Geschichte im Prisma

Über die Geschichte des Regionalmuseums von Irkutsk von Estelle Borel

Das Museum von IrkutskDas Regionalmuseum Irkutsk wurde 1782 eröffnet, sehr früh, sieht man die Geschichte der Museen der Welt in ihrem Zusammenhang. Es ist eines der ersten Museen in Russland nach der Kunstkammer in Petersburg. Die Kunstkammer wurde von Peter dem Großen im Jahre 1714 gegründet und ist heute bekannt als das Museum für Ethnographie und Anthropologie der Akademie der Wissenschaften Russlands. Das Regionalmuseum Irkutsk trug im frühen neunzehnten Jahrhundert den Spitznamen “Kunstkammer Sibiriens” und hat gewisser Weise ein ähnliches Schicksal wie die Kunstkammer in St. Petersburg. Denn beide Kunstkammern waren die ersten Kuriositätenkabinette Rußlands mit vielfältigen Sammlungen in der Botanik, Zoologie, Mineralogie und in anderen Bereichen, wurden ein reichhaltiges Forschermuseum und zum Ausgangspunkt wissenschaftlicher Forschung in der gesamten Region und sogar darüber hinaus, bis sie schließlich ab 1930 vor allem die Völker der Sowjetunion und ihre materielle Kultur ausstellten.

In diesem Artikel wird ein vielschichtiger Zusammenhang präsentiert: einmal wäre hier das Regionalmuseum Irkutsk als ein Museum der Geschichte, Ehnographie und der Naturwissenschaften, dann seine einmaligen Sammlungen zu autochtonen Kulturen Sibiriens in ihren verschiedenen Formen, die vielgestaltigen Proben sibirischer Flora und Fauna, die Sammlungen von Manuskripten zur Geschichte der Region und zu den Expeditionen, die seine Mitarbeiter durchführten. Das Regionalmuseum von Irkutsk verfügt nicht nur über Sammlungen, die angefertigt wurden, als Mitarbeiter in die Provinz reisten, sondern auch in fremde Länder, wie in die Mongolei oder nach Zentralasien. Denn Irkutsk liegt am Tor zum ”orientalischen Sibirien”, mitten im Herzen von verschiedenen Vökern und Kulturen, lokalen und weit entfernten gleichzeitig.

Die Stadt diente seit langem als Ausgangspunkt für Expeditionen, die von der russischen Regierung in den fernen Osten durchgeführt wurden, nach Jakutien, in die Mongolei, nach Alaska, China und ins Herzen des russischen Territoriums. Irkutsk fand sich wieder an den Kreuzwegen verschiedener sibirischer Vöker und schaut selbst in die verschiedenen sibirischen Völker und Landschaften hinein. Im Westen befinden sich die Tofalaren und die Tuviner, im Osten die Burjaten, im Süden die Mongolen und gen Norden die Jakuten und Evenken, Völker die sich in Sprachen, Kleidung und Religionen sehr voneinander unterscheiden. Übrigens: das Museum beschäftigte sich neben den ”kleinen Völkern Sibiriens” auch mit den Mongolen, der Japanischen Kultur und den Völkern Zentralasiens. Das Museum überstieg also bei weitem seinen Auftrag, ein Regionalmuseum zu sein, da es sich auch den ”exotischen Kulturen” widmete. Nicht nur in seiner Funktion als Museum, auch sonst überlagerten sich in ihm die verschiedensten Interessen. Das gerade macht es so interessant und reich. Außerdem ist die Stadt Irkutsk selbst im Herzen einer Region gelegen, deren Grenzen und Definitionen sich beständig verschoben und verschieben. Der lokale Raum wurde in seiner allerjüngsten Geschichte neu definiert. Deshalb waren auch das Aussehen und die Arbeit des Museums nicht zu allen Zeiten gleich.

Die Geschichte des Museums – Das Entstehen der ersten Sammlungen (1782 bis 1851)

Irkutsk, das ist eine der ältesten sibirischen Städte, welche im 17. Jahrhundert entstand. Während seiner Gründung schon wurde es als Fenster zum Osten gesehen, das den Zugang zum Pazifik ermöglichte. Die Stadt diente als Ausgangspunkt für Expeditionen, die von der russischen Regierung in den fernen Osten durchgeführt wurden, nach Jakutien, in die Mongolei, nach Alaska und China. Seine Bevölkerung kam vom Fluß Angara zu den Ufern des Baikalsees und gründeten eine strategisch wichtige Stadt, eine Schnittstelle des russischen Imperiums mit den Regionen Zentralasiens. Die Stadt ist ein unumgänglicher  Ort zwischen dem Orient und dem Okzident. Wichtig für Handelsbeziehungen und Diplomatie, vor allem was den Verkehr nach Sibirien angeht, denn von Irkutsk aus kann man ihn kontrollieren.

