Von Häusern und Menschen – Architekturführer Duschanbe erschienen

Ein Beitrag von Thomas Loy.

Seit Anfang Mai gibt es einen weiteren herausragenden Beitrag der DOM-publishers Zentralasien-Architekturführer nach Kasachstan, und Taschkent.
Edda Schlager, bekannt für ihre Berichte und Reportagen aus Kasachstan und den angrenzenden ehemaligen Sowjetrepubliken begab sich auf architektonische Spurensuche und Streifzüge und portraitiert im Architekturführer Duschanbe detailliert und einfühlsam alte und neue Bauwerke, ArchitektInnen und Bewohner der jungen, erst 1924 gegründeten Hauptstadt Tadschikistans.

Das neue Stadtzentrum mit Blick auf den “Platz der Freundschaft”, mit dem Denkmal Ismoil Somonis im Vordergrund und dem 45 Meter hohen goldenen Staatswappen am anderen Ende der Promenade. Links vorne das Gebäude der neuen Nationalbibliothek (Bauzeit 2007-2012) und das mittlerweile abgerissene Kinotheater Dschomi. Im angrenzenden Rudaki-Park der “Palast der Nation” (Bauzeit 2006-2008), die Residenz des Präsidenten. Dahinter in weiß der von Qatar finanzierte luxuriöse Wohn- und Geschäftskomplex “Diar Duschanbe” (von den 10 geplanten Gebäuden am Südufer des “Komsomol-Sees” stehen derzeit drei). Rechts davon das blauverglaste 5-Sterne-Hotel Hyatt-Regency. Davor am rechten Bildrand der “Navruz-Palast”, das mit über 33.000 Quadratmetern Gesamtfläche größte und wohl teuerste Teehaus Zentralasiens (Bauzeit 2009-2014). Im Hintergrund dezent die Hügel und Berge der nördlich der Stadt in Ost-West Richtung verlaufenden Hissar-Kette. Foto: Edda Schlager

Seit den 2000er Jahren vollzieht sich in Duschanbe der radikale Umbau des Stadtzentrums. Sowjetische Architektur wird abgerissen und ersetzt durch eine “tadschikische” Moderne, deren Vorbilder in den benachbarten Hauptstädten ebenso zu finden sind, wie in einem an den Baustil Dubais und der Emirate angelehnten “islamischen” Internationalismus. Dafür werden alte Platanenalleen abgeholzt und Geschichte entsorgt. Die alten Bazaare und Wohnviertel mit ihren durch Mauern nach außen abgeschotteten Gehöften (samt Gärten und eingeschossiger Bebauung) sowie die zwei- und mehrstöckigen Wohn- und Verwaltungsgebäude der 1920er bis 1980er Jahre (wie etwa das konstrukivistische zentrale Hauptpostamt) werden ersetzt durch luxuriöse Apartmentblocks und Hotelanlagen, verglaste Bürogebäude und den gigantomanischen Neubauten, die in der Regel von türkischen, iranischen, chinesischen und golfarabischen Investoren finanziert werden. So entstanden (oder entstehen gegenwärtig) die neue Nationalbibliothek am Platz der Freundschaft, der Präsidentenpalast (kox-i millat) sowie das größte Teehaus (kox-i navruz), die größte Moschee und der größte Flaggenmast Zentralasiens. Der Kontrast zum Rest des Landes könnte kaum größer sein.

 

 

Wohntürme im 13. und 14. Mikrorajon. Architekturführer Dushanbe S. 166-167. Foto: Edda Schlager

Im Klappentext heißt es dazu: “Mit dem Architekturführer Duschanbe legt Edda Schlager (und ihre Co-AutorInnen) nicht nur das kenntnisreiche Portrait einer Stadt vor sondern auch eine aktuelle – und womöglich letzte – Bestandsaufnahme ihres baulichen Erbes”. Dabei behilflich waren ihr neben ihrem feinen Auge für Menschen und Details (wunderbar etwa ihre tollen Fotos der sowjet-tadschikischen Mosaikkunst), ihre Begabung den Alltag einzufangen und ihre unvoreingenommene Bereitschaft den Menschen zuzuhören. Selten liest man schöner, informierter und empathischer über Tadschikistan und Zentralasien.

