Ein Beitrag von Caroline Bunge
mit Fotos von Thomas Etzold
Anlässlich der Europapremiere von ‚Die Wand‘ von und mit Tahera Hashemi, die unter der Regiemitarbeit von Nela Bartsch am 28.02.2016 im Rahmen von ‚War Zones: Berlin-Kabul‘, einer Produktion von suite42 im BallhausOst, Berlin-Prenzlauer Berg stattfand, traf ich vor wenigen Tagen die junge afghanische Regisseurin und Schauspielerin Tahera Hashemi zu einem Interview.
In einem clownesken, pantomimischen Spiel zeigt Tahera Hashemi in ‚Die Wand‘ eine Frau in ihrem Alltag im heutigen Afghanistan. Eingesperrt in einem Haus umgeben von hohen Mauern, das sie nach der Tradition ohne ihren patriarchalischen Ehemann nicht verlassen darf, hat sie viele Probleme. Da ist der Wäscheberg, den sie bewältigen muss, das Loch in der Waschschüssel, dass ihr das Waschen erschwert oder der Ehemann, der sie als Stimme aus dem Off kontrolliert und reglementiert. Vor allem aber hat sie keine Kontakte zur Außenwelt, weder ein Radio noch einen Fernseher. Sie lebt ausschließlich in ihrer Fantasiewelt und träumt, singt oder tanzt, um sich die Arbeit und ihren Alltag zu erleichtern. Der einzige Kontakt ist der zu einem Schäfer, der morgens und abends an ihrem Haus vorbei zieht. Sobald sie ihn hört, stellt sie sich ihn und seine Schafe als ihre Zuschauer und sein Flötenspiel als das Orchester vor und beginnt zu tanzen& zu singen. Eines Tages erwacht sie aus ihrer Fantasiewelt und erkennt, dass sie eingesperrt hinter hohen Mauern gänzlich abgeschnitten von der Außenwelt lebt. Erst jetzt nimmt sie die Tür wahr, die sie nach draußen in die Freiheit führt, wo sie ihren eigenen Weg ohne ihren Mann sucht, um sich selbst zu verwirklichen.
Tahera Haschemi stammt aus einer Hazara-Familie in Afghanistan. Als ethnische Minderheit wurden die schiitischen Hazara von den Taliban brutal unterdrückt, weswegen die Familie nach dem Erstarken der Taliban in den 90er Jahren in den Iran geflohen war und später, nach dem Einzug der internationalen Truppen nach Herat zurückkehrte.
2010 zog Tahera Haschemi von Herat nach Kabul, um an der ‚Universität der Künste‘ Regie zu studieren. Noch vor Beginn ihres Studiums gründete sie mit Freunden 2011 die Gruppe ‚Papyrus Cultural& Artistic Organization‘ (PACO), da sie nicht nur studieren, sondern, auch um Geld zu verdienen, Theater spielen wollte.
Die Entwicklung der Schauspielkunst in Afghanistan geht auf die Zeit des Königs Amanullah Khan (1919-1929) zurück. Das Nationaltheater Pohani Nandare in Kabul wurde während der Regierungszeit seines Nachfolgers Muhammed Nadir Schah gegründet. Jahrelang spielten ausschließlich Männer auf der Bühne und ersetzten dabei die Frauenrollen. Das änderte sich erst im Laufe der 60er Jahre unter der Herrschaft des Königs Zahir Schah. Und auch während der Regierungszeit der DVPA und der sowjetischen Besatzungszeit erfuhren Schauspielerinnen die gleiche Akzeptanz wie ihre männlichen Kollegen. Während der Herrschaft der Taliban war das Theaterspielen, wie auch die anderen Künste und das kulturelle Leben verboten.