Im 17. und 18. Jahrhundert war Irkutsk eine der größten Städte Sibiriens: Seine Kirchen geben diese Bedeutung vielleicht am Besten wieder, mit all ihrer Pracht und dem Wissen, was sie von hier aus alles kontrollierten. Die Stadt bekam am Anfang des 18. Jahrhunderts bereits den Status einer Provinzstadt und avancierte zu einem der größen Kulturzentren Sibiriens und sein Regionalmuseum war eines der Motoren und die Lokomotive der Umwälzungen im Inneren Sibiriens. Im 19. Jahrhundert war Irkutstk die größte sibirische Stadt und das administrative sowie kulturelle Zentrum einer riesigen Region zwischen dem Jenissei und dem Pazifik.

Peter der Große und die Akademie der Wissenschaften Rußlands

Am Ende des 17. Jh. und Anfang des 18. Jh. gab es nicht sehr viele Forscher, die sich für den Baikalsee und die Region interessierten. Eine der wenigen raren Ausnahmen war Nikolai Gavrilovich Milesku Spafari, ein Rumäne, im Dienste des Alexander I., der als erster 1675 den Zugang zum Baikalsee fand. Er musste warten, bis Peter der Grosse, interessiert an allen Arten von Naturwissenschaften, deutsche Wissenschaftler aussandte, um den Reichtum der Region zu inventarisieren. Es muß gar nicht erst erwähnt werden, dass die Gründung der Akademie der Wissenschaften Rußlands 1724 kurz vor dem Tode Peter dem Ersten auch dazu führte, dass die ersten Expeditionen nach Irkutsk ausgesandt wurden. Sie schickte 1733 ihre zweite Katschatka Expedition, an dessen Spitze Johann Gmelin stand. Diese Expedition lieferte 1735 ihre ersten Exponate, da sie die chemische Zusammensetzung des See’s und die Seerobbe des Baikalsees zu untersuchen trachtete. Diese Robbenart ist einzigartig in der Seefauna (pusa sibiriya). Dazu sollte bemerkt werden, dass erste Forschungen zu sibirischen Völkern in dieser Expedition enstanden (1735), die bis heute nicht publiziert wurden. Die botanischen Ergebnisse dieser Expedition fanden später in der Systema Naturae, dem berühmten Buch über die Einteilung der Arten, geschrieben vom schwedischen Naturforscher Carl von Linne, ihr Echo.

Die ersten wissenschaftlichen Ergebnisse der Erforschung des See lieferte indess das 18 Jh. von Johann G. Gmelin, sowie P.S. Pallas und G. Georgi. Peter Simon Pallas ein deutscher in russischen Diensten wurde von Katharina II. als Professor der Akademie des Wissenschaften in Petersburg. Dieser führte zwischen 1769 und 1774 eine Expedition nach Sibirien durch, auf der er unter anderem seine Forschungen auch am Baikalsee unternahm. Auf dieser Expedition wurde er begleitet vom Naturforscher G. Georgi. Diese ersten Expeditionen sind der eigentliche Beginn des Interesses ausländischer Forscher am Sibirischen Orient. Interessant ist hier die starke Einbeziehung und Beteiligung ausländischer Wissenschaftler oder Wissenschaftler mit ausländischer Herkunft in den Sibirienstudien. So ist vor allem der große Anteil deutscher Wissenschaftler beim Aufbau der Akademie der Wissenschaften Russlands hervorzuheben.

F. N. Klicka und der Stand der Entwicklung der Museen der Welt

Das Regionale Museum in Irkutsk wurde 1782 von F. N. Klicka, Gouverneur der Region Irkutsk gegründet. Es war Ergebnis der Unterstützung der lokalen Eliten und reichte zu einem Museum und einer Bibliothek. Berühmte Persönlichkeiten wie Melnikov Dudarovskij oder Sibirjakov zählten unter ihnen zu den bekanntesten. Obwohl das Museum auf Initiative von Klicka’s entstand, sollten Beiträge der Mitglieder der Akademie der Wissenschaften nicht übersehen werden. Unter ihnen ist Karamyshev, Korrespondent der Akademie der Wissenschaften. Als Spender und einflussreiches Mitglied der Akademie war er ein wichtiger Akteur beim Bau des Museums (an anderer Stelle wird oft die Initiative des Präsidenten der nationalen Zentralbanken bei der Gründung der ersten regionalen Museen in Russland, etwa 1829 in Pskow betont.)

