Erdbeben in Zentralasien

(Ein Beitrag von Olim devona)

Ashgabad, Oktober 1948

In der Nacht vom 5. zum 6. Oktober 1948 (genauer um 1 Uhr 12 Minuten und 5 Sekunden”) änderte sich das alltägliche Leben der Hauptstadt Turkmenistans und ihrer angrenzenden Bereiche unerwartet.

So beginnt die Geschichte des Erdbebens von Ashgabad, der Hauptstadt der Sowjetrepublik Turkmenistan, eines der stärksten Erdbeben in der Geschichte der Sowjetunion: 8 – 9 Punkte auf der Richterskala. Seine verheerende Wirkung (man schätzt etwa zwischen 100.000 und 160.000 Toten) kam aus der Mischung der Stöße, die die Erde aussandte. Sie erfolgten in einer vertikalen und horizontalen Richtung. Dauer 10 Sekunden. Die lokalen Verwerfungen, die auf das Beben folgten, betrugen in Ashgabad 180 cm. In Moskau, 2500 Kilometer davon entfernt, wurden noch 0,4 mm gemessen.

Ashgabad wurde in der Kolonialzeit von der russischen Armee quasi gegründet. Die Stadt entwickelte sich um einen russischen Militärstützpunkt, der 1881 an einem Kreuzungspunkt mehrerer Karawanenstraßen errichtet worden war. Mit dem Anschluss an die Transkaspische Eisenbahn, die die Region mit dem Kaspischen Meer und dem benachbarten Turkistan verband, breitete sich die Stadt ab 1885 kontinuierlich aus. Als der russische Diplomat Kalmykov 1904 in die Stadt kommt beschreibt er sie wie folgt: “In Ashgabad gibt es zwei Sorten von Menschen. Die einen sind für die Eisenbahn gekommen, die anderen durch sie. Gäbe es keine Eisenbahn, gäbe es die Stadt Ashgabad, wie sie heute ist gar nicht.”

Die Bausubstanz Ashgabads war kolonialer Prägung, die lokalen nomadischen Kulturen kannten kein urbanes Leben. Da diese russische Bausubstanz noch nie mit einem Erdbeben dieser Stärke konfrontiert worden war, fielen fast alle Häuser in sich zusammen. Die Ãœberlebenden waren diejenigen, die sich schnell genug nach draußen retten konnten. Die in den Häusern verbliebenen kamen größtenteils um. Das Ereignis traf jede Familie im Großraum Ashgabad. Einige der später folgenden kleineren Beben in der Region lösten immer wieder bei den Alten die Erinnerung an dieses Erdbeben aus. Traumatische Erinnerungen können viele ältere Einwohner Ashgabads wiedergeben.

In den darauf folgenden Stunden und Tagen trafen hunderte Armeeangehörige in der Hauptstadt ein, die zu Aufräumarbeiten abkommandiert wurden. Obwohl Hilfsgüter und Mittel aus vielen Regionen der Sowjetunion kamen, lag die Hauptlast der schnellen Beseitigung der Schäden bei der Armee. Sie rückten mit Hacke, Spaten und Bagger der Stadt zu Leibe und bargen Tausende von Toten. Da die Sonne im Oktober in der Region noch intensiv strahlt, begannen die leblosen Körper schnell zu faulen. Bagger hoben eilig Massengräber – man nannte sie Brudergräber – aus und verscharrten Menschen massenhaft.

Auch im Westen kam die Kunde vom Leid der Ashgabader Bevölkerung schnell in die Tagespresse. Eilig boten darauf viele Regierungen ihre Hilfe beim Wiederaufbau an. Die Sowjetunion verzichtete darauf. Sowjetische Geschichtsbücher unterstreichen dabei stolz die Größe und Anstrengung dieser Einzelleistung kurz nach dem Krieg. Das Ereignis wurde nach offizieller Lesart zum Meilenstein sowjetischer brüderlicher Volksverbundenheit. Für die lokalen Turkmenen wurden die Felder, unter denen die Erbebenopfer lagen, zu einem Tabuort. Hier seine Trauer auszudrücken, galt als Sünde. Schließlich hatten hier ungläubige Soldaten mit Baggern Muslime ohne Leichentuch, Ritual und Totengedenken beerdigt – die Tragödie wurde dadurch noch potenziert. (warum? kann noch 1 satz das erklaeren)

Der Aufbau der Stadt berücksichtigte die neu aufgekommenen Bedürfnisse einer sozialistischen Gemeinschaft. Da Religion Opium fürs Volk sei, wurden von den zerstörten Moscheen nur die als Kulturdenkmäler wertvollen Gebäude wieder aufgebaut. Die freigewordenen Flächen standen für das sozialistische Projekt als ein Experimentierfeld neuer sozialistischer Wohn- und Lebensweisen zur Verfügung. Trotzdem verhalf das Erdbeben Ashgabad nicht zu einer besonderen Aufmerksamkeit durch die Moskauer Führung.

Taschkent, April 1966

Am 26. April 1966 um 5 Uhr 22 Minuten und 52 Sek. wurde die Taschkenter Bevölkerung von einem starken Erdbeben geweckt. Es betrug 5 1/3 Punkte auf der Richterskala.

