“Ökotourismus in Kasachstan“ eine kleine Branche mit großen Hoffnungen

Ein Beitrag von Viktoria Wagner

Krauskopfpelikan

Ende April fand in Kasachstan die größte Tourismus Messe Mittelasiens statt: die Kazakhstan International Tourism Fair oder kurz KITF. Der Ort der Messe war die ehemalige Hauptstadt Almaty. Vertreter der Tourismusbranche aus dem Aus- und Inland sowie schätzungsweise 20.000 Besucher wurden erwartet. Zwar ist Kasachstan hierzulande mehr und mehr für seinen Ölboom bekannt, hat aber ein großes Interesse daran, die Tourismusbranche im Inland zu fördern. Tourismus hat sich in den letzten Jahrzehnten als ein ewig blühender Wirtschaftszweig erwiesen. Laut dem World Travel and Tourism Council (WTTC, Report 2008/2009) stieg der jährliche Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes in der Tourismus- und Reisebranche seit 2004 weltweit durchschnittlich um 4%. Schätzungsweise 34 Millionen Arbeitsplätze wurden in diesem Zeitraum durch Tourismus geschaffen. Kasachstan ist 1993 zu der World Tourism Organisation (UNWTO) beigetreten und die Tourismusbranche hat mittlerweile sogar den Status eines Wirtschaftszweiges mit hoher Priorität. Nach der schwierigen wirtschaftlichen Lage, die dem Zusammenbruch der UdSSR folgte, könnte Tourismus nicht nur einen willkommenen Geldsegen bescheren, sondern auch die ökonomische Struktur des Landes diversifizieren, die stark auf die Erschließung von Rohstoffen angewiesen ist.

Eine Nischenbranche innerhalb des Tourismus ist der Ökotourismus. Für Europäer steht dieser Begriff vor allen Dingen für eine nachhaltige Form des Tourismus. Nach den beschämenden Folgen von Ballermann und betonierten Mittelmeerstränden, suchen Europäer immer mehr eine Form des Reisens, die einen geringen Abdruck in der Umwelt des Gastgeberlandes hinterlässt. In der russischsprachigen Welt und in den Ländern Mittelasien versteht man unter Ökotourismus vor allen Dingen Naturtourismus, bei dem das Erlebnis in der Natur im Vordergrund steht. Tatsächlich hat Kasachstan in diesem Punkt viel zu bieten. Durch seine geringe Einwohnerdichte lädt es geradezu ein, der Zivilisation zu entkommen. Die bis zu 7000m hohen Bergspitzen des Tien Shan sind ideal zum Wandern und Klettern. Die scheinbar endlosen Steppen und Wüsten liefern eine atemberaubende Kulisse, in der die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Mit Naturjuwelen geizt Kasachstan nicht: wilde Tulpen, seltene Tierarten und vielerorts ein traditioneller Umgang mit der Natur. Das Land kann per Fuß, per Boot oder nach guter Landestradition per Pferd erkundet werden. Zudem ist Kasachstan noch wenig bekannt im Ausland und hat schon deshalb einen Reiz als “exotisches” Reiseziel.

Im Vergleich zu den mächtigen Wirtschaftszweigen Kasachstans, ist der Ökotourismus in Kasachstan ein sehr junger und zarter Zweig, aber ein großer Hoffnungsträger. Der Zerfall der Sowjetunion brachte diesem Land zwar die erwünschte Unabhängigkeit, aber auch ein ökonomisches Desaster, von dem sich gerade die ländlichen Gebiete noch immer nicht erholt haben. Hohe Arbeitslosigkeit, Landflucht und Alkoholprobleme haben den Alltag der Menschen fest im Griff. Ökotourismus soll diese Probleme, wenn nicht gerade beseitigen, so doch lindern. Auch für den Naturschutz gewinnt Ökotourismus mehr und mehr Bedeutung.

Der Schwund an vielen bedrohten Tierarten ist unmittelbar verknüpft mit der desolaten wirtschaftlichen Lage der Menschen vor Ort. So ist für viele Menschen die Jagd auf die seltene Saiga Antilope, deren Fleisch und Hörner einen hohen Wert auf dem Schwarzmarkt haben, die einzige Einkommensquelle. In vielen Ländern wurde von Erfolgen berichtet, bei denen aus illegalen Jägern zahme Wanderführer wurden. Warum nicht auch in Kasachstan?