Das Museum von Irkutsk ist das erste Museum der Naturgeschichte, das durch die Semstwo gegründet wurde. Die Semstwo ist dabei als Institution mit einem Landtag der englischen Gentry zu vergleichen. Sie war ein Landtag, der vom lokalen Adel und wohlhabenden Klassen des zaristischen Russlands gewählt wurde. Diese lokalen Regierungen waren vielfältig an der Schaffung von Museen vor 1917 beteiligt. 1864 von Alexander II. ins Leben gerufen, war die Semstwo zuständig für Bildung, medizinische Versorgung, öffentliche Gesundheit, Ernährung und Instandhaltung der Straßen.

Hauptmotiv für das Engagement Klickas bei der Gründung der ersten nationalen Bibliothek in Irkutsk war die Schaffung eines “Museums”, das sich auf den Geist des Mouseion von Alexandria berief, das erste Museum in der hellenistischen Zeit, deren Mitglieder versuchten, als Astronomen, Geographen und Dichter die Welt zu erkennen. So wurde die berühmte Bibliothek von Alexandria Werkzeug zur Forschung, genauso sollte es auch Irkutsk werden. F. N. Klicka leitete das Museum aus dessen Anfangsbestand bis heute mathematische Instrumente, physikalische und biologische Modelle, sowie Tiere und Pflanzen erhalten geblieben sind. Somit stand Irkutsk in der Tradition der “Kabinette der Naturgeschichte” des siebzehnten Jahrhunderts, private Initiativen, die das Studium der Pflanzen, Mineralien und Tiere für medizinische oder pharmazeutische Zwecke nutzte. Die Materialien der Naturwissenschaften waren hier aber an die Erforschung der Region des Baikalsees und des Ochotskischen Meeres geknüpft und hatten nicht solch eine starke alchemistische Ausprägung. Im Laufe der Jahre wurden diese Sammlungen immer mehr bereichert

Ein Jahrhundert früher schon öffnete das Ashmolean Museum in Oxford seine Pforten und läutet eine innovative Gestaltung von Museen und der Sammlung in Museen ein: Ashmolean war Schule der Natur -und Chemielabore.

Es ist die Zeit der Aufklärung, in der man beginnt, das Museum nicht nur als ein Ort des Kuriositätengedränge zu betrachten, sondern als ein Ort zu sehen, der Wissen und Erfahrung speichern sollte. Dieses Modell hat sich in ganz Europa verbreitet und half bei der Etablierung neuer Museen. So wurde das Regionale Museum Irkutsk ein Ort der Sammlung und allmählich auch Ort der Forschung. Führende Forscher führten hier in der gesamten Region und über die Grenzen des Gebiets Irkutsk hinweg ethnographische und wissenschaftlichen Expeditionen durch. Einer derjenigen unter ihnen, der die Sammlung des Museums von Irkutsk seit seiner Gründung am meisten bereichern konnte, war Eric Laksman.

Der Beitrag Eric Laksmans

Im Jahr 1737 wurde Eric Laksman in Finnland geboren und zog 1762 nach St. Petersburg. Früh fand er Interesse an den Naturwissenschaften und traf Gelehrte wie G. F. Müller, P. S. Pallas, J. P. Falck und andere. Der Reichtum Sibiriens faszinierte ihn. So ließ er sich in Barnaul nieder und konnte mittels langer Expeditionen viele Entdeckungen in der Botanik, Zoologie, Meteorologie, Mineralogie und Chemie für sich verbuchen. Er ging bis an die Grenzen von China und der Mongolei. Die Lage von Irkutsk im Grenzgebiet zu China, der Mongolei und zentralasiatischen Ländern beeinflußte stark die Forschung. Irkutsk war darüber hinaus der ideale Ort für Forschungen über Sibirien, damals nur sehr wenig bekannt. Das hier Sibiriens Fauna viel weniger als seine Flora bekannt war, ist ein erstes Thema der Studien Laksmans. Das Museum wird durch Laksman immer mehr zu einem kleinen zoologischen Museum. Dazu bringt Laksman eine Sammlung von seltenen Mineralien. Zurück in St. Petersburg im Jahre 1769, wurde er ein Akademiker in der Chemie- und den Wirtschaftswissenschaften an der Akademie der Wissenschaften. Sein Ruf reichte weit über die Grenzen hinaus. So gab der schwedische König Gustav III. ihm zwei Medaillen als Anerkennung für Naturgeschichte vor allem für Objekte, die er von der schwedischen wissenschaftlichen Gesellschaft erhalten hatte. Als Laksman St. Petersburg verließ, wurde ein Teil seiner reichen Sammlung von der School of Mines in St. Petersburg erworben. Dadurch wurden seine Kollektionen zwischen St. Petersburg und Irkutsk aufgeteilt.

