Keine Angst vor der Kabuler Universität

Ein Beitrag von Just Boedeker und olim devona

Ende August waren wir, zwei befreundete Ethnologen, an der Universität Kabul, um dort im germanistischen Seminar im Institut für Literaturwissenschaften mit den Studenten Konversationsübungen durchzuführen. Die Institute sind in einer wunderschönen Grünanlage verteilt, die in den 1960er Jahren mit amerikanischer Unterstützung angelegt wurde.

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Auf dem Campus bewegen sich die Studenten und Studentinnen in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen; die Frauen bis auf einen Augenschlitz verschleiert oder vollkommen unverschleiert und körperbetont. Bei den Männern reicht das Spektrum von weiten “afghanischen” Hemden und Hosen bis zu knallbunter, westlich inspirierter Kleidung. In der Nähe des Instituts für Kunst, einem schönen von der pakistanischen Regierung gestifteten Bau ist die Dichte extravaganter Studenten wohl am größten. Weniger extravagant geht es am Institut für Islamisches Recht (shari’at) zu.

Die große Variationsbreite dieser Auftritte zeigt, wie sehr die Universität als ein sicherer und geschützter Raum wahrgenommen und von den Studenten zum Ausleben ihrer individuellen Vorlieben genutzt wird. Dass die Universität von Kabul als einer der sichersten Orte der Stadt gilt, hängt dabei nicht nur vom Sicherheitspersonal an den Eingängen der Universität ab. Die Soldaten an den drei Eingängen kontrollieren je nach Tagesform und -zeit sehr unterschiedlich: Manchmal wird keiner ohne Studentenausweis und Durchsuchung der Taschen (wofür sie sich allerdings entschuldigten) eingelassen; manchmal wird der Fluss der Studenten unkontrolliert eingelassen.

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Während der Unterrichtsstunden mit 10 bis 20 Studenten trat uns keinesfalls ein betretenes Schweigen entgegen. Im Gegenteil: Es war kaum zu glauben, auf was für einem ausgezeichneten Niveau die Deutschkenntnisse der Studenten bereits nach wenigen Semestern waren. Immer wieder kam die Frage auf: Warum kommen keine Deutschdozenten nach Kabul? Während im französischen und englischen Seminar muttersprachliche Lektoren unterrichten (die französischen Lektoren sollen gar während des Ramadans unter ihren Tischen beim Essen und Trinken anzutreffen sein), ist diese Stellung am germanistischen Seminar wegen fehlender Unterstützung von deutscher Seite nicht vorgesehen.

Die einzigen Argumente für diesen Mangel, die uns in der Antwort darauf einfielen, waren die hohen Sicherheitsvorkehrungen für die Mitarbeiter von internationalen Organisationen. Ihnen ist es verboten sich ohne Fahrer und Sicherheitspersonal auf den Kabuler Straßen zu bewegen oder den Basar zu besuchen. Manche Organisationen verbieten ihren Mitarbeitern sogar, persönliche Kontakte mit Afghanen zu pflegen. Wir beschrieben den Studenten, wie aus dieser paranoiden Lebenssituation heraus die Mitarbeiter der NGOs die überzogenen Sicherheitsmaßnahmen stillschweigend hinnehmen.

Trotzdem versuchten wir auch in unserem deutschen Freundeskreis, der in diesem Sektor arbeitet, für die Fortsetzung unseres Unterrichtes an der Universität zu werben. Der Versuch MitarbeiterInnen einer von der Heinrich-Böll-Stiftung (!) mitbegründeten NGO für gelegentliche, ehrenamtliche Unterrichtsstunden im germanistischen Seminar zu gewinnen, scheiterte an deren Sicherheitsvorschriften. In der Organisation ließen die Vorstellungen von Zeitmanagement und der interne Verhaltenskodex den MitarbeiterInnen kaum Möglichkeiten Kontakte zu Afghanen und Afghaninnen außerhalb der Organisation aufzunehmen. Bemerkenswert ist dabei, dass gerade innerhalb der Universität und besonders in den Deutschkursen ein besonders großer Anteil an Studentinnen zu finden ist, eine Zielgruppe, an der ein starkes Interesse von Seiten der Heinrich-Böll-Stiftung zu erwarten wäre.

Wie soll man Lektoren aus Deutschland für einen Aufenthalt in Kabul gewinnen, wenn selbst internationale Organisationen sich in eine “Parallelwelt” zurückziehen? Wie soll man sie für ein Land motivieren, dessen Alltag aus der medialen Berichterstattung vollkommen ausgeklammert wird?

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Auch die Studenten, von denen viele im Einsatzgebiet der Bundeswehr leben, beklagten, dass ein normaler Kontakt zu Ausländern kaum möglich sei.
Im Gegensatz dazu gab es während der sowjetischen Besatzungszeit eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten. Es wird noch heute in den von den Sowjets errichteten Plattenbausiedlungen (Mikrorayons) berichtet, dass sie dort gemeinsam mit Vertretern verschiedener Bevölkerungsschichten lebten. In dieser Ära wurden gleichzeitig mit den sozialen Wohnungsbauprojekten auch Fabriken wie die riesige Brotfabrik (Silo) nahe des Bagh-e bala errichtet. Ebenso wurden jährlich mehr als tausend afghanische Studenten in den Sowjetrepubliken und anderen Ländern des Warschauer Paktes ausgebildet. Im Gegensatz dazu hat der DAAD sein Kabuler Büro geschlossen und bietet kaum Austauschprogramme für afghanische Studenten an.

Die internationale Gemeinschaft sucht Distanz in von ihr geschaffenen Parallelwelten, die oft mehr Imitation der Lebensweisen der jeweiligen Heimatländer sind, als das Ergebnis einer gelungenen Kommunikation mit ihrer afghanischen Umwelt.
Dabei wird vergessen, dass Nähe und Kommunikation wesentliche Aspekte zur Schaffung von Sicherheit sind. Hier an der Universität Kabul, einem der sichersten Orte Afghanistans, beschleicht einen aber derzeit das Gefühl, dass es der deutschen Seite darum gar nicht mehr geht.

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