Die Mittelfingerkasachen von Kanal 3

(Beitrag von Michael Angermann)

Es ist früh am Abend, in der Nähe des großen Basars betrete ich das Berkhut-Restaurant (dt. Zum Adler). Schnell geht es in die zweite Etage. Die Männer sitzen in der einen Ecke und spielen so etwas Ähnliches wie Preisskat, ein anderer Teil gruppiert sich um den Karaokefernseher und raucht. Die Damen haben sich am anderen Ende des Raumes niedergelassen und plaudern ausgelassen. Eine Art Polterabend sei das hier, wird mir nahe gelegt, nächste Woche wird dann geheiratet. Eine Moderatorin und ein Moderater von XJTV-3, der kasachischen Sparte des Xinjiang Fernsehen, werden dann vor dem Mullah stehen und sich auf Ewigkeit binden.

x31.jpg Gut, der adrette Moderator war schon einmal verheiratet, für sie ist es das erste Mal – Altynbai und Aigul, der Goldene Herr und die Mondblume. Ich werde sehr freundlich in die Runde aufgenommen, Qaysar, ein windiger Geschäftsmann und Händler begrüßt mich freundlich mit einem “Sieg heil!”, ich lehne ebenso freundlich ab, habe aber gleich eine Grundsatzdiskussion am Hals, warum das mit Hitler eine gute Sache war. Da wären zuersteinmal die Kolonien, die nach dem 2.Weltkrieg ihre Unabhängigkeit bekommen haben, außerdem bräuchten wir heute keine Visa mehr, hätte die ganze Hitler-Sache geklappt – so einfach ist das. Das er nicht zu den Ariern gehört hätte, ist nur schwer zu vermitteln, die Hitlergeschichte sitzt bei vielen Kasachen tief im Blut.

Auf meine Frage was die Geschäfte so machen, erhalte ich eine unbestimmte Antwort, und der nächste Satz beginnt mit “fährt ein Uighure in die USA …” – es werden am ganzen Abend noch viele weitere Uighuren-Witze in die Runde hallen, die mir aber nur zum Teil verständlich sind. Derweil werden die Speisen auf dem Tisch gestapelt, Fleischportionen werden auch hier bevorzugt ausgewählt, die dunganische eingeweichte Brotspezialität bleibt da außen vor. Ansonsten zeigen die Spezialitätenteller eher chinesische Speisen, außer dass bewusst auf “Schweinefleisch süß-sauer” verzichtet wird. Es wird der erste Schnaps durch die Runde gereicht, Ansprachen werden gehalten. Ich komme mit Rotwein davon, den ich allerdings glasweise bei jedem Anstoßen auf ex trinken soll. Die Späße in der Männerrunde gehen jetzt auch schon mal unter die Gürtellinie und die “falschen linguistischen Freunde” zwischen kasachischer und uighurischer Sprache werden mir vorgestellt. Das bringt Heiterkeit auf allen Seiten, gleichfalls werden jetzt auch noch Süßspeisen gereicht.

Das Karaoke-TV wird jetzt bis an die Grenze des Hörbaren beschleunigt, die Lautsprecher kreischen, der Tanz wird eingeläutet. In rhythmischer Tradition wird auf vieles Ãœberflüssige beim Tanz verzichtet, klare Bewegungen sind angesagt – Walzerschritt, egal zu welchen Rhythmen. Da gibt’s kein “nein”, da muss einfach jeder tanzen. Als gerade eine weitere Flasche geöffnet wird, um die Runde zu machen, zieht mich der Parteisekretär vom Fernsehsender an die Seite. Sein Parfüm ist bestechend, sein Kasachisch eher mager, dominiert doch in Parteikreisen das Chinesische, seine Haare glänzend, sein Alter um die 50 und ein Schnurrbart ist obligatorisch.

Ich höre die Legende, von den zwei sich liebenden Schwänen, der Urvater und die Urmutter der Kasachen. Dann wird mir erläutert, zu welchen Fragen er keine Auskunft geben kann und weiter geht’s mit der “Beshbarmaq”-Legende (Fünf-Finger-Legende). Der Mittelfinger der Hand, als längster Finger, symbolisiert die Crème de la Crème der Kasachen, die zivilisierten und kultivierten. Die restlichen Finger insbesondere der kleine Finger stellt die Masse der ungebildeten und bösartigen Kasachen dar. Ich soll verstehen, dass ich diesem Abend mit den Mittelfinger-Kasachen verbringe, die Krönung der Evolution. Darauf trinken wir einen. Als nächster hat mich der Chefredakteur im Auge, ich solle tanzen, so einen Abend gibt’s nur einmal. Das denke ich mir auch und schwinge noch mal das Tanzbein. Danach wird das Ende eingeleitet, es ist morgens um 2 Uhr nach Peking Zeit und nachts um zwölf nach inoffizieller Xinjiang Zeit.

Michael Angermann lebt und arbeitet in Duschanbe, Tadschikistan, sein Job endet mit dem November 2007

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