kanalisation wünschenswert wäre. Verglichen mit anderen Mahallas hält der Großteil der Bewohner sein eigenes Wohngebiet für “besser”, was vor allem durch persönliche Bindungen und der Einschätzung der Nachbarschaft indiziert wird.

Mit diesem Wissen suchte ich nach einem Projektgebiet, in dem ich nach Ansatzpunkten einer Sanierung suchen wollte. Die in der Nähe des Gur i- Emir- Mausoleums gelegene Khon – Said – Imom Mahalla erschien mir hierfür geeignet, auch gerade, da es an der Schnittstelle verschiedener Stadtstrukturen wie Altstadt, Kolonialstadt und landschaftlicher Gegebenheiten liegt. Mit Hilfe des Mahalla- Vorsitzenden lud ich 5 Bewohner der Mahalla, darunter ein Historiker sowie eine Hotelbesitzerin zu einem Workshop ein, an dem auch ein Student und ein Mitarbeiter des Samarkander Architekturinstitutes teilnahmen. Innerhalb des initiierten partizipativen Planungsprozesses wurde nach Problemfeldern und Möglichkeiten einerseits für das Viertel und andererseits für die einzelnen Generationen von Kindern über Jugendliche bis zu Erwachsenen und Großeltern gesucht. Gerade für die junge Generation könnte hier viel getan werden, ein Ergebnis bestand in der Idee, ein Kindermuseum “zum mitmachen” auf einer der Freiflächen innerhalb der Mahalla einzurichten und so auch Besucher aus anderen Teilen der Stadt anzusprechen. Ich fand es relativ überraschend, wie offen Vorschläge diskutiert wurden und welche Ideen innerhalb der Mahalla bereits bestanden. Vor allem ist hier die Idee für ein Museum zur Geschichte dieser Mahalla zu nennen.

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Feinstrumpffabrik Aziza unweit der Bibi Khanum

Positiv aufgenommen wurde auch mein Vorschlag, sich die an das Projektgebiet angrenzende Industrieanlage genauer anzusehen. Innerhalb der Altstadt existieren noch einige größere Industrieanlagen, auch wenn diese in den letzten Jahren sukzessive aus der Altstadt verlagert werden. Drei bis vier dieser Anlagen verfügen, zumindest zum Teil, über eine durchaus erhaltenswerte Bausubstanz, die durch eine Umnutzung erhalten werden könnten. Die zwischen der Registan Strasse und der Khon Said Imom Mahalla gelegene “Wodka Fabrik” wäre ein solches Gebäude, der “Turm” der Destillerie hätte konzeptionell eine ähnliche Rolle als Bezugspunkt innerhalb der Stadtlandschaft einnehmen können, wie sie den großen Baudenkmäler immanent ist. Nur das die Denkmäler ihre Bedeutung für die Gesellschaft verloren haben und nur noch als Touristenmagneten wirken, während der “Fabrikturm” durch bewohnerorientierte Nutzungen einen neuen Stellenwert erlangen könnte.

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Ein weiteres Industriegebäude am Rand der Jüdischen Mahalla

Im Herbst 06 hatte ich die Chance, mit einem Arnold- Knoblauch- Stipendium der Freunde der TU Berlin einen weiteren Aufenthalt in Samarkand zu verbringen. Im Mittelpunkt stand bei diesem Aufenthalt der Wohnungsbau, also einerseits die historischen Häuser und ihre Anpassungen an gegenwärtige Anforderungen und andererseits der sozialistische und postsozialistische Geschosswohnungsbau. Während meines Aufenthaltes wurde zu meinem Entsetzen mit dem Abriss der Wodka- Fabrik begonnen. Darüber hinaus hielt sich zwischenzeitlich ein deutsches Fernsehteam in meinem Projektgebiet auf und filmte dort ohne Drehgenehmigung. Da dies verständlicherweise eine Menge Ärger mit sich brachte, war nun auch niemand mehr bereit, in meiner Planungsgruppe mitzuarbeiten.

Dies war eine Art Wendepunkt während meiner Feldforschungen, musste ich mich nun entscheiden, im weiteren entweder ein neues Gebiet zu identifizieren und neue Kontakte aufzubauen oder in der bisherigen Mahalla weiterzuarbeiten, was aber aufgrund der starken Verunsicherung unter den Bewohnern kaum möglich war. Nun ist es zwar keine Seltenheit, dass sich während eines Forschungsaufenthalts die Situation vor Ort grundlegend ändert, dass aber ein Projekt durch den Wegfall sowohl des Gebäudes und als auch der Bereitschaft der Bewohner, zusammenzuarbeiten, in so fundamentaler Weise gefährdet wird, ist dann doch eher ungewöhnlich.

In seiner ursprünglichen Intention, hier die Sanierung einer traditionellen Mahalla zu initiieren und zu begleiten, war dieses Projekt nun gescheitert. Für die ermittelten Funktionen entwarf ich ein neues Gebäude, das den abgerissenen “Turm” ersetzen soll. Durch Gespräche an der Humboldt- Universität Berlin wurde mir bewusst, dass die in einem Zeitraum von über einem Jahr gesammelten Informationen, die Literaturrecherche vor Ort, die Interviews und Workshops auch Perspektiven für andere Planungsmöglichkeiten eröffneten. So nutzte ich dieses Wissen zur Entwicklung von städtebaulichen Strategiebausteinen, mit deren Hilfe eine Revitalisierung und somit ein Schutz der Altstadt erreicht werden kann. Darunter befindet sich auch ein Vorschlag für einen Rundgang durch die Altstadt in vier Abschnitten, der nach jetzigem Kenntnisstand die wichtigsten “unbekannten” Sehenswürdigkeiten wie Guzare, Mahallamoscheen und historische Häuser verbindet. Im Sommer 07 stellte ich meine Diplomarbeit über Samarkand am Fachgebiet Habitat Unit von Prof. Herrle vor.

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Ästhetik der Leere- Das administrative Zentrum

Für weiteres Interesse an der Altstadt Samarkands sei auf die Schrift “2750 Jahre Samarkand”, herausgegeben von der Usbekischen Botschaft Berlin, verwiesen. tethys stellt den Artikel des Sammelbandes “2750 Jahre Samarkand” als pdf-download.pdf zur Verfügung.

Einige Bilderserien zu den Mahallas Samarkands:

HoÄŸa Akhror Bezirk

[mygal=hodscha–achrarischer-bezirk]

 

Bezirk SÅ­zangaron

[mygal=susangaron-bezirk]

 

Bezirk Qalandarkhona

[mygal=kalandarchona]

 

Bezirk Khairobod

[mygal=chairabadischer-bezirk]

 

Jens Jordan ist seit Sommer 2007 diplomierter Ingenieur der Fachrichtung Architektur. Derzeit promoviert er zu einem baugeschichtlichen Thema an der TU Berlin.

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