Der etwas verspätete Start ins neue Jahr beginnt mit einem Hinweis auf eine sehenswerte Dokumentation aus dem Leben der deutschen und amerikanischen Soldaten in Afghanistan. Ashwin Raman, ein in Indien geborener Journalist, der sich auf Dokumentarfilme spezialisiert hat, besucht in seinem Beitrag “An Vordersten Fronten: Kriegsalltag in Afghanistan” – der in der ARD Mediathek versteckt ist – verschiedene deutsche und amerikanische Einheiten in Nord-, Ost- und Südostafghanistan.
Der etwas reißerische Titel sollte dabei nicht abschrecken. Dahinter verbirgt sich eine dreiviertel Stunde hervorragende Berichterstattung, die die Fragwürdigkeiten und Absurditäten des Kriegseinsatzes in Afghanistan in Bildern und Interviews erzählt. “Auf verlorenem Posten” hätte dem Inhalt des Films eher entsprochen. Aber dann hätte der Film wohl noch weniger Zuschauer erreicht. Ausgestrahlt wurde “An vordersten Fronten” von der ARD am 22.09.2010 um 0:00 Uhr. Es ist bezeichnend, dass in Deutschland ein Truppenbesuch mit Dame und Talkmaster medialen und öffentlichen Wirbel zur Hauptsendezeit erzeugt, während der Versuch, sich mit den Realitäten in Afghanistan auseinanderzusetzen eigentlich überhaupt nicht wahrgenommen wird (oder werden soll?). Ein Interview mit Raman zu seiner Arbeit an der Dokumentation ist hier zu lesen.
Zum Inhalt
Zu Beginn des Films begleitet Ashwin Raman die deutschen Soldaten auf Patrouillen und in den Lagern in Mazar-e Sharif, Kunduz und Chahaar Dara: Präsenz zeigen und Flugblätter kleben in den von den deutschen Soldaten “Schmutzfußland” genannten “feindlichen” Gebieten. Mit Jim Knopf und Karl May versucht die Bundeswehr und ihre jungen Soldaten in Afghanistan die sie umgebende Realität zu verarbeiten. Und auch die Amerikaner versuchen sich irgendwie im “Feindesland” einzurichten. Im Pech-River Valley in Kunar zeigt Raman eine amerikanische Einheit beim Versuch ihr gefährdetes Außenlager aus dem Talgebiet auf eine “sicherere” Anhöhe zu verlegen. Doch eigentlich ist die Truppe nur dabei, die von ihrer Anwesenheit provozierten Angriffe abzuwehren. In Peschawar und den Stammesgebieten auf pakistanischer Seite kommt dann auch kurz die “andere Seite” zu Wort. Wieder in Kabul besucht Raman gut gelaunte Gefangene im Gefängnis Pul-e Sharqi bei einer Koranschulstunde. Auch Abdul Salaam Zaeef, den ehemaligen Sprecher der Taliban, dessen Buch My Life with the Taliban kürzlich auf Englisch erschienen ist, lässt er zu Wort kommen. Kurz, knapp und überzeugend legt dieser das Dilemma des deutschen Militäreinsatzes dar. In Camp-Kandahar und in (Such)Einsätzen amerikanischer Einheiten in Helmand zeigt Raman dann noch einmal die Absurditäten und Grausamkeiten sowie die Aussichtslosigkeit des gesamten militärischen Unterfangens. Wer dabei ganz sicher auf der Verliererseite steht ist die Bevölkerung. In den letzten 10 Jahren haben vor allem die Menschen Afghanistans gelitten.
Auch manchen Soldaten “beschleicht der Verdacht, dass in Ihrem Kampf gegen die Taliban irgendetwas völlig schief läuft, und sie in Wahrheit nichts an den Zuständen hier ändern können” – die deutsche Afghanistan-Politik und den Sinn des Einsatzes mag dann folglich auch niemand offen kommentieren. Der Film, der mit der Ankunft zweier Bundeswehrsoldaten im Lager in Mazar begann, endet dann mit den Bildern vom “Hauptbahnhof Lummerland” und der Verabschiedung einer Gruppe von Soldaten aus einem Land, von dem in Deutschland auch zehn Jahre nach Kriegsbeginn leider noch immer so gut wie nichts bekannt ist.