Kabbs run free – Eine Begegnung mit den Chukar-Steinhühnern in Tadschikistan

Ein Beitrag von Andreas Mandler

 

 

 

 

 

 

 

Das Chukar-Steinhuhn (alectoris kakelik; Persisch/Tadschikisch: kabg/kabk) ist ein in den Bergen und Hügeln Zentralasiens weit verbreiteter Hühnervogel, aber auch ein beliebter Mitbewohner ländlicher und sogar städtischer Haushalte. Im Zarafshantal im Norden Tadschikistans wird das fasanenartige Chukarhuhn allgemein als Kabb angesprochen. In manchen Dörfern sind die Vögel sehr populär. Oft hängen in den Innenhöfen der Haushalte Käfige mit je einem Tier. Diese sind tagsüber mit Stoff verhangen. Zum Sonnenauf- und untergang melden sich die Steinhühner mit deutlichen tschuk… tschuk …. tschuk ….pertschuk…tschukar-tschukar-tschukar Rufen (Lautschrift Wikipedia hier). Manchmal haben die Hausbewohner mehrere Käfige, mit jeweils einem Männchen oder Weibchen darin. Rufen sich die Vögel gegenseitig, ist das Entzücken der Besitzer grenzenlos.

Laut Wikipedia ist das Chukarhuhn „sehr leicht zähmbar und seinem Besitzer und Standort treu, weswegen es in Iran, Indien, China, Afghanistan, der Türkei und anderen südlichen Ländern zum Teil zum Haustier geworden ist. Die Tiere werden auch wegen Eier und Fleisch gezüchtet … laufen frei im Haus und Garten umher und werden auch zu Kampfspielen benutzt. Man hält sie, wegen ihres angenehmen Gesangs, in sehr engen, kegelförmigen Käfigen. In Griechenland und Türkei glaubt man, dass sie einen Schutz gegen Zauberei bieten.“

Der Schutz des Hauses durch die Anwesenheit des Kabbs ist auch am Oberlauf des Zarafshan Flusses bekannt. Der Vogel steht im Ruf, Haus und Hof zu schützen. Es wäre der Mühe wert, die antizipierten Abwehrkräfte des Kabb unter den Bewohnern des Zarafshantals genauer zu erfragen. Doch vor allem erfreuen sich die Hausbewohner an deren lustigen Stimmen und ihrem ungelenk-eleganten Gang. Im Persischen ist dieser sprichwörtlich. Es heißt: „Ein Rabe wollte den Gang des Steinhuhns erlernen, dabei verlernte er seinen eigenen Gang“. Besonders schöne und zutrauliche Tiere steigern das Prestige ihrer Besitzer. Für Gäste werden die Chukarhühner zum Singen animiert oder im Hof frei gelassen.

Man erzählt sich, dass auch der Präsident Tadschikistans sich auf seinen Datschas gern mit Kabbs umgibt. Dafür fordert er, so wird berichtet, von den Forstarbeitern des Zarafshantals ein Kontingent von 40 lebendigen Hühnern pro Jahr. Das Interesse des Präsidenten am Kabb wird sich dabei nicht allein auf die Sicherheit seines Haushalts beschränken, schließlich stehen die Steinhühner im Ruf, eine Delikatesse ersten Ranges zu sein. Chukarhühner werden traditionell als besondere Speise gejagt und vermarktet. Gelegenheiten gebratene Chukarhühner oder sonstiges Wild aus den Bergen zu verspeisen, hatten die von mir befragten Dorfbewohner höchst selten, wobei sie auf das strenge Jagdreglement in Tadschikistan verwiesen. Die Jagd auf Kabbs wurde schlicht als verboten beschieden. Aber woher stammen dann die vielen als Haustiere gehaltenen Steinhühner…?

Potapov/ Fling (1989) beschreiben die Jagd auf Chukarhühner als wichtige Einnahmequelle in der Sowjetunion der 1920er und 30er Jahre. Die geschossenen Hühner wurden in der ganzen UdSSR und über den Leningrader Exportbetrieb sogar bis ins Ausland geliefert. Für den Winter 1930/31 sollen allein von diesem Betrieb 233.200 Stück gehandelt worden sein.