Im Jahre 1784 ließ sich Laksman dauerhaft in Irkutsk nieder. Er war im Auftrag der kaiserlichen Regierung hier, um seine Forschungen in der Mineralogie fortzusetzen. Viele Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und einflussreiche Personen von Irkutsk kannten ihn. Zu jener Zeit in Irkutsk traf der berühmte Naturforscher und Mineraloge A. Karamyshev ein. Ebenso der Naturforscher Patren, der Spezialist für die Mongolei Ierig und der Reisende Billings gehörten zu den Wissenschaftlern, mit denen er sich häufig austauschte. In jener Epoche war F. N. Klichka, der Direktor des Museums Karamyshev, sein erster Conservator und E. Laksman der erste Sammler. Im Jahre 1805 bekommt das Museum Irkutsk den Titel “Museum”. Nach dem Tod von E. Laksman im Jahre 1806 erwarb es seine große Sammlung von seinem “Kabinett der Naturgeschichte”. Diese einmalige Sammlung überlebte leider nicht den verheerenden Brand von 1879, der auch die Bibliothek erfaßte.

Heute ist Eric Laksmana wenig bekannt. Aber sein Werk, seine Entdeckungen und der bezeugte Reichtum seiner Sammlungen stehen als Symbol einer ganzen Epoche, in der auch die Rolle des Museums immer mehr an Bedeutung gewann. Laksmans Entdeckungen in der Botanik, Mineralogie und Chemie hinterließen Spuren in der Wissenschaft und halfen mit, auch dem Museum in Irkutsk einen gewissen Namen zu geben. Die Sammlung war mehr, als nur eine reiche Sammlung. Sie gab auch unbestritten Impulse für künftige Expeditionen.

Die Dekabristen

Im Dezember 1825 kam es zu Ereignissen, die aus der Geschichte bestens bekannt, auch das Geschehen in Sibirien beeinflußten.

Einige Mitglieder der Aristokratie und des Offizierskorps schürten einen Aufstand gegen die zaristischen Behörden und wollten Konstantin, den Bruder von Zar Nicolas I., auf den Thron setzen. Allerdings waren die Aufständischen schlecht vorbereitet und wurden von Zar Nicolas I. in den Osten, und zwar nach Irkutsk, dem Tor zum östlichen Sibirien geschickt. Die Ankunft dieser Flüchtlinge markiert einen Wendepunkt für Sibirien: hiermit wurde die geistige Elite in ein Land der Pioniere und Bauern gebracht. Mit ihnen kamen Bildung sowie Kultur und so waren die Salons der Trubeckaja und Volkonskaja Treffpunkte einer neuen Schicht im Entstehen. Ein neues Klassenbewusstsein begann sich zu entwickeln.

Der Einfluss der Dekabristen in Irkutsk war beträchtlich und kann nicht von der wissenschaftlichen Forschung in Sibirien getrennt werden. So übernahm die neue Elite wichtige Aufgaben in Bildung und Erziehung von Stadtbewohnern und der Landbevölkerung. Sie gründeten Schulen oder nahmen sich der Wissenschaft an und schafften neue wissenschaftliche Erkenntnisse über Sibirien und seine Ressourcen. Dieses neue Bewusstsein führte aber auch dazu, gegenüber Petersburg eine gewisse Autonomie zu erwerben. Die Regionalisten (oblastniki) waren hier die ersten, die an der Unabhängigkeit Sibiriens arbeiteten. Zu ihnen wären Nicolaj Jadrincev, Grigorij Potanin und andere zu zählen. Mit den Dekabristen, war nicht nur die Liebe zum Wissen erweckt und die wissenschaftliche Forschung erneut angestoßen, sondern auch das politische Bewußtsein geboren. Dieses Bewusstsein wurde zwar stark unterdrückt, obwohl es Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts die Entwicklung des Nationalismus in Russland förderte. Diese neuen nationalen Gefühle führten auch zu einer Hinwendung zu Rußlands Natur und Kulturen. Die Begeisterung für die Forschung und die Entdeckung der Region waren dabei wichtige Nebenprodukte.

