Windreiter: Blogging Zentralasien

Ein halbes Jahr auf Tethys mit Flaschenpost aus den Quadranten des Landmeeres Zentralasien. Zeit, eine kleine Bilanz zu ziehen und den Blick zu heben. Jens A. Forkel

In der Emphase der Vernetzung erhebt sich die Freiheit der Wahl, des ungetrübten oder zumindest einfarbig getrübten Blicks auf das, was wir Welt nennen. Dem geübten Auge des Medienkonsumenten erscheint dieses Ding als die rotationssymmetrische Projektion vom Standpunkt des Erhobenen aus, wahlweise dekoriert mit Wetterzonen, plastischen Naturwunderlichkeiten aus tiefem Blau oder doch zumeist dem allgegenwärtigen und wuchernden Ocker der terra cognita. Zukünfte der Welt, der Menschen, des gesamten Lebens werden so vermittelt und suggerieren eine haptische Greifbarkeit der Zeit mit der fingerschnippenden Raumerfahrung, den Globus ordentlich in Schwung zu versetzen. Oh ja, Charlie give ‘em a turn.
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Zentralasien mit dem Zeigefinger zu treffen, wenn man genug von diesem Spiel hat, ist nicht so schwer. Dabei zu bleiben schon. Denn verbildlicht nivelliert die helle Erdfarbe vom Auge des Satelliten den natürlichen Impuls da zu sein ins Karge und somit Asketische. Trieb wird von Interesse abgelöst, welches Problembewusstsein und Stellungnahme erfordert. Die grafischen Memorabilia des Natürlichen werden bestimmt von wachsenden Wüsten, schrumpfenden Seen und fruchtbaren Tälern, wie Schlupfwinkel des menschlichen Paradieses inmitten von Gesteinsmassen, die sich von Süden aufschieben. Und gleich kommt jedem in den Sinn, wie mit Linien das Gebiet historisch begriffen werden kann: Wege, nein Straßen, die zu uns sich schlängeln. Durch wildes Terrain, das oft noch menschenleer erscheint, weil es voller Händler ist, Mittelsmänner zwischen der Ocker-Wüste und den Welten voller Wasser. Was für ein Abenteuer für zylindertragende Herren!

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Und heute von Motorrad-Freaks! Nur die Seide hat man ausgelassen: Лукойл und Газпром steht geschrieben und die dräuen von Norden wie einst der Zar, erst der richtige, dann der mit dem großen Schnauzer und den Gummihandschuhen feldgrün aus Berlin zurück. Joschka schraubt am Schauobjekt und sticht die Achse wie einen Dolch bei Termez durch die starre Hülle. So dreht sichs schön und unbesehn strudeln die Friedenstruppen der afghanisch befriedeten Peripherie aus dem Zentrum des großen Badewannenspiels. Würde da nicht im abgeschiedensten Teil der Welt plötzlich und wie aus dem Nichts ein Nachrichtenmanko das große politische Vakuum der Region stören. Wie eine rissig gewordene Thermoskanne wird oben auf dem tibetischen Hochland Weltöffentlichkeit angesaugt. Jetzt, da die dürftig und zuletzt mit bunten Olympiaaufklebern zusammengehaltenen Sprünge nachgeben, gerät das System ins Schlingern. Die uniformierten Wachmannschaften stürmen los und versuchen, die Schotten dicht zu halten. Lange ein probates Mittel und wie bei jedem unsinkbaren Schiff hielt man die Anzahl der Schotte und doppelten Wände hoch. Jetzt sieht der KaLeu wohl, dass es neuer Verstärkungen bedarf. Die alten Holzplanken, die man nach der Zerstörung des Aufgefundenen jüngst wieder dekorativ in den Stahlkoloss hineingetäfelt hat, strahlten noch mit dem Zauber einer höheren Welt, die dem Protestantismus des Herrn Volksoberst doch fremd erscheinen musste. Und was auch immer, die Kinder der alten Schreiner und die der Eckensteher und Nomaden lernten aus Mangel an Schulgeld nicht mit dem Stahl vom Ground Zero umzugehen.

