Orte der Liebe, Orte zum Heiraten, Bischkek 2009

Vorbemerkung: Die erste Variante des Beitrages erschien unvollständig. Deswegen veröffentlichen wir ihn jetzt nocheinmal.

Ein Text von Wladimir Sgibnev, 2009

[inspic=619,,,0]Bei einem Spaziergang durch die Parks der zentralasiatischen Hauptstädte sind sie nicht zu verkennen: die vielen jungen Pärchen, die nach Unterrichtsschluss in den Unis ihre Zeit händchenhaltend beim Spazierengehen verbringen oder die Sitzbänke bevölkern. Das russische Verb “gulat’ ” heißt je nach Situation “spazieren gehen”, “feiern” oder eben “zusammen sein”. Hier in den Stadtparks wird die ganze Bandbreite dieses Worts sichtbar. Was in ländlichen Gebieten undenkbar ist, ist im modernen Bischkek alltäglich.

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Ebenso wenig aus dem Stadtbild wegzudenken sind die zahlreichen Hochzeiten, im Gegensatz zu den Spaziergängen im Park eine institutionalisierte und gesellschaftlich breit akzeptierte Form menschlicher Beziehungen. Wir werden im Folgenden die Orte dieser institutionalisierten Liebe in Bischkek besichtigen und deren Entwicklung im Laufe der Zeiten nachzeichnen. Dabei wird es größtenteils um sowjetisch verwurzelte Hochzeiten gehen, wie sie heute, nach wie vor, wenn auch unter teils veränderten Vorzeichen, von europäisierten Kirgisen gefeiert werden.
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Dem offiziellen Teil der Feier folgt in den allermeisten Fällen eine Stadtrundfahrt, bevor am Nachmittag das Hochzeitsessen anfängt. Die Stadtrundfahrt umfasst in jeder Stadt einige Pflicht-Punkte. Daraus lässt sich so etwas wie eine Hochzeits-Geographie der Stadt ableiten. Ein unbedingter Bestandteil des Besichtigungsprogramms ist zum Beispiel ein zentrales Denkmal, um Blumen niederzulegen und sich dort fotografieren zu lassen.

Für gewöhnlich ist es das Denkmal der Kriegsgefallenen. Es gibt verschiedene Theorien, wie sich diese Tradition entwickelt hat. Zum einen gab es ein Denkmal dieser Art in jeder auch noch so kleinen Stadt der Sowjetunion. In den kleinen Städten waren es möglicherweise sogar die einzigen Sehenswürdigkeiten, die die Stadt zu bieten hatte. In ihrer Untersuchung zu solchen “Hochzeits-Sehenswürdigkeiten” am Beispiel von Sankt-Petersburg geht Olga Boyzova tiefer auf die Entstehungsgeschichte des Rituals ein. Es lässt sich seit den 60er Jahren beobachten. Das Ewige Feuer, ein Pflichtbestandteil der Pionierweihe, wurde auch in die Hochzeit, den folgenden Passage-Ritus des sowjetischen Lebens, übernommen.

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In Frunse, wie Bischkek zu Sowjetzeiten hieß, fand die Blumenniederlegung am Denkmal der für die Sowjetmacht gefallenen Rotarmisten im zentralen Park statt. Daneben befand sich ein bronzener fünfzackiger Stern, aus dem eine Ewige Flamme zu Ehren des Unbekannten Soldaten brannte. Der Obelisk wurde 1960 eröffnet; 1970 kam die Flamme hinzu.

Ein interessantes Phänomen setzte Mitte der Achtzigerjahre ein: 1985 wurde am Siegesplatz ein neues Denkmal zu Ehren der Mutter Heimat eingeweiht. Die Form des Monuments war eindeutig an die Jurte angelehnt und Mutter Heimat selbst wies eindeutig kirgisische Gesichtszüge auf. Es setzte eine Hochzeitswanderung frisch verheirateter Kirgisen zu diesem Denkmal ein, um nunmehr Blumen an einem Ort niederzulegen, der sowohl ins klassisch sowjetische Denkmalschema hineinpasste, als auch kirgisischen National-Kolorit aufwies.

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Die Popularität dieses Ortes hielt auch nach der Unabhängigkeit bis in die Neunzigerjahre an. 1995 wurde das tausendjährige Jubiläum des kirgisischen Nationalepos’ Manas begangen. Für die dazugehörigen Feierlichkeiten wurde am Südrand der Stadt eine Betonlandschaft mit nomadischen Elementen errichtet. Sie soll ein Feldlager der frühen Kirgisen darstellen und ist über und über mit mythischer Ornamentik aufgeladen. An Samstagen drängen sich dutzende Hochzeitsgesellschaften im Manas Ajyly, dem “Manas-Dorf”, so dass die Frischvermählten Schlange stehen müssen, um ein gutes Motiv hinzubekommen. Nach Aussage einiger Hochzeitspaare ist Manas Ajyly ein fester Bestandteil des Besuchsprogramms, weil Manas’ Geist und seine Energie über dem Ort schwebt. So ist es an diesem Ort möglich, Manas’ Segen für die junge Familie einzuholen.