Die Rolle der Kaiserlichen Gesellschaft für Geographie: 1851

Die VSOIRGO: Ostsibirsche Abteilung der Kaiserlichen Geographischen Gesellschaft.

Die kaiserlich-russische Gesellschaft für Geographie ist Teil einer Welle, die in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts im zaristischen Russland in alle Ecken des Landes schwappte. Die Gründung der Akademie der Wissenschaften Russlands beweist kaiserlichen Willen, in russischem Hoheitsgebiet Wissen zu entwickeln und den Rahmen sowie Ressourcen für verschiedene Forscher zu bieten.

Der Ursprung der Kaiserlich-Russischen Gesellschaft für Geographie ist die Society of Economic Freedom (SEL), gegründet 1765. Diese spielte eine große Rolle in der Entwicklung des Interesses an der Beschreibung der näheren Umgebung. Abgesehen von seiner wirtschaftlichen Funktion betreiligte sich die SEL an der Entwicklung des russischen Reiches in verschiedenen Regionen, an Ausstellungen und investierte in regionale Museen.

Das wachsende Interesse war von einem zunehmenden Nationalismus begleitet, und kann nur im Kontext des politischen Nationalismus in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts verstanden werden. Dieser führte zur Schaffung der Kaiserlich-Russischen Gesellschaft für Geographie. Auf diese Gründung von Staats wegen antworteten dutzende lokale Initiativen. Wissenschaftliche Gesellschaften und ethnographische Organisationen entstehen in ganz Russland. Die Entwicklung des Museums kann also nicht von seiner Grundlage der politischen und kulturellen Bedingungen losgelöst gesehen werden. Das findet aber auch seine Beispiele anderswo: Das wichtigste Museum Dänemarks enstand im Augenblick der Angst vor einem zu starken deutschen Nationalismus. In Norwegen markierte ein Museum die Suche nach Unabhängigkeit und Identität nach einem halben Jahrhundert der Knechtschaft und in Schweden ist das Museum ein Mahnmal des Selbstbehauptungswillens der liberalen Bourgeoisie über das Erbe der Monarchie. In Russland ist es der Wille der Macht, der dutzende wissenschaftliche Expeditionen ausstaffiert, obwohl auch einige lokale Wissenschaftler Anteil an ihr haben, (erwähnenswert Rumjancev, Schöpfer des Museums-Bibliothek.)

Diese Expeditionsbewegung ist das Gegenteil des Besuchs von Museen in England, die in der Tradition standen, von Seiten der Monarchie so gut wie keine Einmischung zu erfahren; und dies das ganze lange 19. Jahrhundert hindurch nicht.

Der Zweck der Kaiserlich Geographischen Gesellschaft war die Sammlung und Verbreitung von geografischen Informationen, die sie vorher aus zuverlässigen Quellen zusammentrug. Die Expeditionen der Gesellschaft spielten eine wichtige Rolle in der Kenntnis der Regionen Sibiriens, des Fernen Ostens, Zentral- und Kleinasiens. Die Wirkung der Kaiserlich Geographischen Gesellschaft ist eng mit dem Namen der großen Entdecker wie Mikluho-Maklaj, P. P. Semjonow und N. Mr. Prevalskij verbunden. Ihr Ziel war es, die Geographie der riesigen und unerforschten Russischen Föderation zu studieren. Um 1847 kam die Ethnographie als Teildisziplin hinzu, ein Schritt in der Emanzipation der Disziplin. (Das Etnograficheskij otdel der Kunstkammer wurde 1836 gegründet.) Der neue Abschnitt stand in der Tradition des rationalistischen achtzehnten Jahrhundert nach dem Vorbild der Naturwissenschaft und sah in der Ethnographie eine Beschreibung und Klassifizierung der primitiven Völker. Die Russische Geographische Gesellschaft war vor allem an der Ethnographie, Geographie, den Naturwissenschaften, der Philologie und Geschichte interessiert. Sie versand in ihren Anfängen etwa 7000 Fragebögen nach ganz Russland, um mehr über die Sitten, Gebräuche und den Lebensraum der Völker im russischen Lebensraum zu erfahren. Zwei Tochtergesellschaften der Kaiserlich Geographischen Gesellschaft entstanden in der Provinz: eine in Tiflis/ Georgien im Jahr 1850 als Teil des Kaukasus und eine zweite in Irkutsk im Jahre 1851 als Tochtergesellschaft der Kaiserlich Geographischen Gesellschaft: die VSOIRGO (Ostsibirische Abteilung der Kaiserlich Geographischen Gesellschaft). Tatsächlich kamen viele Mitglieder der Geographischen Gesellschaft aus dem sibirischen Empire und den Nachbarländern. Irkutsk war Forschungsbasis, offen auch für Nachbarländer. Dank der günstigen Lage, verankerte sich in dieser Stadt eine sibirische Forschung. Die Ostsibirische Abteilung der Kaiserlich Geographischen Gesellschaft sah im Museum eine wichtige Kraft im wissenschaftlichen Arbeiten und ermöglichte so dem Museum, über Expeditionen und Wissenschaft zu bis dato undenkbarem Ausmaß anzuwachsen. All die Arbeit, die das Museum zu Studien der Ostsibirischen Abteilung der Kaiserlich Geographischen Gesellschaft beitrug, bereicherten auch das Museum. 1851 wurde das Museum das “Museum der Ostsibirischen Abteilung der Kaiserlich Geographischen Gesellschaft VSOIRGO” genannt und ab 1854 auch vollständig unter dessen Leitung gestellt.