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Die Vorteile des Ökotourismus scheinen zum Greifen nahe, aber in Kasachstan ist man in diesem Punkt noch ganz am Anfang. Von Hoffnungen und Hindernissen kann die NGO Öko-Zentrum Aq Tyrna (“Eko-zentr Aq tyrna”) mit Sitz in der Kleinstadt Karamendy, in Nordkasachstan, einiges berichten. Diese Vereinigung verfolgt das Ziel, den Naturschutz sowie die nachhaltige soziale und ökonomische Entwicklung im Naurzumski Rayon zu fördern. Der Direktor des Ökozentrums, Igor Smbaev, ist überzeugt, dass Ökotourismus ein passendes Mittel ist, die Probleme in der ländlichen Gegend zu mindern. Ökotourismus soll alternative Erwerbsmöglichkeiten für die Bewohner bieten und so den Druck auf die natürlichen Ressourcen mindern. Arbeitslosigkeit treibt die Menschen vor Ort dazu, illegal Holz zu schlagen oder seltene Tierarten zu jagen. Trotz der angespannten wirtschaftlichen Lage hat die Region in der Tat viele Naturreize zu bieten.

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Eine Besonderheit der Region sind die vielen Seen, die in die Steppenlandschaft gesprenkelt sind. Die Gewässer sind ein bedeutendes Rastgebiet für eine der größten Vogelmigrationsrouten Asiens. Hier ziehen Vögel von ihren Brutgebieten in Sibirien zu den Überwinterungsgebieten in Südasien. Die Liste an seltenen Vogelarten ist beindruckend lang und versetzt das Herz des Naturbegeisterten in Entzücken. Jungfernkraniche und Großtrappen stapfen durch die Steppe. Krauskopfpelikane und Singschwäne gleiten im Wasser. Kaiseradler spähen von Strommasten auf ihre Beute. Hier befindet sich außerdem ein Rastgebiet für den Schneekranich (kasachisch: Aq tyrna), mitunter eine der seltensten Vogelarten weltweit. Die Besonderheit dieser Region wurde bereits früh zu sowjetischen Zeiten erkannt und ein Teil der Seenlandschaft sowie eine große Fläche der angrenzenden Steppen und Kiefernwälder seit 1931 im Naturreservat Naurzum unter Schutz gestellt. Die globale Bedeutung der Region für den Naturschutz ist auch auf der internationalen Ebene angekommen: im Jahr 2008 wurde das Naturschutzgebiet Naurzum in das UNESCO Weltnaturerbe aufgenommen. Solch eine Natur scheint für den Ökotourismus wie geschaffen zu sein, dachten sich die Gründer des Öko-Zentrums Aq Tyrna. Der Weg zur Etablierung des Ökotourismus war und ist jedoch mit vielen Steinen gepflastert. Enthusiasmus alleine reichte nicht aus, Startkapital in Form von Fördergeldern musste als erstes her. Die schwache Infrastruktur bremst die Ambitionen gewaltig und zeigt der NGO ihre Grenzen auf. Zwar gibt es einen kleinen Flughafen in der 200km entfernten Stadt Kostanay, aber die meisten internationalen Flüge in Kasachstan landen in der 2000km entfernten Stadt Almaty. Da die Straßen schlecht sind, erweist sich auch der Transport innerhalb der Region als langwierig. Weitere Annehmlichkeiten wie Restaurants und Cafes gibt es in der Region fast keine. Die Menschen sprechen außer Kasachisch und Russisch keine Fremdsprachen. Weiterhin räumt Herr Smbaev ein, dass Werbung für die eigene Sache bislang ungenügend vorhanden war. Er nennt außerdem eine weitere Schwierigkeit, die weder Außenstehenden ersichtlich ist, noch in der Fachliteratur erwähnt wird: die einheimische Bevölkerung glaubt einfach nicht an die Vorteile und die Machbarkeit von Tourismus in ihrer Region. Zu sowjetischen Zeiten war der Tourismus auf bestimmte Gebiete der Sowjetunion beschränkt, etwa dem Schwarzen Meer, lokale Ziele den Bürgern Kasachstans jedoch wenig bekannt. Tourismus war staatlich organisiert und nur für besser Betuchte zugänglich. Auf die Idee Tourismus in der Steppe aufzubauen, wäre kein Mensch von alleine gekommen, denn touristische Destinationen waren vor allen Dingen Sanatorien in den grünen Bergen oder Mausoleen und Moscheen im benachbarten Usbekistan für ausländische Touristen. Die Gegend Naurzum war vor allen Dingen eine bedeutende Kornkammer in der ehemaligen Sowjetunion. Viel Steppe wurde hier umgebrochen. Die Menschen in der Region waren und sind vor allen Dingen Landwirte. Hier muss die NGO also noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Trotz all dieser Hindernisse bleibt Herr Smbaev geduldig und optimistisch, und die ersten Erfolge geben ihm Recht. Nach anfänglichen Schwierigkeiten konnte ein Gästehaus für Touristen gebaut werden. In den letzten Jahren wurden Schulungen im Filzen traditioneller Souvenirs für einheimische Frauen veranstaltet. Das weckt Hoffnung bei der Bevölkerung. Und während in Almaty die internationale Tourismusmesse auf steigende Besucherzahlen hofft, feiert die NGO in Karamendy ihren ersten kleinen Erfolg. Zwei Gruppen von Vogelkundlern aus Österreich und Norwegen haben sich als Besucher für die kommende Saison angekündigt.

