Wo liegt eigentlich Afghanistan?

(Die USA fordern mehr Unterstützung für ihren Kriegseinsatz in Afghanistan. Wieder einmal ist das Land am Hindukusch das Topthema in den deutschen Medien. An der anhaltenden Konzeptionslosigkeit der internationalen Politik hat sich indes nichts geändert. Olim devona über Déjà-vu Effekte und deren alltägliche und künstlerische Verarbeitung.)

Vor ein paar Jahren bekam ich eine Broschüre eines in Afghanistans entstandenen Büchleins zu Gesicht, bei dem der Einband aus Kartenmaterial für den Unterricht afghanischer Schulkinder recycelt worden war. Viele von uns kennen diese Karten – etwa von “Haack, Gotha” – noch aus der eigenen Schulzeit: auf Papier gedruckt mit textilverstärkender Schicht, robust und praktisch unverwüstlich. Als ich nun dieses Büchlein, die Lithografie eines klassischen afghanischen Geschichtswerkes, eingebunden in eine Landkarte meiner Kindheit durchblätterte, wunderte ich mich: War denn diese Karte jemals zu etwas Besserem geeignet, als einem Büchlein als Schutzumschlag längere Lebensdauer zu verleihen?

Es ist nun ebenfalls ein paar Jahre her, als Amerika unter dem Motto “Enduring Freedom” (2001) anfing, in Afghanistan den Kampf gegen den Terror zu suchen. Bald darauf (2002) sagten auch die Deutschen innerhalb der Nato eine Beteiligung am Einsatz in Afghanistan zu. Während Afghanistan zur Zeit des Feldzuges der Sowjetunion nahezu wöchentlich in den Medien präsent war, wurde es in den 1990er Jahren, nach dem Abzug der Sowjetischen Truppen medial sehr still um das im Bürgerkrieg versinkende Land. Der Einmarsch der Amerikaner 2001 schwemmte mit den Soldaten, NGO-Mitarbeitern, Journalisten und anderen postkolonialen Kriegern auch die flüchtige Ressource Weltöffentlichkeit wieder in die Region zwischen dem Amu Darja und dem Indischen Ozean. Afghanistan war plötzlich wieder aktuell, wenn auch unter gänzlich anderen Vorzeichen. Leider ist das bis heute so geblieben.

Als der mediale Kampf erneut aufgenommen wurde, kam auch die Karte Afghanistans wieder täglich in die westlichen Wohnzimmer. Technisch runderneuert war sie wieder da, auf Titelseiten, auf den Küchentischen und im Internet. Interaktiv, übersichtlich und konzentriert aufs Wesentliche. Taliban, Terror, Drogen. Afghanistan war plötzlich in aller Munde. Und alle waren scheinbar bestens informiert. Die Liste der marktschreierischen und populärwissenschaftlichen Publikationen der letzten sechs Jahre ist schier atemberaubend. Ach ja, und die Bundeswehr ist ja auch noch vor Ort, eingebunden in der International Security Assistance Force, um die Demokratie zu verteidigen und den Afghanen beim sogenannten Wiederaufbau zu helfen. Will man da nicht informiert sein als Bürger, in dessen Namen Krieg geführt wird, für eine Gute Sache am anderen Ende der Welt?

Aber was, fragte sich Bertram Haude, ein Leipziger Künstler, dringt denn angesichts dieser Informationsflut einer breiten medialen Oberfläche bei den anvisierten Adressaten, bei jedem einzelnen von uns tatsächlich davon ein? Deswegen stellte Betram Haude seinen Mitmenschen dort wo er sie täglich antraf, an Straßenbahnhaltestellen, in Kneipen, auf den Fluren von Universitäten die einfache Frage: “Wo liegt Afghanistan?”

Aus den Ergebnissen dieser Befragung entstanden spontane Skizzen der geographischen Lage Afghanistans, auf den in den jeweiligen Situationen vorhandenen Materialien. (Die Befragung erstreckte sich über den Zeitraum von Oktober 2001 bis Oktober 2002.)

Betram Haude hat nun eine Auswahl der Bilder zur Ausstellung Feindbilder tethys zur Verfügung gestellt.

Die Gedanken, die Bertram Haude zu dieser Idee brachten, formulierte er später in einem Text zur Ausstellung “Feindbilder“, die er maßgeblich mitgestaltete

“Die Diskrepanz zwischen der täglichen Masse medial vermittelter Bilder und Berichte und der Möglichkeit selbständigen Wahrnehmens, zeigte sich an der plötzlich hilflosen Unwissenheit, bei dem der geografische Aspekt als solcher nur Oberfläche ist. Die Unmöglichkeit, auf Dinge reagieren zu können, Sachverhalte zu erkennen oder gar zu beeinflussen, die außerhalb der individuellen Horizonte liegen, prallt auf die scheinbar perfekte Informiertheit und die damit verbundene Einschätzung von Welt. “Wissen, was passiert” – davon sind wir mindestens genau soweit entfernt, wie es die Weltbilder des Westens von denen der streng islamisch Gläubigen sind. Doch sind wir immerzu wesentliches, möglicherweise verursachendes Element von Konflikten, auch bei jenem hier aufgegriffenen, bei dem deutsches Militär im Spiel ist.”