Wissenschaftliche Expeditionen

Warum geht man auf Entdeckung im eigenen Land? Was wir Heimatkunde (“kraevedenie”, “regional studies”) nennen, wird am Ende des 19. Jahrhunderts ein weitverbreitetes Phänomen. Im Irkutsker Bezirk wurde die Notwendigkeit früh erkannt und Rahmenbedingungen und Institutionen nahmen im Zuge der Heimatkundebewegung rasch Gestalt an. Die russische Gesellschaft für Geographie bot hier eine großartige Möglichkeit für diese Aktivitäten. Laut Dominique Poulot wurde das erste Museum der Kolonien geschaffen, um geologische Proben oder mineralogische Untersuchung zu sammeln, die zur Entwicklung von Gebieten interessant werden konnten.

In der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts sah die Ostsibirische Abteilung der Kaiserlich Geographischen Gesellschaft als ihr Hauptziel, Studien zur systematischen Untersuchung des asiatischen Teils Russlands zu unternehmen. Dazu stütze sie sich aber nicht auf Gelehrte aus der russischen Hauptstadt, sondern nahm Rückgriff auf lokale Wissenschaftler wie Maak, Lopatin, Kropotkin, Potanin, oder Jadrincev Klemenc. Hier entstand eine lokale Bewegung der Forschung, deren primärer Zweck nicht mineralogische Studien waren. Das Irkutsk dieser Zeit nahm an der Regionalisierungsbewegung teil, versuchte vorsichtig die kaiserlichen Macht in Petersburg zu umgehen, und die Steigerung des regionalen Wohlstandes anzustreben. Stadt und wissenschaftliche Institutionen wie das Museum, glauben sie, sind Vertreter des östlichen Russlands. In der Stadt lag der Schwerpunkt der Forschung auf Gesamtsibirien. So wurden die Expeditionen des Museums nicht vom Staat, sondern von Mäzenen finanziert, oft ihrerseits Mitglieder der VSOIRGO oder Kaufleute, die ebenso vorhatten, das wissenschaftliche Wissen von Völkern der Region zu erweitern.

Große Lieferungen werden im Jahr 1860 von führenden Wissenschaftlern durchgeführt und die Mitglieder der Kaiserlich-Russischen Gesellschaft für Geographie studieren den asiatischen Teil Russlands. Diese Expeditionen sind zahlreich und decken alle Regionen ab: Prevalskij forscht in Zentralasien und Jadrincev Obruccev quer durch Sibirien, Kropotkin und Potanin arbeiten in der Mongolei. Die berühmteste aller Expeditionen sind die von Jakutien oder die “Große Sibirische Expedition” von 1894 bis 1896, bei welcher der Norden Sibiriens ethnographiert und sich besonders der Jakuten angenommen wird. Alle diese Expeditionen werden durch Sponsoren finanziert. Der primäre Zweck dieser ethnographischen Expedition war nicht selbst die Ethnographie sondern die Suche nach Handelswegen zu den Völkern der umliegenden Regionen.