Dass dieser Architekturführer mehr LeserInnen verdient als ArchitektInnen – denn er ist viel mehr als der Titel verspricht – sollte schon klar geworden sein. Ohne dieses 280 Seiten starke Buch sollte niemand mehr nach Tadschikistan reisen. Und allen, die sich die Region vom Ohrensessel aus erschließen wollen, sei die Lektüre dieses Buches ebenfalls wärmstens empfohlen. Denn wie der Herausgeber und Chef des Verlages DOM-Publishers bei der Vorstellung des Buches in der tadschikischen Teestube in Berlin so treffend bemerkte: Architektur ist mehr als “nur” Bauen; denn wer versteht wie Menschen bauen, der versteht wie Menschen denken und Gesellschaften funktionieren.

Innenhof des Filmtheater “Watan” (Baujahr 1940) am Prospekt-Rudaki, der einstigen und heutigen Hauptstraße Duschanbes. Filme konnten einem großen Kinosaal im Gebäudeinneren und im rückwärtigen Innenhof im Freien gezeigt werden. Heute wird der Innenhof nur noch zum Trocknen von Wäsche genutzt. Foto: Edda Schlager

Als kleine Leseprobe und Appetithappen für Unentschlossene, hier in Auszügen (S.23-24) Edda Schlagers einführendes Kapitel zum Architekturführer Duschanbe:

„Sie kommen zu spät!“ Das sind die Worte, mit denen mich Holger Green, der deutsche Botschafter in Tadschikistan im Sommer 2015 empfängt, als ich ihm von meinem Vorhaben erzählen will, einen Architekturführer zu Duschanbe zu verfassen. Was der Botschafter meint, habe ich seitdem mehrfach gehört, von Ausländern und von Einheimischen gleichermaßen. Duschanbe sei nicht wiederzuerkennen, heißt es, kein Vergleich zu damals vor zwanzig, zehn oder noch vor fünf Jahren. Alte Bausubstanz werde rücksichtslos abgerissen und müsse Neubauten weichen, winkt man resigniert ab, schüttelt den Kopf.

Blick nach Norden vom Dach eines sowjetischen Wohnhauses in einem der vielen seit den 1960er Jahren entstandenen Plattenbaubezirken (Mikrorajon) der Stadt. Sozialer Wohnungsbau in Tadschikistan heute? Auch dazu kann man im “Architekturführer Duschanbe” einiges lesen. Foto: Edda Schlager

Ich bin erstaunt über diese Bestimmtheit. Als Journalistin muss ich der aktuellen Lage gegenüber immer offen sein. Nun, ich werde sehen, ob ich noch etwas Interessantes finde, denke ich – viel mehr bleibt mir auch gar nicht übrig mit dem Auftrag für das Buch in der Tasche. Die Recherchereise fällt in eine Zeit, in der erneut Gerüchte durch die Stadt wabern, seit ein paar Jahren geht das schon so: Die Stadtverwaltung, das Hukumat, wolle das alte Duschanbe dem Erdboden gleichmachen, um Platz zu schaffen für neue Prunkbauten, die zweifelhaft sind sowohl in der Finanzierung als auch in ihrer Sinnhaftigkeit für die gewöhnlichen Duschanbiner. Tatsächlich wurde damit begonnen, einige stadtbildprägende historische Bauten in Duschanbe abzureißen. Die Begründung der Stadtverwaltung: Viele der zum Teil noch aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren stammenden Gebäude seien nicht mehr sanierungsfähig. Zudem müsse die tadschikische Hauptstadt ein moderneres Gesicht bekommen, neue Regierungsgebäude würden dringend benötigt, der Fortschritt mache schließlich auch vor Tadschikistan nicht halt.