[mygal=afghanistanwo]

Schlagen wir den Bogen zurück zur Schulkarte auf dem Büchermarkt. Was hatte diese Karte für einen Weg genommen! Aus der privilegierten Position eines Mediums, das für hunderte oder tausende Kinder einmal die Oberfläche abgab, vom Klassenraum aus die Welt zu entdecken hin zum Einband eines Büchleins, das heute in der Bücherstube eines Wissenschaftlers schlummert. Ist das der Rückzug ins Private, den wir alle unternehmen, wenn das da Draussen undurchsichtig, komplex und überfordernd wirkt? Dazu der Künstler:

“Sicherlich, die Ãœberforderung, welcher wir uns Angesichts der unübersehbaren und unbegreiflichen Vorgänge auf dem Globus mehr oder weniger bewusst sind, ist nicht zu vermeiden und auf keine Weise aufhebbar. Ein Rückzug in das ganz Eigene wäre eine mögliche Folge davon. Das Dilemma von Rückzug, persönlicher Freiheit, privatem Leben und, im Gegensatz dazu, dem Gefühl sich als Einzelner der Verantwortung gegenüber dem Ganzen zu stellen, ist unlösbar. Im privaten Rückzug in ein halbwegs zufriedenes Leben fragt man nicht, wodurch jenes eigentlich ermöglicht wird, sondern nur, wie lange dieser Zustand noch genossen werden kann. Aber in Anbetracht der Unfreiheit des Ganzen kann keine private Freiheit behauptet werden, es sei denn, man akzeptiert – bewusst oder nicht – stillschweigend diesen Zustand der Absurdität.”

5 Thoughts on “Wo liegt eigentlich Afghanistan?

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  4. Lieber gubbelgobbel!

    “Dieses Phänomen der maßlosen Selbstüberschätzung durchzieht unseren gesamten Alltag und ist bestimmt nicht auf das Wissen über internationale Konflikte beschränkt.”

    Das trifft den Kern der Aussage glaube ich, den sicher auch Bertam Haude im Kopf hatte, als er die Frage stellte, was wir für eine Vorstellung haben von der Welt da draussen? und wieviel von ihr kommt denn wirklich in unseren Köpfen an?

    Ich fragte Betram vor ein paar Monaten einmal, ob ihm bei seinen Begegnungen und Nachfragen denn das Phänomen der Fähigkeit des Kartierens unserer Mitbürger interessieren würde, und ob er denn den Ort “Casablanca”, obwohl hinlänglich durch das Kino bekannt, in seiner relativen Lage auf dem Kontinent Afrika bestimmen könne. Er entgegnete darauf per Mail (und ich hoffe es geht ok, wenn ich das hier wiedergebe):

    “Wo Casablanca liegt, kann ich auch nur grob sagen … und die Zuordnung der Skizzen zu Schichten, Berufen, Typen will ich auf keinen Fall, denn die Arbeit verfolgt gar kein soziologisches Interesse, bei dem man wieder Zuschreibungen und Einordnungen vornehmen würde! Darum gehts nicht! die Offenheit des Phänomens ist meiner Ansicht nach viel spannender, denn man setzt sich selbst eher ins Verhältnis der Frage (Wo liegt Afghanistan?) und fragt sich auch welche Menschen wohl dahinter stecken könnten (die das Kartieren).”

    Bertram Haude ist Künstler und in diesem Sinne geht es ihm eher um tiefere Schichten des Phänomens, welches dahintersteckt. Mit seiner Frage fordert er vor allem unser Vermögen heraus, über das Wissen was wir von der Welt draußen haben zu reflektieren. In dem er dem Betrachter einer Ausstellung diese Frage (Wo liegt Afghanistan?) stellt, konfrontiert er ihn mit sich selbst und seiner eigenen Vorstellungswelt von dem Anderen.

    Und da hätte er sicher auch die Funktionsweise des Kühlschranks oder Pellworm, Poel sowie Parchim zum Gegenstand seiner Frage machen können. Aber das Prekäre dieses Wissens wird doch vor allem da deutlich, wo “unsere” Intervention in die Lebenswelten anderer Betroffener massiv eingreift.