Die Aufzucht und der Verkauf von Steinhühnern für ferne Märkte könnte sehr lukrativ sein. Jedoch erschien die Zucht im Zarafshantal nur in Einzelfällen zu gelingen. Alle uns gezeigten Vögel wurden einzeln in Käfigen gehalten. Manche Besitzer sprachen zwar von Paarung und Nachwuchs, allerdings wurde uns in keinem Dorf ein Aufzuchtgehege gezeigt. Dies mag auch daran liegen, dass der kommerzielle Aspekt der Chukarhühner im Zarafshantal überhaupt nicht angesprochen wurde. Wie gelangen die Vögel also in die Häuser?

Das Zarafshantal bildet ein natürliches Habitat für die Chukar-Steinhühner. Sie sind Standvögel, d.h. sie unternehmen keine saisonalen Zugbewegungen. Sie präferieren Gebirgsregionen bis 2000m, in Tadschikistan finden sie sich auch bis 4000m über dem Meeresspiegel. Eine tadschikische Besonderheit sind laut Potapov und Fling deren saisonale Wanderungen zwischen Hochgebirgsplätzen im Sommer und südlichen, niedrigeren Regionen im Winter.

Chukarhühner leben im Allgemeinen in Trupps, nur während der Paarung und Aufzucht der Jungen gehen sie temporäre Partnerschaften ein. Durch „Lautgebung halten sie Kontakt mit ihrem Trupp oder dem Partnervogel. In Regionen, in denen Chukarhühner häufig sind, sind über den gesamten Tag hinweg ihre Stimmen zu vernehmen“ (Wikipedia). Bei Gefahr rennen die Chukarhühner schnell die Hänge hinauf oder fliegen diese hinab. Ein rennendes Chukarhuhn überwindet Geröllfelder und Abschnitte vertikaler Felsen leicht (Potapov/ Fling: 56). Dieses Wissen über die Lebensweise der Hühner machen sich die Jäger zu nutze.

Die Jagd findet während weniger Wochen zwischen Mitte November und Anfang Dezember statt, wenn die Vögel ihr maximales Gewicht haben. Wie die Herbstjagd auf Kabbs derzeit in Tadschikistan geregelt ist, konnte ich leider nicht erörtern, auch weil Waffenbesitz im Dorf ein heikles Thema ist, über das niemand offen spricht. Unter dem Vorwand islamistischer Gewalt kriminalisiert die tadschikische Regierung privaten Waffenbesitz.

Wie mir Abdusalom, ein ehemaliger Forstmitarbeiter im oberen Zarafshantal bei einem Besuch erzählt, ist die Jagd auf Kabbs hier im Zarafshan verboten. Ein Kabb zu schießen, kostet 500 Somoni Strafe, Äste abbrechen 50, einen Baum fällen 1500 usw. Aber er lässt mich verstehen, dass man könnte, dürfte, würde etc. .. und es also dennoch Möglichkeiten gäbe, an ein Steinhuhn zu kommen. Er lädt mich ein, am nächsten Tag ein Kabb zu fangen. Meint der das ernst?

 

Wir treffen uns am nächsten Morgen, für den lokalen Tagesablauf geradezu spät, etwa um 9 Uhr vor seinem Haus. Er sammelt noch Sachen zusammen und verstaut sie in einem zum Rucksack umfunktionierten Reis-Plastiksack. Er trägt eine Art Adidas Turnschuhe. Ich habe minimale Verpflegung und Wasser dabei. Nach den Vorbereitungen starten wir gemächlich. Ein Gewehr gibt es offensichtlich nicht. Außer dem Rucksack hat mein Begleiter seinen Kabb im Käfig unter dem Arm. Beim Gehen wird mir erläutert, dass dies ein Weibchen ist, genaugenommen ein weiblicher Lockvogel zum Anlocken der männlichen Artgenossen. Gerade dieses Weibchen wird als besonders gut gepriesen, weil es immer singt. Während wir gehen, singt es allerdings nicht. Es singt heute überhaupt nicht mehr, aber das wissen wir in diesem Moment noch nicht. Stattdessen hören wir um uns herum das Glucksen im Gelände: tschuk…tschuk…pertschuk…  wie mir scheint, sind heute hier eine Menge Kabbs unterwegs.

