Ein Beitrag von Birgit Läbe
Während meines Aufenthaltes in Usbekistan bin ich auf der Suche nach verschiedenen Orten im Land, in denen das traditionelle Webereihandwerk noch gepflegt wird.
Dabei hat mich einer meiner ersten Wege nach Marghillon ins Ferghanatal geführt. Hier gibt es die noch bestehende Seidenfabrik “Yodgorlik”, die wahrlich schon bessere Zeiten als heute gesehen haben muss. Also machte ich mich auf den Weg nach …
… Ferghana — dieses Wort hatte sich vor meiner ersten Reise ins Ferghana- Tal im Kopf zu einem sagenumwobenen Ort zusammengeballt. Den Berichten von Bekannten über diese Region lauschend, wollte ich meine Neugier nun endlich stillen und selbst auf Erkundung gehen- nicht nur um Ferghana Willen, sonder auch, um nach lebendigem Handwerk in Usbekistan, vor allem im Bereich der Weberei zu suchen …
Vielleicht hätte ich mir über einige Dinge vorher Klarheit verschaffen sollen, zum Beispiel dass im Oktober Baumwollzeit ist und die Menschen im Tal sich dieser Arbeit kaum entziehen können, weshalb ich bei einigen sehenswerten Orten vor verschlossenen Türen stand. Oder dass das Reisen im Herbst nicht wirklich freundlich ist, denn ich begegnete so vielen grimmig dreinblickenden Usbeken in Städten wie Ferghana, Margillon und Andijon- ein Bild, welches mir bis dato noch nicht bekannt war. Es regnete in Strömen und meine Motivation sank gen Null …
Zentralasien ist anders als andere islamische Länder für seine Handwerkstradition sehr berühmt. Alte persische Handschriften aus dem 19. Jahrhundert, sogenannte Risola beweisen mir, mit welch tiefen Glauben die Handwerker, in meinem Fall die Weber, an ihr Handwerk gebunden waren. In diesen Risola, für die Weberei die risola-i bofanda, sind Aussagen zum Schöpfungsmythos des Webereihandwerks sowie religiöse Anleitungen, aber Praktisches, wie der Usto mit seinem Shogird umzugehen habe und welche täglichen Gebete auszuführen sind. Dabei begegnen mir in dieser Handschrift immer wieder Begriffe, die ich mit der Mystik des Islam verbinde. Askese, ekstatische Rituale (dhikr), Fasten; Namen islamischer Heroen wie Djafar as-Sadiq und Hodscha Bahodir Naqshband tauchen auf.
Ist das vielleicht der Grund, getrieben von dieser mystischen Eingebung, dass ich im Ferghana Tal auf ebensolche mystischen Orte der Weberei hoffe.
Meine Vorstellungen von der Stadt Ferghana zerfielen schnell. Ich stellte äußerlich keine großen Unterschiede zu einem Taschkenter Bezirk fest. Nur dass die Männer mehr Mützen tragen und die Frauen mehr Kopftücher. Es gibt mehr Radfahrer und vielleicht missmutiger dreinschauende Leute. Größtes Abschreckungsbild: Während meines ersten Abendspaziergangs durch die Stadt strahlt wie ein Riesen-Leuchtmonster eine TV-Werbetafel über die gesamte Kreuzung in der Nähe des Basars und beleuchtet die Umgebung in Rot, Grün und Neongelb mit irgendeinem Mantra, dass die Leute zum Kauf eines neuen Handys zu überzeugen versucht. Ich verstehe die Welt nicht mehr und laufe wie verstrahlt von diesem TechnoLifestyle zurück. Tagsüber sehe ich: Auch hier entstehen Riesen Beton-Villen wie aus dem Katalog, mit grauen, leblosen Stahltüren und Plaste-Adlern auf dem Dach … Ich sehe die gleichen Läden, zähle abwechselnd Schilder: “Lebensmittel” (Oziq Ovqatlar), Schönheitssalons (Salon Kracotyj), Telefonanbieter (Paynet), Fast Food (Damschnaja Kuchnja), irgendein College und dann noch ein Teehaus (Choy-xona), bevor der ganze Spaß wieder von vorne anfaengt.
Am nächsten Tag aber ergreife ich in Margillon einen rettenden Ast: Inessa. Sie ist Halb Russin, halb Tatarin, Lehrerin für Deutsch an der Schule Nr. 6 in Marghillon und lebte 3 Jahre lang in Düsseldorf. Sie begleitet mich zur Yodgorlik Seiden Fabrik.
In der Fabrik angekommen, übersetzt sie für mich die Erläuterungen von Rustam, dem neuen Finanzdirektor. Rustam sieht aus wie ein Afroamerikaner, ist aber Russe mit kasachischen Eltern … oder so aehnlich …
Wie auch immer, ich bin fasziniert. Die Frauen bereiten die Seide vor, ich sehe Qualm und hunderte leere Seidenraupenkokons, die im dampfenden Wasser gekocht wurden. Den Prozess der Seideherstellung habe ich bisher noch nie so direkt nachvollziehen können wie hier. In einzelnen Schritten gehen wir von Haus zu Haus, von der Seidenproduktion zum Entwurf der Muster, dann zur Färberei bis hin zur Weberei des schillernden Stoffes. Das wirkt fast alles zu makellos und idyllisch als ich glauben mag: Wir durchschreiten in einem so rasenden Tempo all die Fertigungsprozesse … Mir gefällt der Anblick der bunt bemalten Webstühle und der dicken Seidenknäule an ihnen. Eine Meisterin sitzt in der Ecke und wickelt Webgarn auf. Die jungen Weberinnen arbeiten mit bahnbrechender Geschwindigkeit am Webstuhl. Am liebsten würde ich mich dazu setzen und mitmachen. Gerne hätte ich die Möglichkeit, mit einer der Mädchen zu sprechen. Sie sind zwischen 15 und 20 Jahre alt und alle noch ledig. Sobald sie verheiratet sind, ist das Arbeiten im Betrieb so gut wie unmöglich, da die meisten Ehemänner den Frauen verbieten, zu arbeiten. Vor kurzem hat die Fabrik auch noch mit der Teppichproduktion und der Stickerei begonnen.
Ob das der Zukunft dieser Fabrik und dem Webereihandwerk in Ferghana wirklich mehr als nur ein, zwei Besucher in der Woche einbringt, wage ich zu bezweifeln. Dennoch arbeitet es in meinem Kopf, dass ich doch rechte Lust bekommen habe, selbst einmal am Webstuhl zu sitzen, auch wenn die Arbeit schwer ist. Aber die persische Handschrift über die Weberei hat mich derartig beflügelt, dass ich Inessa vorschlage im Januar wiederzukommen und mir einige Zeit selbst ein Bild von der Arbeit der Frauen in der Fabrik machen zu können. Die Erlaubnis habe ich, mit der Bitte, politische Fragen an die Weberinnen zu unterlassen, und niemanden in Schwierigkeiten zu bringen. Nein, mir liegt dieses Vorhaben ganz fern. Ich möchte tiefer in die Materie einsteigen, die Frauen zum Sprechen über den Sinn ihrer Arbeit anregen und eventuelle Antworten auf die Frage nach den religiösen Wurzeln stellen, nach der Mystik der Weberei und der Herstellung von Material …
Birgit Läbe studiert Arabistik, Zentralasienwissenschaften und Ethnologie an der Uni Leipzig
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