Und wenn Max Weber aus seiner Perspektive schrieb: “Für Asien als Ganzes hat China etwa die Rolle Frankreichs im modernen Occident gespielt. Aller weltmännische Schliff stammt von dort, von Tibet bis Japan und Hinterindien” (Weber: WEWR II, 363), dann hatte wohl auch er das Große und Ganze im Auge, ein Satelliten-Blick historisiert.

Soweit zur Kosmologie, doch ohne Gottesbeweis geht es wohl nicht. Denn wenn der Mensch von dieser Höhe auch ein Nichts ist, führt er doch einen Zweck im Sinn, sich selbst so klein zu machen: den Überblick zu wahren. Ein Blick jedoch, der nichts sieht. Und in Ermangelung eines glaubhaft Sehenden vermuten wir den Einen dahinter, von dem, man wagt es nicht zu denken, die Leute auf der Straße nichts mitbekommen. Und tatsächlich ereignet sich das Schönste und das Schrecklichste ganz unbesehen von allem ganz und jeden Tag. Die Zukunft auf den Märkten, personifiziert von einem Wellensittich, weissagt dampfenden Reis. Kosmische Stürme dunkler Blicke glotzen vom Rand über das Geschehen, nur zurückgehalten durch die mächtigen Amulett-Zauber der schmunzelnden Frauen. Das Qualmen des Fleisches umhüllt den Deal ganz hinten am Rand und leise hört man einen Handschlag, der für zwei Männer einen Bund schließt. Business as usual. Oder mit dem Lada quer durchs Gelände von Duschanbe nach Taschkent. Auch business aber as necessary. Vorn einer, der hier Autohändler oder schlimmeres wäre, die Versicherung für die ganze Sippe in Zahnform sicher verwahrt (naja, offiziell 14 Dollar pro Zahn), Bündel buschender summa summarum in den Taschen, die große Fleischtöpfe auch für die Schmaleren hinten im Fond kaufen. Nicht ohne, nein, nein, den staubigen Kellner ordentlich zusammenzustauchen. Irgendwo draußen bei Shahrisabz lässt der sich wieder in die Dschunke fallen, dass man die handschlagversprochene Taxe schon in Gedanken wieder auf die hohe Kante legt. Und man hockt da und wundert sich, die Ohren taubend vom Gebrüll des Uzbeken, warum der nicht allein – doch schon hat mans vergessen und bewundert das Nichts, das wie am jüngsten Tag vom Tacho des Kyrill gefressen wird. Ein Nichts geschmückt mit spannbetonenen Wartehäuschen (eine echte Attraktion).

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Oder denken wir an den jungen Wissenschaftler, der in Duschanbe gediegen möbliert vor sich hin sorokiniert (Wladimir versteht sich, nicht – um Gottes Willen! – der Pitrim A.) und in dostojewskischen Souterrains große Holzschüsseln mit Fleisch und Öl ordert, eins, zwei mal die Woche, versteht sich wiederum und hier von selbst, der macht sich die Arbeit auch nicht leicht. Auf den Spuren einer Geschichte von Menschen, die ihrer beraubt wurden. So wie es dem anderen, der mit dem O-Bus durch die Hauptstadt schlittert, freudig durchscheint, die Schönheit des Menschen über die Verderbtheit des Regimes zu stellen. Denn die ist transzendent und schwebend. Nicht wie das Schwert das Griechische, plastisch drohend: Hier ist Art der Folter vorgegeben, dort ist sie ungewiss und business as usual. So friert es sich im Winter und das Wasser bleibt knapp. Geschichten von Menschen, die (weg)gehen und (vorbei)kommen. Das Auge des Weblogs, ein schnöder Dokumentarist, ein Augenblick.

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