Die Begeisterung frisch vermählter Kirgisen für Manas Ajyly passt in das Schema einer erstarkenden Begeisterung für das nationale Erbe nach der Unabhängigkeit. Ein Foto-Termin im Manas-Dorf wäre demzufolge ein Schritt zu verlorenen nomadischen Traditionen. Es ist eins der erfolgreichen Projekte der Regierung von Askar Akaev: hier ist es tatsächlich gelungen, Nation-Building mithilfe von Beton voranzubringen.

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Es gibt staatliche Vorgaben in Form eines mit Ideologie aufgeladenen Ortes, sei es das Manas Ajyly oder das Ewige Feuer für den Unbekannten Soldaten. Diese Vorgaben werden unterschiedlich rezipiert, etwa in einem nationalen Sinn, entgegen der offiziellen Absichten, wie etwa im Fall des Denkmals für Mutter Heimat. Manas Ajyly war deswegen erfolgreich, weil die Nation-Building-Strategie der Regierung einen neuen, interessanten, gefühlt schönen Ort produzierte, der eine Projektionsfläche für das genuine Interesse der Bevölkerung an nationalen Traditionen lieferte.

Manche Paare besuchen nur einen der erwähnten Orte; manche alle drei Orte hintereinander, das Ewige Feuer, das Siegesdenkmal und schließlich Manas Ajyly; andere wieder fügen dem Programm weitere Parks hinzu, je nach Terminzwängen am Hochzeitstag, je nach Familientraditionen, je nach Vorschlägen des Hochzeitsphotographen. Ihm kommt tatsächlich eine zentrale Rolle zu, da er den Photo-Reigen dirigiert und die abzuarbeitenden Orte vorschlägt, oft gar explizit vorgibt.

Doch so wie das Beton des Manas-Dorfs langsam bröckelt, so lässt auch seine Popularität nach. Durch den schlechten Zustand bietet es immer weniger den gewünschten feierlichen Rahmen. Es ist aber auch ein allgemeiner Trend zur Entideologisierung des Hochzeits-Betriebs zu beobachten. Es geht nicht mehr so sehr darum, den Gefallenen oder den nationalen Traditionen Respekt zu zollen, sondern allein darum, schöne Hochzeitsphotos in prächtiger Kulisse zu produzieren. Dieser Entwicklung zu mehr Individualisierung und Kommerzialisierung entspricht der neu eröffnete Park der Liebe.

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Der Flughafensee im Süden der Stadt wurde an einen Geschäftsmann verpachtet, der einen Liebes-Themenpark dort aufbauen ließ, welcher August 2009 seine Tore öffnete. Mitten im See gibt es eine Fontäne, die abends bunt leuchtet und Musik spielt. Am Ufer befindet sich ein Restaurant mit bunten Pavillons. Bald kommt ein Hotel hinzu, dem Geschäftsführer zufolge mit herzförmigen Betten und Rosen-Seife.

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Außerdem bieten sich reichlich Gelegenheiten zu Hochzeits-Spielchen und daher viele Photo-Anlässe. So gibt es etwa ein herzförmiges Gitter, an dem Vorhängeschlösser als Unterpfand ewiger Liebe befestigt werden können. In einem in den See hineinragenden Pavillon mit Blick auf die Bergkette des Ala-Too wurde ein herzförmiger Marmorblock angebracht, in dem Vertiefungen für zwei Hände eingelassen sind. Am Uferweg entlang lassen sich aus weißen Kieselsteinen auf dunklem Boden Liebesbotschaften auslegen: sehr populär, trotz expliziter Verbote.

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Die Hochzeits-Geographie Bischkeks hat sich, wie wir gesehen haben, im Laufe der Jahre sehr stark gewandelt. Und es wird nochmal spannend zu sehen, was den Park der Liebe denn in einigen Jahren ablösen wird!

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One Thought on “Orte der Liebe, Orte zum Heiraten, Bischkek 2009

  1. Außergewöhnliche Orte zum Heiraten sind richtig in Mode gekommen. Hier sind auch noch gute Tipps, wo man heiraten kann, wenn man mal was anderes möchte!
    http://magazin.traumhochzeit.com/Aussergewohnliche-Orte-zum-heiraten

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