Feuer, Mobilisierung und Rekonstruktion

Zwischen dem 22. und 24. Juni 1879 wütete das berüchtigte Feuer in der Stadt Irkutsk. Das wirkte sich auch fatal auf das Museum aus. Mehr als 22 000 Exemplare von verschiedenen Exponaten anthropologische, historische, ethnographische, archäologische, numismatische und naturwissenschaftliche gingen verloren. Dazu verlor es seine sehr reiche Bibliothek, mit über 10 000 Büchern, darunter die Arbeit von Åapov über die Region Turuhan. Das schreckliche Feuer weckte aber ebenso das Mitgefühl und die Hilfe von Menschen vor Ort, die vielens darum gaben, das Museum wieder zu beleben. Verschiedene Personen und Organisationen boten Sammlungen aller Art, Manuskripte, Bilder, für die Bibliothek, Bücher und Geldspenden. Außerdem boten verschiedene wissenschaftliche Einrichtungen ihre Unterstützung an: die Akademie der Wissenschaften, die Russische Gesellschaft für Geographie, Free Economic Society, der Botanische Garten von Saint-Petersburg, die Gesellschaft der Freunde der Naturwissenschaften, die Moskauer Gesellschaft der Naturforscher und viele andere. Ihre Unterstützung bestand vor allem darin, die Sammlungen zu bereichern. Im September 1882 baute die Ostsibirsche Abteilung der Kaiserlichen Geographischen Gesellschaft ein neues Gebäude für das Museum. Es wurde mit Mitteln von N.I. Vitkovskij gebaut, entsprechend des architektonischen Entwurfs von Rosen. Das Ministerium des Innern selbst wählte den Standort an der Ecke der heutigen Karl Marx Staße und der Angara Uferpromenade. Am 6. Oktober 1883 fand die feierliche Eröffnung statt. Die Fassade des Gebäudes wurde durch einen Fries geziert, dessen Inschrift die Namen von 22 Forschern und führenden Wissenschaftlern des Museums enthielt, die auf Expedition nach Sibirien und Asien gegangen waren.

Nach der Revolution

Im Jahr 1920 wurde das Museum verstaatlicht. Nun wurde es nicht mehr von seinem Gönner unterstützt und es gab keine Spenden der Mitglieder der Ostsibirschen Abteilung der Kaiserlichen Geographischen Gesellschaft mehr. Zwar gehört es nun dem Staat, wird aber trotzdem durch die Ostsibirsche Abteilung der Kaiserlichen Geographischen Gesellschaft bis 1937 am Laufen gehalten. Der Staat unterstützt das Museum und seine Forschungs-Expeditionen und bietet Hilfe für die geplanten Studien in der Region an. Das Museum “erscheint als ein unverzichtbares Werkzeug für die Bildung” und “die Demokratien der Völker sollen begriffen werden, um nicht das national-populäre Erbe des neunzehnten Jahrhundert zu pflegen, sondern populäre Künste und Traditionen zu begreifen, die von den Völkern als politisches Projekt ausgingen.” [13] Unter den gegebenen Umständen war klar, dass die politischen Leitlinien vom Museum gebilligt werden mussten.

Das Museum konzentriert nun seine Forschung auf das gesamte Sibiriens. Es soll im Jahr 1922 laut dem Kurator des ethnographischen Teils dieser Epoche, A. Popov, “die zentrale Datenbank für kulturelle Aktivitäten in der Region” werden. Das Museum betreibt eine Sammlung und es wird intensiv an der Zeit der 1920er Jahren bei den Burjaten und Ewenken gearbeitet. Doch ab dem Jahr 1930 wird diese Tradition unterbrochen, weil das gesamte Personal intensive Repressionen erdulden muß. Direktoren wie Mitarbeiter des Museums geraten hier ins Visier.

Erstaunlich ist, dass gerade in den 1930er Jahren die Ausstellungen nur selten Russen zeigen. So wollten die Forscher ausschließlich die einheimischen Völker Sibiriens, Asiens und des Fernen Ostens, die während des gesamten neunzehnten Jahrhunderts bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts vor allem als “exotisch” behandelt wurden. Die Ethnographie des russischen Sibirien beginnt wohl erst hier, ab dem zwanzigsten Jahrhundert.

In den 1930er Jahren wurde dem Museum eine klare Aufgabe zugeteilt. Es sollte seine Exposition auf die Region konzentrieren. Hier bekommt es seine endgültigen Grenzen. Ein Aufruf wird in den Irkutsker Bezirk gesendet, der den Wendepunkt in der Aufgabenstellung des Museums darstellt. In Ausstellungen sollten die Völker Sibiriens, die Menschen der Region, die Burjaten des Vorbaikals und die Ewenken thematisiert werden. Aber natürlich gibt es immer Diskrepanzen zwischen politischen administrativen Vorgaben und den tatsächlichen Fakten: so wurden die Tofalaren erst in den 1970er Jahren thematisiert, obwohl auch sie Menschen aus der Irkutsker Region sind.
Die Ausstellung aus dem Jahr 1937 präsentiert die Völker Sibiriens in zwei Teilen. Auf der einen Seite werden die Burjaten thematisiert, die tatsächlich ja den größten Anteil der Völker vor Ort stellen. Im zweiten Teil dann die anderen nordischen Völker, die Tungusen (Ewenken), die Jakuten, Tschuktschen, die Aleuten, die Ainu, die Ioukaghiren, Korjaken, Tataren und Sojoten.