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Kasachstans Ökotourismus macht auch auf nationaler Ebene Sprünge nach vorne. Im Jahr 2005 wurde das Informations- und Ressourcenzentrum Ökotourismus (IRZÖ) mit Sitz in Almaty unter der Schirmherrschaft der Kasachstanischen Tourismus-Assoziation gegründet. Diese Vereinigung widmet sich ausschließlich dem Aufbau einer ökotouristischen Struktur im Inland. Zu den Tätigkeitsgebieten zählen Beratungen, Schulungen, Zertifizierungen, Marketing und Werbung. Sieben Kernprojekte mit ca. 88 Gasthäusern in den verschiedensten ländlichen Ecken Kasachstans konnten bislang aufgebaut werden. Ökotourismus in Kasachstan hat jetzt durch die Homepage des IRZÖs ein Gesicht. Hier können sich Interessierte auch deutsch- und englischsprachige Informationen zu den Zielorten ansehen und Touren gleich buchen.

Viel wurde geschrieben über die Vorteile und Nachteile von Tourismus im Ausland, insbesondere in sich entwickelnden Ländern. Tourismus sei ein Geldsegen für strukturschwache Regionen, tönt es von Seiten der Befürworter. Zerstörung der Kultur und Natur durch fremde Invasoren, mahnen die Kritiker. Sicher ist, dass der Tourismus in Kasachstan auch solche Gefahren birgt. Aber Ökotourismus ist eine Chance für die ländlichen Gebiete in Kasachstan, die vom Ölboom bisher nichts gespürt haben. Er ist auch eine Chance für naturbegeisterte Menschen, diese wenig bekannten Gegenden zu entdecken und sich an ihnen zu erfreuen. Ob solch ein Akt in der Zukunft nachhaltig erfolgen kann, hängt davon ab, wie groß die Touristenströme sein werden und welche Verantwortung Gastgeber und Touristen übernehmen.

Viktoria Wagner ist Biologin und derzeit am Institut für Biologie/Geobotanik und dem Botanischen Garten der Martin Luther Universität Halle-Wittenberg tätig. Sie kam kürzlich als Redakteurin für Naturräumliche Fragen Zentralasiens zu tethys.

3 Thoughts on ““Ökotourismus in Kasachstan“ eine kleine Branche mit großen Hoffnungen

  1. Sehr schön, wenn auch mal auf andere als die bekannten Reiseziele für Ökotourismus aufmerksam gemacht wird!

  2. Viktoria Wagner on May 26, 2010 at 17:18 said:

    Wer Lust bekommen hat, die Natur in der Region Naurzum vor Ort kennenzulernen, kann sich direkt an Igor Smbaev von der NGO Aq Tyrna wenden:

    naur_smbaev@mail.ru

  3. Pingback: Readers Edition » Ökotourismus in Kasachstan – eine kleine Branche mit große Hoffnungen

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