Ein weitaus kleineres Erdbeben erschütterte 1966 die Hauptstadt der Sowjetrepublik Uzbekistan, Taschkent. Die Opferzahlen waren gegen die Ashgabader Zahlen verschwindend gering. Nur der Charakter des Erdbebens beeinflußte später erheblich den Charakter der Stadt. Zwar kam kaum ein Mensch zu schaden, die Stadt wurde jedoch 2 Wochen lang erschüttert. Die Stößen waren in den stärksten Amplituden 6 Punkte, viele kleinere (man zählte ca. 200) beliefen sich auf Erdbebenstärke 3. Viele Gründerzeitbauten aus russischer Kolonialzeit wurden durch die stetige seismische Einwirkung zerstört, mehrstöckige Häuser und Ziegelsteinbauten. Die Altstadt mit ihrer einstöckigen Lehmbauten überlebte mit Rissen in den Wänden ungeschoren die Erdstösse. So waren die Opfer vor allem auf Seiten der Neustadtbewohner zu beklagen. In den Altstädten kam man mit dem Schrecken davon.

Ungeachtet der vergleichsweise geringeren Folgen rollte in den folgenden Wochen in der Sowjetunion eine wahre Hilfswelle auf die Hauptstadt der Republik Uzbekistan zu. Offensichtliche Schäden wurden von Aufräumtrupps beseitigt. Nach den Aufräumbaggern kamen die Wiederaufbaukommissionen und die Architekten. Den meisten Häusern der Altstadt wurde eine Einsturzgefährdung attestiert. In Folge weit reichender Umbaupläne kam die gesamte Innenstadt unter den Hammer. Altstadtquartiere wurden mit der Begründung der Beschädigung niedergebaggert und an Stelle der aus Einbahnstraßen bestehenden Altstadtquartiere wurden nun sozialistische Alleen projektiert. Erdbebensichere Hochhäuser, die mehreren Tausend Menschen Platz gaben, zierten in luftiger Weite zum nächsten Haus die Alleen. Drum herum sollte viel Grün die Stadt beherrschen. Hochbaute Funktionalität mit belebendem Grün drumherum.

Nach den Stadtplanern kamen die Bauarbeiter, die geplantes umsetzen sollten. Viele von ihnen blieben und europäisierten die Stadt grundlegend. Der Umstand der Europäisierung Taschkent hatte weit reichende Folgen für die Stadt. Nun gab es ein Projekt, an dem sich die Völkerfreundschaft der Sowjetunion beweisen konnte. Auch für die jungen unabhängigen Staaten Afrikas und Lateinamerikas wurde Taschkent in Folge dessen zur Metropole. (als gemeinsames Aufbauprojekt der sozialistischen Staaten der Welt?) (Zugleich )Es war die Initialzündung für das Kinofestival der Völkerfreundschaft, in denen vornehmlich die armen Staaten der Südhalbkugel ihren Platz fanden.

Retrospektive

Wurde der Umbau in Taschkent zu Sowjetzeiten Modernisierung genannt, steht er für die Usbeken heute für die Proletarisierung der Stadt. Die Sitten der früheren Modernisierer – heute Ungläubige und Okkupanten – wären in Folge dessen auch von Einheimischen übernommen worden und hätten einen tief greifenden Wandel verursacht. Sie unterliegt die Bewertung der Ereignisse einem ständigen Wandel.

Das Beben und die ihm folgenden Ereignisse wurden von der lokalen Bevölkerung immer mit Sinn aufgeladen. Zwischen so wurden zwischen der Kultur und dem persönlichem Leben der betroffenen Menschen und dem Naturereignis wurde eine Verknüpfung erstellt. Im Beben konnten die Opfer eine für andere im lockeren Lebenswandel bedingt Schuld auf sich geladen haben. Ihr Ruin wurde als eine göttliche Strafe gesehen.

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Als Scharof Raschidov, der erste Sekretär der Kommunistischen Partei der Republik Uzbekistan 1966 das Erdbeben spürte, galt sein erster Anruf im Gebäude der Parteizentrale. Sie war weitgehend unzerstört, die Partei hatte Glück. Aussprüche aus der Zeit lassen aufhorchen. “Auch wenn alles zusammenfällt, die Parteizentrale muß stehen bleiben!”

Wenn den Opfern eine Schuld unterstellt werden konnte, was hatte das dann für fatale Wirkungen auf die Authorität.

Also beginnt die Geschichte eines Erdbebens nicht erst mit den Worten: “In der Nacht vom 5. zum 6. Oktober…” sondern schon vorher. Im Fall Ashgabads mit dem Bau der Stadt selbst, die aus dem vorkolonialen Nichts heraus von Ortsfremden erbaut wurde. Ihr Unwissen um erdbebensichere Bauweise mag vielen Menschen das Leben gekostet haben.

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Die Verknüpfungen zwischen Ereignis und Kultur sind mannigfaltig und ständig neu vorzunehmen, je nach Perspektive des Interpreten. Eine der intensivsten Wiederaufnahmen der Erinnerung an das Erdbeben von 1948 erfuhr Turkmenistan nach der Unabhänigkeit im Jahr 1991 und dem öffentlichen selbstherrlichen Auftreten des neugekürten Präsidenten Saparmurad Niyazov. Er war vaterlos bei seiner Mutter aufgewachsen. Seine Mutter verlor er im Beben von 1948 und wurde damit zur Waise Den Verlust seiner Mutter aber auch sein Ãœberleben ließ er in einem Denkmal verewigen, das im Zentrum der Stadt Ashgabad steht. Ein Stier hält auf seinen Hörnern die Erdkugel, die einen Riß hat. In diesem Riß ist eine Frau schon halb verschwunden. Sie hält in ihren Armen ein goldenes Kind und streckt es im eigenen Untergang der Welt entgegen.[inspic=307,,,0]

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