Im Land der Frauen

Anfang der 1890er Jahre tourt eine außergewöhnliche Truppe durch Deutschland, die Amazonen von Dahomey. Am 3. Dezember 1892 kommentiert Die ILLUSTRIERTE ZEITUNG:

“Die Truppe der Amazonen von Dahomey, die früher in Leipzig, Berlin und anderen Orten gastierte, gibt gegenwärtig in München vielbesuchte Vorstellungen.”

In ganz Europa ließ man sich um die Jahrhundertwende gerne durch sogenannte Völkerschauen, “Gezähmte Wilde” und anderen Formen exotistischer Veranstaltungen und Einrichtungen unterhalten und in wohliges Schaudern versetzen. Die Tour der afrikanischen Amazonen jedoch erfreute sich aufgrund der Vorstellung, die man sich in Europa von diesem mystischen Frauenvolk machte, besonderen Interesses.

Amazonen, also Frauen, die nicht nur das Kriegshandwerk verstehen, sondern auch eine Gesellschaft aufbauen, in denen die dominante staatstragende Kraft Frauen sind, sind als mythische Figuren in der europäischen Sagenwelt seit dem antiken Griechenland wohlbekannt. Die Spekulationen, wo ihre Stammesgebiete gelegen haben, erstrecken sich u.a. auf Anatolien, die Ostufer des Schwarzen Meeres, iranische Gebiete und auf die Krim.

Als die afrikanischen Amazonen durch Deutschland tourten, lebte auf der Krim ein gewisser Ismail bey Gasprinskij. Seineszeichens hervorragender muslimischer Intellektueller, begeisterter Zeitungsleser und Herausgeber der Zeitung Tergümon (Übersetzer). Das Interesse an Zeitungen war bei Gasprinskij politisch motiviert und lag vor allem in der Möglichkeit begründet, mit einem eigenen Organ alle Krimtataren, sowie darüber hinaus auch alle anderen türkischsprachigen Intellektuellen vom Bosporus bis nach Zentralasien anschreiben und mit einem Programm erreichen zu können, das zur gleichen Zeit in der gesamten Islamischen Welt für Bewegung und Unruhe sorgte: die Islamische Aufklärung.

Als Ismail bey Gasprinskij das Ereignis der Amzonentour durch seine Zeitungslektüren bekannt wurde, wusste er längst, dass man in Europa mittlerweile Gebiete in Afrika als mögliche Heimat der Amazonen ansah. Auch war er bestens darüber im Bilde, was die europäischen Großmächte dort mit ihrem Kolonialismus anstellten. Und so ersann Gasprinskij eine Geschichte, in der er einen Taschkenter Mullah (Abbas Efendi) über eine Expedition in das “Land der Amazonen” im Herzen Afrikas berichten ließ. Diese Geschichte publizierte Ismail bey Gasprinskij 1890 und 1891 als Fortsetzungsroman in seiner Zeitung Tergümon.

Vor einigen Jahren übersetzte Ingeborg Baldauf diese Geschichte aus dem Krimtatarischen ins Deutsche. Bisher fand sich kein Ort für eine Präsentation dieser gleichermaßen pikanten wie lesenswerten Geschichte. Nun hat Ingeborg Baldauf ihr Manuskript tethys zur Verfügung gestellt. Wir bedanken uns ganz herzlich und veröffentlichen als download die deutsche Übersetzung

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