Tahera Haschemi hatte bereits mit 13 Jahren in den Stücken, bei denen ihre Schwester Regie führte, zu spielen begonnen. Darin musste sie immer die Hauptrollen übernehmen, was sie als sehr schwierig empfand. „Es waren immer ernsthafte Stücke und ich sollte die Leute zum weinen bringen. Ich kann mich erinnern, dass ich auf der Probe nie geweint habe. Ich habe nur auf der Bühne geweint, weil ich musste. Ich hasste es einfach, weil ich selber anders war. In meiner Familie bin ich ein sehr glückliches Mädchen und ich hab alles gemacht, um glücklich zu sein und die Leute glücklich zu machen“, erzählt sie mir. Daraus entstand der Wunsch eine Möglichkeit zu finden, bei der man zwar ernsthafte Stücke spielt, die Zuschauer aber trotzdem zum lachen bringt. Tahera Haschemi wollte Körpersprache benutzen und tragische Geschichten auf lustige Weise erzählen. So entwickelte sie mit ihrer Schwester und Freunden aus der Theatergruppe ‚Die Wand‘, ein Stück, indem sie als weiblicher Clown die Situation der afghanischen Frau, ihren Alltag und die Unterdrückung, die sie, vor allem durch die konservativ-religiöse männliche Gesellschaft erfährt, erzählen wollte.
Fünf Mal stand sie mit dem Stück in Kabul auf der Bühne, beim Internationalen Theaterfestival, ebenso wie im Französischen Institut. Die Vorstellungen waren ausverkauft und die Zuschauer begeistert. Sie bekam Projektangebote und sogar das Angebot für ein Master-Stipendium von der Frau des englischen Botschafters.
Es folgten aber auch Beschimpfungen und Drohungen von konservativ-religiösen Leuten und Mullahs bis hin zu Morddrohungen von Vertretern der Taliban. Wie erschreckend gering die Akzeptanz von Schauspielerinnen in der konservativen Gesellschaft Afghanistans gegenwärtig wieder ist, erzählt auch der Dokumentarfilm ‚Playing with fire‘ von Anneta Papathanassiou, der ebenfalls im Rahmen von suite42 vorgeführt wurde. Darin zeigt die Filmemacherin vornehmlich Einblicke in die Theaterszene in Kabul und erfährt während der Interviews mit jungen Schauspielerinnen, dass bereits mehrere der Schauspiel-Kolleginnen getötet wurden.
Als Tahera Hashemi im August 2012 mit ihrer Theatergruppe nach Schweden zu der ‚9.Woman Playwrights International Conference‘ fuhr, kehrte sie wegen der anhaltenden Drohungen nicht mehr nach Afghanistan zurück. ‚Die Wand‘ hatte sie seitdem nicht mehr gespielt. „Ich schämte mich einfach. Ich konnte nicht, weil ich mich so schuldig fühlte durch dieses Stück. Ein Stück zu zeigen, dass mein Leben kaputt gemacht hat, durch das du alles verloren hast. Ich schämte mich, als Clown auf die Bühne zu kommen. Wie ein Zauberer, der immer etwas falsches macht. Mein Clown war entzaubert. Die Geschichte hat mir meinen Humor genommen“, erzählt sie mir.
3 Jahre hat sie gebraucht, um dieses Trauma zu überwinden und als Clown wieder auf die Bühne zu treten. Geholfen hat ihr dabei vor allem die Produktion von suite42. Ein besonderer Dank gilt Nela Bartsch und Lydia Ziemke.
Es bleibt zu hoffen und wünschen, dass ihr Spiel als Clown auch in Afghanistan bald mehr gesellschaftliche Akzeptanz erfährt und es für sie möglich sein wird, wieder zurückzukehren und die Menschen dort zum lachen zu bringen.
CREDITS:
DIE WAND – von und mit Tahera Hashemi
Europapremiere am 28.02.2016 im Rahmen von WAR ZONES: KABUL / BERLIN
eine Produktion von suite42
Regiemitarbeit: Nela Bartsch
Dramaturgiemitarbeit: Oksana Loidova, Lydia Ziemke
Sound Design: Ivan Bartsch
Ausstattung: Lil Paula Avar, Lexia Hachtmann, Friederike Knoll
Produktionsleitung: Soliman Saien
Fotos: Thomas Etzold