    Die “hoffnunglose Selbstüberschätzung” (wie Du so schön sagst) unserer Politik (einer demokratischen bürgerbeteiligten per definitionem) über das Wissen um die Phänomene in anderen Teilen der Welt wird in der Skizze eines jeden Einzelnen nur durch einen kleinen Ausschnitt hinterfragt. Nämlich den der Karte, was aber wissen wir wirklich von der Welt da draussen in der wir uns anmaßen, ein bestimmender Teil zu sein?

    Wie sagte es Filter neulich so treffend?:

    Immer wieder, immer noch erzählt man sich die Geschichten von Alexander, Dschingis Khan, von den Briten, den Russen und all den anderen Mächten und Völkern, die weder die Berge noch die Täler oder gar die Wüsten bezwungen haben. Ganz zu schweigen von den Menschen, die sich nicht bezwingen lassen wollten. Weil dies ihr Stück Land, ihre Welt ist. Und wir? Wir sind nur zu Besuch da, kurzzeitig, ein Lidschlag.

  5. gubbelgobbel on February 4, 2008 at 22:28 said:

    “Die Diskrepanz zwischen der täglichen Masse medial vermittelter Bilder und Berichte und der Möglichkeit selbständigen Wahrnehmens, zeigte sich an der plötzlich hilflosen Unwissenheit, bei dem der geografische Aspekt als solcher nur Oberfläche ist.”

    Welche “hilflose Unwissenheit” beim “geografischen Aspekt” ist denn gemeint? Die meisten Skizzen zeigen durchaus, dass die Autoren eine genaue Vorstellung davon haben, wo Afghanistan liegt: Westlich von Pakistan, das wiederum westlich von Indien liegt, und östlich von Iran, südlich von Russland (wenngleich nicht mit gemeinsamer Grenze) und westlich von China, ohne Seegrenze. In einer Skizze ist auch die Grenze zu Turkmenistan eingezeichnet und sogar die Insel Sri Lanka vor Indien. Die ungefähre relative Lage von Indien und Saudi-Arabien ist ebenfalls klar erkennbar, auch wenn die Proportionen nicht immer stimmen. Dass Afghanistan weitgehend aus Bergland besteht, dürfte in der Öffentlichkeit auch recht bekannt sein, und durch die Medienberichterstattung ist sogar die nordöstliche Lage der Hauptstadt Kabul den meisten Menschen ein Begriff.

    Dass der durchschnittliche Deutsche nicht genau die Umrisse von Tadschikistan, Kirgisistan, Usbekistan und Turkmenistan kennt, ist angesichts der volatilen Grenzverläufe und der geringen Besiedlungsdichte des zentralasiatischen Raumes nicht weiter verwunderlich. Und deutsche Interessen können sehr wohl auch dann in Afghanistan berührt sein, wenn eine Mehrheit der Deutschen nicht weiß, wo dieses Land auf der Weltkarte liegt – was zumindest diese Skizzen im übrigen keineswegs nahelegen. Wenn man nach der Lage des für die Weltwirtschaft viel bedeutsameren Singapur gefragt hätte, wären die Antworten vermutlich schlechter ausgefallen als bei Afghanistan.

    Was also zeigt uns diese Umfrage? Dass nicht alle Deutschen gut in Geographie sind? Vielleicht, obwohl meiner Ansicht nach die Ergebnisse überraschend gut ausgefallen sind und vermutlich eine Lokalisierung diverser osteuropäischer Länder mit viel geringerer Entfernung zu Deutschland sehr vielen Menschen weitaus schwerer gefallen wäre (fragen Sie doch mal auf der Straße, wo Slowenien liegt! Und das ist gerade mal 120 Kilometer von Deutschland entfernt und grenzt direkt an Österreich..). Dass wir uns nicht in die Angelegenheiten von Ländern einmischen sollten, deren Geographie eine Mehrheit der Deutschen nicht kennt? Das meinte Michael Moore, aber ein Blick auf den Balkan zeigt uns, dass das vielleicht keine besonders gute Idee wäre. Dass viele Menschen mehr über Afghanistan zu wissen glauben, als sie tatsächlich wissen, angespornt durch die Medienberichterstattung, die gute Informiertheit suggeriert? Mag sein, aber auf welches Thema trifft das eigentlich nicht zu?

    Fragen Sie mal einen Geisteswissenschaftler, ob er weiß, wie ein Kühlschrank funktioniert. Die meisten würden das bejahen, ohne jemals was vom Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik gehört zu haben. Dieses Phänomen der maßlosen Selbstüberschätzung durchzieht unseren gesamten Alltag und bestimmt nicht auf das Wissen über internationale Konflikte beschränkt.

    Viel aufschlussreicher ist, die Deutschen zu fragen, wo die Insel Pellworm liegt, die Oberpfalz, das Siebengebirge oder die Deutsche Bucht. Da verlieren nämlich Musterschüler, die sich bestens in Südostasien auskennen und das Königreich Tonga auf jeder Weltkarte einzeichen punktgenau können, urplötzlich jede Orientierung.

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