Ravshan und Dzhumshut

(Beitrag von Olim devona)
Es war Frühling, es waren 32 Grad im Schatten, die Erdbeeren waren schon von den Basaren verschwunden — wurden von den Kirschen und Aprikosen verdrängt… Ich saß mit ein paar Freunden in einem Taschkenter Cafe für Sprösslinge neureicher Familien in der Nähe des Lehrerbildungsinstituts an der gleichnamigen Strasse. Der neueste Schrei dieses Cafes hieß Videounterhaltung mit Beamer an einer Hauswand im Freisitz. Die Sendung, die über Videorecorder eingespielt wurde, hieß Nasha Russia und hatte, wie ich später erfahren sollte, Kultstatus erreicht.

Es ist (eine nunmehr eigenständige) Erfolgsgeschichte des alten sowjetischen Wettbewerbs KVN (engl hier), der nach dem Ende der Sowjetunion bis in den heutigen Tag im Fernsehen höchste Einschaltquoten erreichte. Bis heute füllt er die Provinztheater im Ferghanatal, Samarkand und so weiter bis zum Ausverkauf an (anshlag!) und führt zu hysterischen Republikausscheiden in Taschkent. Zwar werden die Ausscheide von Studenten ausgerichtet, doch die Öffentlichkeit schaut den bissigen Witzen begeistert zu. Nur die übelsten Streiche werden durch die Zensur hinausgedrängt. Eine Hitlerparodie, die ihre Sprüche aus dem Computerspiel “Medal of honour” zog, war, als ich einmal zuschaute, immerhin erlaubt, damals.

Nun ja, also ich sitze in diesem Taschkenter Cafe und sehe mir diese russische Produktion an. Das Herzstück sind die Bauarbeiter aus Zentralasien: “Ravschan und Dschumschut“. Hier ein kleines Beispiel:

 

Als ich Menschenfreund “Dschumschut und Ravschan” das erste Mal in diesem Cafe für die junge Mittelschicht sah, musste ich mich wundern. So eine Riesenverarsche zentralasiatischer Arbeitsmigranten und keiner schien auch nur im Geringsten sauer zu sein. Alle feixten …Ein paar Tage später fragte ich meine Gewährsfreunde aus Kokand, diejenigen die mich 2001 das erste mal in den Ferghanatal-KVN einführten und ihn gegen Namangan, Ferghana und Andidschan gewannen. “Sagt mal!”, hub ich an, “Ist denn dieser Ravschan und der Dschumschut nicht ein absoluter Tiefschlag gegen alle Migranten, die aus Zentralasien nach Rußland resp. Moskau gehen?” “Tiefschlag?”, fragten sie, “Nee, die sind doch alle so!” Ich erinnerte daran, dass doch seit einem Jahr Volodia, Umid, Azim und Dschamschid aus Kokand auch nach Moskau gegangen seien, ganz zu schweigen von all den anderen, die es irgenwo in die zentralrussiche Pampa oder das Schwarze Meer verschlagen hatte! Die seien nun doch auch nicht so blöd! Ja, kam die Antwort, die arbeiten auch nicht auf der Baustelle, sondern sind Systemadministratoren in Softwarefirmen, Mitarbeiter in Reisebüros usw. (Um es kurz zu machen, keine grossen Erfolgsstories, also eben normale Mittelschicht.)”Also ehrlich mal!” meldete sich Rachmat zu Wort. Er war gerade vier Wochen auf Heimurlaub, hatte sich vor einem Jahr ein Collegestudium in London, England gekauft und feierte dort seine Zeit nicht mit Studieren ab, sondern arbeitete die ganze Zeit bei British Royal Mail und verdiente gute Pfund. “Also ehrlich mal! Wenn Du nach Moskau gehst, dann denken sie alle, du seist ein Bauarbeiter, deswegen hatte ich auch keinen Bock darauf. Aber die meisten sind da nun mal auf Baustellen und haben keinen blassen Schimmer! Also ist das mit “Ravschan und der Dschumschut” gar nicht so falsch!” Naja, dachte ich mir, mich erinnerte diese Einschätzung an Backpacker mit ihrer Schmäh für Touristen.

Wochen später saß ich im Flugzeug nach Moskau und flog nach Hause. Neben mir eine junge Usbekin. Sie hatte den Hausmantel usbekischer Mädchen als Oberkleid, als Unterkleid die typische “Hemd und Hose” Bekleidung älterer Damen und junger ländlicher Frauen. Sie saß in einer Maschine von Transaero und konnte kein Wort Russisch. Da ich neben ihr saß, dolmetschte ich zwischen ihr und den Stewardessen und so kamen wir ins Gespräch. Sie flog das erste Mal und wäre aus der Gegend von Samarkand. Ihr Mann arbeite in Moskau auf dem Basar und hätte sie nachgeholt, weil er für sie Arbeit gefunden hätte. (Wilde Assoziationen schossen mir in den Sinn: Zwangsprostitution, Sklavenarbeit? Wie zum Teufel wollte diese Mädchen denn in Moskau bestehen? Hatte sie denn schon einmal eine größere Stadt gesehen?) Die Zeit der Landung war gekommen und die Stewardessen teilten die Immigrationskärtchen aus. Wie sie ihre Immigrationskarte ausfüllen sollte, wusste sie nicht. Hier wurde nur Russisch drauf geschrieben. Ich half ihr dabei. Zu guter Letzt tauschten wir Telefonnummern aus. Als ich sie dann zur Passkontrolle zum Immigrationsschalter gehen sah, ohne Handgepäck und wahrscheinlich auch ohne viel externes Gepäck wunderte ich mich nicht mehr, sondern dachte mir so: ‘Wahrscheinlich ist sie viel früher in Berlin oder Leipzig als einer meiner Freunde aus Kokand!’ Es zählt wohl nicht, wer da die bessere Welterfahrung hatte. Es gab wohl immer solche, die hatten am Ende die grösseren Kartoffeln.

(Olim devona ist Mitwissser am Zentralasienseminar der Humboldt Universität zu Berlin.)

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Post Navigation