Herbst in Taschkent

Ein Beitrag von Birgit Läbe

Herbst KachelHerbst in Taschkent, das ist ein wahrer Gegensatz zu meinen Beobachtungen, die ich im Sommer gemacht habe. Das kalte Wetter macht aus den Einwohnern hier wahrlich in sich gekehrte Wesen. Auf der Strasse und in der Metro begegne ich Menschen, die ihre Umwelt gar nicht mehr in dem Maße wahrnehmen, wie ich es gewohnt bin. Ich komme mir vor wie Luft! Wo sind nur die auf mir sitzenden Blicke der Passanten ob meines Aussehens oder meiner Schuhe…?
Fast jeden Tag regnet es, manchmal ununterbrochen. Auf den Strassen dominiert die Farbe Schwarz, die Menschen passen sich den Jahreszeiten auf wunderbare Weise an. Aber es gibt da noch so eine spezielle Eigenheit der Usbeken, der man gerade jetzt besonders begegnen kann…

Früh um 6 Uhr auf dem Campusgelände der Nizami-Universität… noch herrscht friedliche Stille. Aber ich weiss schon innerlich, dass in 10 Minuten das raschelnde Geräusch des “Supurgi” mich aus meinem halbwachen Zustand wecken wird.

Von meinem Zimmerfenser aus beobachte ich, wie zwei Studentinnen in Schlappen und Kopftuch mit zwei der Besen aus trockenen Reißig, die hier “Supurgi” heißen, und einer Schaufel bewaffnet einen Haufen Blätter zusammentragen. Bald hallt der Kehraus-Rhythmus aus jeder Ecke. Ich stecke den Kopf wieder unter das Kissen.

Später auf dem Weg zur U-Bahn. Dieses kleine Schauspiel setzt fort. Zuerst begegne ich, wie jetzt fast jeden Morgen, einer jungen Frau, die in eiligem Tempo den Weg vor ihrer Tür sauberfegt, so dass ich mir vorkomme wie ein Störenfried bei ihrem allmorgendlichen Putzen.

Ich laufe an einem Trupp orangegekleideter Strassenarbeiterinnen vorbei, die mit einer Entschlossenheit und Akribie den Fußweg von Blättern säubern und sich über die Fische im Straßengraben freuen.

Merkwürdigerweise scheint sich dabei keiner um den täglich wachsenden Müllhaufen gegenüber zu kümmern. Der dümpelt vor sich hin… die Blätter sind der wahre Grund, den Tag mit diesem tüchtigen Frühsport zu beginnen.

Eine Art Wettkampf entsteht… denn wehe der Weg vor der eigenen Tür ist nicht einwandfrei gekehrt. Was sollen bloss die Nachbarn denken??

Vor den Geschäften, den Teehäusern, an der Bushaltestelle, in den Parks — überall begegne ich Menschen mit ihrem kleinen Besen diesem Vorgang frönen, der jeden freiwilligen Arbeitseinsatz früher in der DDR Subbotnik genannt in den Schatten stellt.

Sogar vor der Hochschule für Tanz und Ballett werden Studenten von einer Lehrerin angeherrscht, nicht die kleinen Nischen zwischen Baumstamm und Bordsteinkante zu vergessen.

Woher kommt nur diese Affinität, alles so rein von herunterfallenden Blättern zu halten?
Vielleicht weil man hier noch an Wunder glaubt…?

Eine Studentin erzählt mir jedenfalls, dass wenn der Hof immer sauber gekehrt ist, ein Engel vom Himmel kommt und der Familie Brot und Erfolg bringt.

Auf einmal kommt mir die gruselige Vorstellung in den Kopf, wie sich dieses Szenario wohl anhören würde, wenn die Usbeken für sich die Erfindung des Laubstaubsaugers entdecken und hoffe, das dies noch eine Weile auf sich warten lässt. Wenigstens so lange ich noch in dieser Stadt lebe.

Auf dem Weg zurück ins Studentenwohnheim gibt es ein großes Loch. Jedes Mal laufe ich daran vorbei, ohne es zu bemerken. Hinterher frage ich mich, ob das Loch wohl zugemacht worden ist, oder ob es noch kommt. Wenn ich dann merke, dass ich schon längst daran vorbei gelaufen bin, denke ich immer: Wieso bin ich nicht reingefallen, sondern wie automatisch daran vorbei gelaufen?

Jetzt haben sie das Loch zugeschüttet – mit altem Laub! Kein Raum mehr für diese Gedanken…

Birgit Läbe studiert Arabistik, Zentralasienwissenschaften und Ethnologie an der Uni Leipzig

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