Die Ausstellung über die Tofalarer wurde wie schon erwähnt erst sehr viel später, im Jahr 1970 dazugestellt, obwohl Exponate von ihnen bereits 1930 bei Expeditionen unter der Leitung des Ethnographen Petri gesammelt wurden. Allerdings wurden diese Stücke wohl vergessen oder verloren, oder waren selbst Opfer der politische Unterdrückung.
Erst 1973 kamen sie wieder zum Vorschein. Der Depotmanager des Museums präsentiert die ersten ethnographischen Objekte der Tofalaren mit zwei großen Vitrinen, eine zur materiellen Kultur und die andere zur spirituellen Kultur, eine Zweiteilung, die in der gesamten Sowjetunion gebräuchlich war. Alle anderen Völker werden bis dahin durch plastische Inszenierungen im Innenraum präsentiert. Die neue Präsentationsform hat jedoch bald Auswirkungen auf die Ausstellung der anderen beiden Völker, der Burjaten sowie Ewenken und wird in den 1980er Jahren reformiert. Zu dieser Zeit muß das Museum, dass auf eine lange Periode der Forschung zurückblicken kann, im Zuge der Ausstellungserneuerung seine Exponate umbauen und hier eine museologische Auswahl treffen. Denn da ein Freilichtmuseum in Talcy als Museemsfiliale das Leben der sibirischen Russen, Ewenken, Burjaten, Tofalaren und ihre Behausungen sowie Interieur usw. darstellt, werden sämtliche Figurinen und Modelle aus dem Museum entfernt.
So wird nun im Museum nach dem Vorbild der Tofalarenausstellung die Kultur der sibirischen Völker durch ethnographische Objekte ausgestellt.

Allerdings ist die Bilanz der Museumspolitik in der sowjetischen Periode alarmierend: So wird den späten 1980er Jahren aufgedeckt, das die Depots und in ihnen viele Sammlungen stark vernachlässigt worden sind. Exponate werden einerseits nicht in Findbüchern aufgeführt, vieles wurde fehlgeleitet oder ist verloren. Heute ist bekannt, das einige Sammlungen des nationalen Erbes geradezu geplündert wurden. Nach Frolov sind sechzig Prozent der Sammlungen in den regionalen Museen vom Tode bedroht, wenn nicht schnelle Lösungen gefunden werden, diese aufzuarbeiten. Die Museen stehen vor einem anderen Problem von großer Bedeutung: in ihnen fehlt es an Dokumentationen und Akquisitionen. Die Museumsgeschichte in der Sowjetunion hinterließ zahlreiche Lücken. Nun würde das Museum natürlich gerne wieder Forschungszentrum sein, allein es fehlt an Mitteln zur Publikation sowie für Forschungszentren, und es bedarf einer Vertiefung der Museummethodik. Heute organisieren die Irkutsker Geographen häufig Treffen und Konferenzen zwischen Experten in Sibirien und im Fernen Osten. Sie führen Sommerschulen mit regionalen Themen für ihre Schüler durch und nehmen an Konferenzen der Gesellschaft für Geographie und an internationalen geographischen Kongressen teil.

Die sowjetische Epoche hat für ihre regionalen Museen einen großen Bedarf an Erneuerung nach den 1990er Jahren geschaffen. Die russischen regionalen Museen müssen in den Erfahrungsaustausch mit ausländischen Museen treten, um z.B. praktische Ratschläge für ihre Dauerausstellungen einzuholen. Sie müssen neue Perspektiven eröffnen. Dies ist es, was das Irkutsker Regionalmuseum (IOKM) heute erreichen will: den großen materiellen, kulturellen und historischen Wert ihrer Sammlungen zu erhalten.

Dieser Artikel erschien zuerst auf dem französischen Webblog zur Mongolistik und Sibirienstudien http://www.base-juniper.org/ unter dem Titel “Historique du musée régional d’Irkoutsk (Иркутский областной краеведческий музей)” und wurde uns mit freundlicher Genehmigung zur Ãœbersetzung überlassen.

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