Vom Dorf aus steigen wir ein Seitental des Zarafschan hinauf und nach etwa eineinhalb Stunden zweigen wir ab in ein kleines Nebental. Vereinzelt stehen Wacholderbäume verteilt in dieser ansonsten ziemlich kargen Landschaft.

In der Mitte dieses Seitentals, im relativ offenen Gelände, platziert mein Begleiter den Käfig auf den Boden und beginnt Steine herum zu räumen. Mit Steinen und Holzpflöcken wird ein Viereck abgesteckt. In der Mitte eines Vierecks wird der Käfig neben einen kleinen Pflanzenbewuchs gestellt. Aus seinem Rucksack zieht er nun eine dünne Schnur mit vielen geknüpften Schlingen hervor. Diese werden gewissenhaft an den Hölzern der vier Ecken festgemacht, sodass ein geschlossenes, geschnürtes Viereck um den Käfig herum entsteht.

 

 

 

 

 

Die Idee ist nun, dass das Weibchen zu Singen beginnt, die Männchen angeflogen oder angelaufen kommen, um das Weibchen herum balzen und sich dabei in den Schlingen verfangen. Soweit der Plan. Abdusalom, der ehemalige Forstarbeiter, hat etwas Abseits ein Plätzchen unter einem einzelnen Baum für uns auserkoren, von wo aus wir mit Geduld alles weitere abwarten wollen. Wir sind nur etwa 20m entfernt, doch schon lässt sich nichts mehr erkennen: Kein Käfig, kein Vogel, schon gar keine Kabbs welche möglicherweise die Situation inspizieren. Doch von überall sind Vogelstimmen zu hören. Ein freundliches und angeregtes Geplapper, ganze Trupps von Kabbs müssen hier herumspazieren. Aber wir sehen sie nicht. Unser Weibchen im Käfig schweigt. Es ist Mitte Juni. Später lese ich, dass um diese Jahreszeit die Jungvögel schon geschlüpft sind und gemeinsam mit ihren und anderen Eltern in mittelgroßen Trupps herumziehen. Daher kommt also das Geplapper im Gelände.

Ein Adler fliegt über unsere Senke. Wir sehen lediglich seinen Schatten über den Boden gleiten. Unvermittelt hat sich Stille über unser Tal ausgebreitet. Abdusalom sagt, wenn der König kommt, verstummt das Fußvolk. Obwohl der Adler längst weg ist, erholt sich das Geplapper nicht wieder. Nicht nur schweigt unsere Kabb-Dame stur weiter, sondern nun auch die Vögel ringsherum. Wir warten unter dem Baum. Es passiert nichts. Bereits nach einer halben Stunde wird Abdusalomun geduldig. Ich hatte mich auf langes, zermürbendes Warten beim Ausspähen des Steinhuhns eingerichtet, aber dem ist nicht so. Abdusalom zückt sein Händi und spielt mit maximaler Lautstärke eine Aufnahme seines singenden Weibchens ab.

      lockruf an weibchen - ein kabb

Plötzlich ist das Plappern wieder da. Auch unser Weibchen meldet sich und macht genau 2 Mal Pieps. Dann verstummt sie wieder. Mehr passiert heute nicht. Es hilft kein schlimmes Fluchen auf Russisch, in der lokalen Vogelwelt passiert einfach nichts. Es wird Mittag, wir beginnen Kekse unter dem Baum zu essen. Kein einziger Kabb zeigt sich. Nicht viel später packen wir zusammen und steigen ab ins Dorf. Wir kehren heim, ohne halb-illegale Hühnerwilderei und ich bin beruhigt, dass so doch alles in bester Ordnung ist. Die Kabbs spazieren weiter in Trupps durch ihr Geröllgelände und wir haben ihnen dabei ein bisschen zugehört.

 

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Post Navigation