Mittlerweile gibt es das einst gegenüber dem Parlament gelegene alte Postamt und das Kino Kochi Dschomi nicht mehr. Das Majakowski-Theater wurde abgerissen, ebenso der Basar Barakat; er befand sich einst am Somoni-Prospekt, linkerhand, wenn man aus Richtung des alten Präsidentenpalasts nach Westen fuhr. Noch vor wenigen Jahren hatte ich hier Obst gekauft. Viele alte Wohnhäuser sind ebenfalls verschwunden, vor allem am Rudaki-Prospekt fällt das auf. Hier wachsen nun neue Wohn- und Geschäftshäuser aus dem Boden. Fraglich ist, wer von den einfachen Duschanbinern sich diese Wohnungen leisten können wird. Die größte Drohung allerdings hängt noch wie ein Damoklesschwert über der Stadt: Die Tschaichana Rochat soll weg. Dies wäre für viele Duschanbiner wohl der schwerste, symbolträchtigste Verlust, die deutlichste Missachtung der einheimischen Stadtbevölkerung. Auch ich saß schon unzählige Male in diesem Teehaus an einem der mit klebrigen Wachstuchdecken bespannten Tische im offenen ersten Obergeschoss, mit Blick auf den Rudaki-Prospekt und einem Teller Plow vor der Nase. Die Freude darüber, wieder einmal in Duschanbe zu sein, habe ich stets an diesem Ort am intensivsten empfunden, wenn ich vor der Sommerhitze – und die herrscht in Duschanbe von Juni und bis Ende September – in den Schatten unter die hohen Säulen geflohen war und ein kühler Wind das murmelnde Schmatzen der Gäste, das Schlurfen der Bedienung, das Autohupen von der Straße her verwehte.

Das erste Mal kam ich im Jahr 2005 nach Duschanbe. Gemeinsam mit einer Freundin und Kollegin sollte ich ein Seminar für junge Journalisten leiten. Erst wenige Monate zuvor war ich nach Almaty in Kasachstan gezogen, um Russisch zu lernen. (Mittlerweile lebe und arbeite ich seit zwölf Jahren in Zentralasien – was damals für mich unvorstellbar gewesen wäre.) Mit meinem Russisch war es noch nicht weit her, und ich wich meiner Freundin nicht von der Seite – Russisch war ihre Muttersprache. Mit ihr saß ich im Rochat, und gemeinsam planten wir dort unsere Expeditionen in die Stadt. Oxana hatte ein besonderes Anliegen. Geboren in Kasachstan, aber aufgewachsen in Duschanbe, war sie zu Beginn des Bürgerkriegs, damals noch ein Teenager, mit ihrer Familie nach Deutschland ausgewandert. Mehr als 20 Jahre später kehrte sie nun erstmals in die Stadt ihrer Kindheit zurück. Gemeinsam fuhren wir in den 54. Mikrorayon auf der anderen Seite des Warzob-Flusses und suchten nach dem Haus, in dem sie gelebt hatte.

Wir fanden es. Ein vierstöckiger Plattenbau in der Alisher-Navoi-Straße. Im Hof tranken struppige Kinder Wasser direkt aus dem schmutzigen Aryk. Das Haus war heruntergekommen, die Fensterscheiben fehlten, es gab keinen Strom. In der Fassade waren Einschusslöcher aus dem Bürgerkrieg zu sehen. Der Flur im ersten Geschoss zu der kleinen Wohnung, in der Oxana als Kind gelebt hatte, wirkte düster und schmutzig. Ich kann mich nicht erinnern, ob wir wagten anzuklopfen, um die Wohnung von innen zu sehen. Aber noch heute sehe ich Oxana in dem dämmrig-modrigen Treppenhaus vor einer herausgebrochenen Balkonfensteröffnung stehen, ihre Silhouette dunkel im hereinflutenden Licht eines heißen Sommertages – bitterlich weinend. Das Bild dieses Hauses war in ihrer Erinnerung lebendig und hell, erfüllt von Kinderlachen, Gerüchen und Gerüchten – und es stimmte so gar nicht mit dem überein, was sie jetzt hier wiedergefunden hatte.

In den darauf folgenden Jahren kehrte ich mehrmals nach Duschanbe zurück…

Aus: Edda Schlager, Architekturführer Duschanbe (“Anstelle eines Vorworts: Begegnungen”)

Edda Schlager
Architekturführer Duschanbe
Mit Beiträgen von Dmitri Chmelnizki, Sergej Chmelnizki,
Xeniya Mironova und Wladimir Sgibnev
134 x 245 mm, 288 Seiten
400 Abbildungen, Softcover
ISBN 978-3-86922-432-9 (deutsch)
EUR 38.00 / CHF 46,40
Mai 2017. DOM publishers, Berlin

 

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